Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die Zeitbombe der Bundesbank

Fast 500 Milliarden Euro sind als Target-Kredite in die Euro-Peripherie geflossen. Die Risiken steigen. Der Sonntagsökonom von Philip Plickert

Fast 500 Milliarden Euro sind als Target-Kredite in die Euro-Peripherie geflossen. Die Risiken steigen. 

Von Philip Plickert

Noch mehr Kredite für angeschlagene Euroländer? EU-Währungskommissar Olli Rehn hält mehr öffentliche Hilfen für das praktisch insolvente Griechenland für nötig. Deutschland ist nicht begeistert. Kaum ein Bürger weiß aber, dass es neben den Kreditpaketen für Griechenland, Irland und Portugal sowie über die EZB-Anleihekäufe hinaus noch weitere Kapitalhilfe für die Euro-Peripherie gibt, einen heimlichen Megatransfer. Dieser ist seit Ausbruch der Krise auf mehr als eine halbe Billion Euro angeschwollen. Kein Parlament, kein Finanzminister hat diese Summe je genehmigt.

Illustration: Alfons HoltgreveDas Geld fließt still und ungefragt über die europäische Plattform zum grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr namens Target-2. Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und inzwischen Italien sind die größten Kreditnehmer. Sie stehen beim Euro-System inzwischen mit mehr als 500 Milliarden Euro in der Kreide. Umgekehrt hat die Bundesbank nun Forderungen an das Euro-System in fast dieser Höhe. Langsam beginnt man sich Sorgen zu machen, was das für Risiken beinhaltet. Sollte zum Beispiel Griechenland aus dem Euro ausscheiden, was immer mehr Ökonomen für nicht ausgeschlossen halten, bliebe die Bundesbank auf fragwürdigen Forderungen über zig Milliarden Euro sitzen, die zum Teil nur fragwürdig abgesichert sind. Es drohten ihr in diesem Fall hohe Verluste.

Target steht für “Trans-European automated real-time gross settlement express transfer system”. Dahinter verbirgt sich das sekundenschnelle Abwicklungssystem für grenzüberschreitende Zahlungen innerhalb des Euroraums, das über die Europäische Zentralbank (EZB) läuft. Ein Beispiel für seine Funktionsweise: Wenn ein Grieche ein deutsches Auto kauft, überweist seine Bank das Geld nach Deutschland. Diese Überweisung geschieht über das Target-System: von der griechischen Notenbank über die EZB an die Bundesbank, die es an die Bank des Verkäufers weiterleitet.

Fast alle Länder der Euro-Peripherie haben sehr hohe Leistungsbilanzdefizite. Sie importierten mehr Waren und Dienstleistungen, als sie exportierten. Dem standen aber – bis zur Krise – hohe Kapitalflüsse aus dem Euro-Kern in die Peripherie entgegen. Wegen dieses Kreditflusses war die Zahlungsbilanz ausgeglichen, die Target-Salden pendelten um die Nulllinie. Mit Ausbruch der Krise ist plötzlich Misstrauen gegen die Peripherie aufgekommen, es fließt kein privates Kapital mehr. Damit ist die Zahlungsbilanz dieser Länder tief ins Minus gerutscht. Die Lücke schließen nun Zentralbank-Kredite. Die griechische, irische oder spanische Zentralbank versorgt die heimischen Banken mit Geld und besorgt es sich von der Bundesbank.

Daraus resultieren die hohen Forderungen der Bundesbank im Target-System. 2007, vor Ausbruch der Krise, waren es nur wenige Milliarden, doch schon Anfang 2008 stieg der Saldo über 100 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr sprangen die Target-Kredite in großen Sprüngen knapp an die Marke von 500 Milliarden Euro, im Dezember gingen sie nur leicht zurück. Daneben sind die Niederländer mit 140 Milliarden Euro zweitgrößte Target-Gläubiger.

Fast spiegelbildlich haben sich die Target-Verbindlichkeiten der Peripherieländer entwickelt. Die griechische Zentralbank schuldet dem Euro-System mehr als 100 Milliarden Euro, Irland gut 120 Milliarden Euro, Portugal 60 Milliarden Euro, Spanien nun 150 Milliarden Euro. Das Defizit von Italien ist jüngst auf mehr als 190 Milliarden Euro geschnellt. Insgesamt haben die Zentralbanken der angeschlagenen Euroländer nach den jüngsten verfügbaren Zahlen von November mehr als 550 Milliarden Euro Kredit über das Euro-System bezogen.

Zu den schärfsten Kritikern des Systems zählt Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, der die Target-Salden als erster problematisiert hat. Target sei eine gefährliche Fehlkonstruktion: ein Selbstbedienungsladen für die Peripherie, die sich damit ihre Leistungsbilanzdefizite finanzieren lasse. Es gebe “erzwungene Kapitalflüsse” von Deutschland nach Südeuropa. Anders als in Amerika, wo die Federal Reserve regionale Ungleichgewichte korrigiere, indem sie die Salden zwischen den regionalen Feds zweimal im Jahr glattstelle, türmten sich die Ungleichgewichte im Euroraum immer höher.

Unter Ökonomen hat Sinns Kritik eine heftige Debatte ausgelöst, was die Ursachen und Konsequenzen der explodierenden Target-Salden sind. Unklar ist, ob Außenhandelsungleichgewichte oder Bankenprobleme und Kapitalflucht die treibenden Faktoren sind. Und auch die wirtschaftlichen Folgen sind nicht unumstritten. Dass es zu einer Kreditverdrängung komme und am Ende hierzulande Kapital fehle, wie Sinn kritisiert, haben andere Ökonomen verneint.

Aber im Kern hat der Ifo-Präsident völlig recht. Er legt den Finger in eine Wunde des Eurosystems. Die großen Ungleichgewichte werden durch die EZB finanziert, und die nötige Anpassung hinausgezögert. Den entscheidenden Hinweis auf die Target-Problematik erhielt Sinn übrigens vom früheren Bundesbank-Präsidenten Helmut Schlesinger, dem der Bilanzposten suspekt erschien. Schlesinger forderte im Sommer 2011 eine Obergrenze oder Strafzinsen für Target-Kredite. Sein Ruf verhallte ungehört.

Gibt es gar keine Grenze? Doch, meinen Aaron Tornell von der University of California in Los Angeles und Frank Westermann von der Universität Osnabrück – es gibt eine politische Grenze. Die Bundesbank gerät in die Klemme, weil sie – als Ausgleich für die Target-Kredite – andere Kredite verringert hat. Gold oder Devisenreserven will sie nicht verkaufen. Im Dezember sind nun die Kredite an die Geschäftsbanken an die Nulllinie gestoßen. Falls der Kapitalmarkt spüre, dass Target ausgereizt sei, könne das Euro-System zusammenbrechen, meinen Tornell und Westermann. Es könne “im Prinzip innerhalb eines Tages eine spekulative Attacke” drohen und die Währungsunion zerreißen.

Deshalb habe die EZB nun angefangen, die Geldpolitik noch expansiver zu gestalten. Wenn sich aber die Krisenländer nicht wie erhofft erholen, dann werde die Rechnung präsentiert: in Form höherer Inflation sowie hohen Abschreibungen auf die hinterlegten Sicherheiten für die Target-Kredite.

Der Text erschien am 29. Januar in der Rubrik “Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

 

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