“Keynes made a major contribution to the development of professional asset management … Overall, Keynes’s experiences in managing the endowment remain of great relevance to investors today.”
David Chambers & Elroy Dimson
Warren Buffett gilt dank seiner Spezialisierung auf langfristige Aktienengagements als einer der erfolgreichsten Vermögensverwalter der Welt – ebenso wie David Swensen. Als Manager des Stiftungsfonds der Universität Yale hat Swensen dank einer starken Ausrichtung auf alternative Anlagen wie Rohstoffe, Hedgefonds und Beteiligungskapital in den vergangenen 25 Jahren außerordentliche Renditen erzielt.
Buffett und Swensen haben, wie auch der Hedgefondsmanager George Soros, den britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883 bis 1946) als ein Vorbild genannt. Eine aktuelle Untersuchung der Ökonomen David Chambers und Elroy Dimson belegt, dass Keynes im Nebenberuf tatsächlich ein brillanter Vermögensverwalter war und darin seiner Zeit so weit voraus, dass seine Anlagepolitik noch heute Interesse verdient. Keynes hatte als Privatanleger mit nichts begonnen und sein Leben mit einem Vermögen von, auf heutige Verhältnisse umgerechnet, rund 22 Millionen Euro beendet. Dies stammte überwiegend aus seinen Börsengeschäften, wobei Keynes als Privatmann auch gerne Aktien auf Kredit erwarb – eine Praxis, die man Privatanlegern wegen der sehr hohen Risiken gewöhnlich nicht empfiehlt. Der Brite hat zudem Stiftungen, Versicherungen und Investmentfonds beraten. (Einen Überblick bieten dieser Artikel und mein Buch.) Das AFP-Foto zeigt ihn am Rednerpult bei der Bretton-Woods-Konferenz 1944.
Chambers und Dimson haben Keynes in seiner Tätigkeit als Verwalter des Stiftungsfonds (“Bursar”) von King’s College an der Universität Cambridge (1924 bis 1946) analysiert. Gemäß den Vorschriften musste das Stiftungsvermögen überwiegend in Ländereien und Hypotheken angelegt werden, aber Keynes gelang es, einen Teil des Vermögens auszugliedern und nach eigenem Gusto zu verwalten – allerdings waren hier Spekulationen auf Kredit tabu. Um diesen freien Teil des Stiftungsvermögens geht es in der Untersuchung. Demnach lassen sich zwei Zeiträume unterscheiden, innerhalb derer Keynes zwei sehr verschiedene, heute noch verbreitete Anlagestrategien verfolgte. Zwischen 1924 und 1932 orientierte der Brite seine Anlagestrategie vorwiegend an Betrachtungen der gesamtwirtschaftlichen (“makroökonomischen”) und wirtschaftspolitischen Perspektiven, aus denen er Rückschlüsse auf die Entwicklung von Finanzmärkten ziehen wollte. Er investierte vor allem in Währungen, Rohstoffe und Aktien. Eine solche Anlagestrategie, die damals kaum verbreitet war, heißt heute in der Sprache der Finanzmärkte “Global Macro” und wird immer noch von zahlreichen Hedgefonds angewandt. Auch Soros bediente sich dieser Strategie. (Als Fußnote sei vermerkt, dass der Nobelpreisträger und Keynesianer Paul Samuelson im Jahre 1970 zu den Kapitalgebern des allerersten Global-Macro-Hedgefonds gehörte, so wie Samuelson überhaupt als Theoretiker wie als Praktiker ein großes Interesse an Finanzmärkten besaß.)
Obwohl gesamtwirtschaftliche Analysen Keynes’ ökonomische Paradedisziplin waren, verlief ihre Anwendung auf die Finanzmärkte nicht immer befriedigend. Keynes schnitt zwischen 1924 und 1932 mit einer jährlichen Rendite von rund 7 Prozent zwar etwas besser ab als der britische Aktienmarkt. Aber hinter diesem Durchschnittswert verbargen sich starke kurzfristige Ausschläge, die auch die Verwaltung seines Privatvermögens beeinträchtigten. So setzte Keynes in den frühen zwanziger Jahren mit Währungsspekulationen auf eigene Rechnung und die Rechnung von Verwandten und Freunden viel Geld in den Sand; im Jahre 1929 ging er nichtsahnend mit einem großen Aktienbestand in den Börsenkrach. Drei Jahre später räumte der Brite ein, dass es sehr schwierig sei, vorwiegend auf der Basis gesamtwirtschaftlicher Analysen Anlagepolitik zu betreiben.
“Kapitalanlage besteht darin, die Erträge eines Vermögensgegenstandes während seiner Laufzeit vorherzusagen. Spekulation besteht darin, die Psychologie des Marktes vorherzusagen.”
John Maynard Keynes
Von nun an tat er das genaue Gegenteil. Keynes konzentrierte sich auf die Auswahl einzelner Aktien, indem er Unternehmen und deren Management analysierte und sich weniger um die gesamtwirtschaftliche Lage kümmerte. Anstatt kurz- und mittelfristig zu handeln, verfolgte er eine langfristige Anlagestrategie. Dabei zeigte Keynes kein Interesse, einen Aktienindex abzubilden. Er investierte international und setzte seine eigenen Schwerpunkte. So erwarb Keynes keine Eisenbahnaktien, obgleich diese an der Londoner Börse damals eine bedeutende Rolle spielten. Stattdessen investierte er gerne in amerikanische Industrietitel und in südafrikanische Minenaktien. Keynes begann seine Tage üblicherweise mit dem Studium des Kursteils in Zeitungen und Anrufen bei seinem Londoner Börsenmakler.
“As time goes on, I get more and more convinced that the right method in investment is to put fairly large sums into enterprises which one thinks one knows something about and in the management of which one thoroughly believes. It is a mistake to think that one limits one’s risk by spreading too much between enterprises about which one knows little and has no reason for special confidence … One’s knowledge and experience are definitely limited and there are seldom more than two or three enterprises at any given time in which I personally feel myself entitled to put full confidence”, schrieb Keynes, und Buffett verwies später auf diese Sätze, um die Parallelen zwischen den beiden Männern zu unterstreichen. Für Buffett war Keynes ein Mann, “whose brilliance as a practicing investor matched his brilliance in thought.”
Dieses “Stock-Picking” klingt aus heutiger Sicht wenig originell, aber in den Jahren vor 1946 war diese Strategie ungewöhnlich. Mit der langfristigen Ausrichtung auf Aktien weniger Unternehmen, die Keynes dafür umso genauer studierte, nahm er Buffetts Vorgehen vorweg. Aber er war auch ein Vorfahr Swensens dergestalt, dass Aktien seinerzeit als Kapitalanlage so „alternativ” waren wie Rohstoffe oder Beteiligungskapital vor 25 Jahren. Zu Keynes’ Zeiten waren Versicherungen die größten Investoren. Ihre Aktienquote lag nur bei rund 10 Prozent. Stiftungen hielten gewöhnlich gar keine Aktien. Keynes hingegen fuhr in seinem Stiftungsvermögen eine Aktienquote von häufig mehr als 50 Prozent.
Das Ergebnis war eine jährliche Rendite von knapp 20 Prozent in den Jahren 1933 bis 1946 (in der Grafik ist irrtümlich 1933 bis 1936 angegeben) – ein Zeitraum, der die Weltwirtschaftskrise einschloss. Davon können viele moderne Investoren, die andere Schwerpunkte setzen, nur träumen.
“Speculators may do no harm as bubbles on a steady stream of enterprise. But the position is serious when enterprise becomes the bubble on a whirlpool of speculation. When the capital development of a country becomes a by-product of the activities of a casino, the job is likely to be ill-done.”
John Maynard Keynes
Dass Keynes dank seiner Kenntnisse von Theorie und Praxis ein herausragender Finanzmarktökonom war, dessen Erkenntnisse bis heute Relevanz besitzen, blieb jahrzehntelang über der Diskussion seiner Makroökonomik weitgehend unbeachtet – vielleicht, weil sich seine Erkenntnisse über Finanzmärkte nicht für ideologisches Gezänk eignen (im Unterschied zu seinen politischen Schlussfolgerungen). Mittlerweile spricht sich sein Fachwissen herum (zum Beispiel in diesen beiden Büchern), so wie sich auch herumgesprochen hat, dass Keynes Finanzmärkte keineswegs nur durch “animal spirits” beeinflusst sah.
Eine für seine Zeit besonders bemerkenswerte Expertise besaß der Brite mit Blick auf Terminmärkte. Man denke an sein Plädoyer für den gesamtwirtschaftlichen Nutzen von Devisen-Terminmärkten im “Tract on Monetary Reform” wenige Jahre nach dem Zusammenbruch des Goldstandards mit seinen festen Wechselkursen. Zudem findet Keynes’ – durchaus kontroverse – Erklärung aus dem “Treatise on Money”, warum an Rohstoff-Terminmärkten eher eine Backwardation und nicht ein Contango ein Normalzustand sein sollte, bis heute Erwähnung in Abhandlungen von Investmentbanken. Eine Backwardation ist in der Realität ebenso wie ein Contango ein immer wieder beobachtbares Phänomen an Rohstoff-Terminmärkten – im Moment zum Beispiel bei Öl und Gas – und es gibt Fondsgesellschaften mit speziell hierfür ausgelegten Anlagestrategien. Keynes’ Erklärung ist nicht unbedingt falsch, aber sie ist keineswegs exklusiv.
Ein anderes Beispiel für Keynes’ Modernität: Er hatte schon vor gut 100 Jahren die Veröffentlichung der Geschäfte von Vorständen und Aufsichtsräten mit Aktien des eigenen Unternehmens im Sinne einer möglichst großen Transparenz gerade auch im Interesse von Kleinanlegern gefordert. Die Unternehmen mussten damals nicht viel über sich publizieren, und an eine Veröffentlichung von Quartalsergebnissen im Internet war seinerzeit ebenso wie an “conference calls” erst recht nicht zu denken. Insofern waren Eigengeschäfte von Managern damals eine der wenigen Informationsquellen, die einen Einblick in die “Black Box” der Unternehmensbewertung gestatteten.
Eine deutlich kürzere Fassung dieses Beitrags ist am 2. April 2012 im Finanzmarkt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.
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