Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Darf man sich den „Grexit" ausmalen? Ein Briefwechsel

Der Ökonom Thomas Straubhaar antwortet auf einen F.A.S.-Artikel über den Austritt Griechenlands aus der Währungsunion. Eine E-Mail-Diskussion entsteht - über die Verantwortung von Ökonomen, Politikern und Journalisten in der Eurokrise. Wir dokumentieren den Mailwechsel zwischen Thomas Straubhaar und Rainer Hank.

Von Rainer Hank

Griechenland - Foto: dapdUnser Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 27. Mai über den „Grexit”, den Austritt Griechenlands aus dem Euroraum hat viele Reaktionen provoziert – unter anderem eine Kolumne von Thomas Straubhaar, Chef des HWWI, auf stern.de. Straubhaar misstraut zutiefst den Austrittsüberlegungen der Ökonomen und nennt sie „unverantwortlich”. Mein Co-Autor Christian Siedenbiedel und ich misstrauen dagegen der Rationalität der Politiker, die ihre Entscheidungen „alternativlos” nennen. Daraus entspann sich ein Briefwechsel über die Verantwortung von Ökonomen, Politikern und Journalisten in der Eurokrise – die Briefe von Thomas Straubhaar stehen eingerückt und fett, die von mir mager und links.

Lieber Herr Hank

immer noch lese ich die FAS mit großem Interesse und auch Genuss! So auch gestern. Der Aufmacher von Ihnen und Christian Siedenbiedel und das 4-Punkte-Programm von Dennis Snower  haben mich sogar dazu inspiriert, einen Kommentar für meine wöchentliche Stern.de-Kolumne zu schreiben. Eigentlich müssten Sie – bei aller Gegensätzlichkeit, die uns bei der Euro-Frage trennt – dem Grundgedanken meiner anderen Sicht beistimmen. Denn eigentlich finde ich vieles, von dem was da so vorgeschlagen wird, eine Anmassung des Wissens, was richtig und falsch ist. Das ist eine Schiedsrichterposition der Ökonomik, die es – das mindestens meine “intellektuelle” Lehre aus den letzten Jahren – weniger denn je gibt.

Herzliche Grüße und auf bald

Ihr Thomas Straubhaar

 


Lieber Herr Straubhaar,

danke für den Text, der seinerseits Anlass zum Nachdenken gibt, allerdings, ich gestehe, mich ganz und gar nicht überzeugt.

Ihr Lob der Kanzlerin, sie denke das Ganze vom Ende her, ist nun wirklich anmaßendes Wissen. Aus welchen geheimen Quellen kennt Frau Merkel das Ende? Und woher weiß Herr Straubhaar, dass der Verbleib “kostenminimierender” ist? Da wäre eine kleine Rechnung schon angebracht gewesen, die über den Gemeinplatz, es gebe keine Patentrezepte und jede Situation sei anders, hinaus geht.

Unsere Gewährsleute (Mayer, Blankart, Neumann etc.) legen Wert darauf, dass sie nicht normativ argumentieren, sondern überlegen, wie es denn kommen könnte, wenn die Griechen zwar im Euro bleiben wollen, aber den Schuldendienst nicht mehr bedienen. Ob es so kommt, wer weiß.

In einem jedoch sind wir uns einig: Es gibt kaum etwas Spannenderes derzeit, als über Europa nachzudenken.

In diesem Sinn grüßt herzlich

Ihr

Rainer Hank

 


Lieber Herr Hank

danke für Ihre Antwort Was sollte “vom Ende her denken” bei aktiv handelnden Menschen wirklich meinen (könnte/sollte)? Mein Punkt ist nicht, dass Merkel oder Straubhaar sagen, wie Europa 2020 oder wann auch immer aussehen soll.

Mein Punkt ist, dass wer in einem fliegenden Flugzeug am Steuerknüppel steht, darüber nachdenken muss, welche Folgen es für Flugzeug und übrige Passagiere hat, wenn er mit dem Fallschirm abspringt.

Vom Ende her denken bedeutet (mindestens in meinem Verständnis, aber darüber werde ich in der Tat noch einmal nachdenken), dass man mindestens beide oder alle Szenarien bis zum Ende durchdenkt. Also: wie sieht denn das Ende (also Europa, Deutschland 2020) bei Grexit, Geuro oder anderem aus? Noch einmal: nicht “normativ”, wie es aussehen “soll” (das wäre anmaßend), sondern, wie stellen sich die Kollegen vor, dass Europa, Griechenland u.v.a.m. aussehen werden? Natürlich weiß das niemand, aber es scheint mir nicht anmaßend zu sein, wenn man sich über das Ende (also die Folgekosten) von Verhaltnsweisen Gedanken  macht und zumindest versucht mit Hilfe von Szenarien, vielleicht sogar Prognosen die Folgekosten zu Ende zu denken.

Ein darüber hinaus gehender, ganz grundsätzlicher Punkt: „Experten” haben vielleicht gute Ideen, aber absolut keine persönlichen Folgekosten, wenn es mit ihren Vorschlägen schief geht. (Der immer ins  Feld geführte Reputationsverlust ist minimal und tut nicht wirklich weh). Sie (ich nehme mich da nicht aus!)  können lässig auf dem Lehrstuhl sitzen und sich zu Gott und der Welt oder eben dem Euro äussern, ohne dass ihr Beamtenstatus deswegen in Gefahr kommt. Die wirklichen Kosten von Fehlern der Ökonomen tragen andere.  Das ist in der Politik (und der Wirtschaft) in der Tat anders: Frau Merkel muss entscheiden, ob sie will oder nicht (und auch keine Entscheidung ist eine Entscheidung). Und sie wird auf jeden Fall die Folgen ihrer Entscheidungen persönlich verantworten müssen (bis hin zu persönlichen Haftungsklagen). Ist da nicht zu erwarten, dass sie ihre Entscheidungen besser zu Ende denkt, als Experten, die für ihre Urteile rein gar nichts zu befürchten haben?

Freue mich auf die nächste FAS und grüße Sie in der Zwischenzeit herzlich

Ihr Thomas Straubhaar

 


Lieber Herr Straubhaar,

danke für die Antwort. Schön, dass Frau Merkel noch Freunde hat. Der Fairness halber sollten Sie aber schon hinzufügen, welche politischen Rücksichten Frau Merkel zu nehmen hat, und deshalb anders als Ihre “verantwortungslosen” Kollegen gar nicht (laut) zu Ende denken darf, was beide Szenarien für Folgen hätten. Mein Glaube an Academia ist offenbar größer als Ihrer: Ich will, dass die Damen und Herren auf den Lehrstühlen sitzen, nur der Vernunft und also der Wahrheit verpflichtet. Dazu sollen sie auch unser Steuergeld bekommen und Beamte sein. Mag sein, dass einige darunter sind, die nur um des Effekts willen besonders schräge Gedanken denken. Aber die müssen sich dann der (hoffentlich scharfen) Kritik der Scientific Community aussetzen.

Mehr noch: Politökonomisch werden von den Euro-Akteuren die Rettungskosten (absichtsvoll oder naiv) unterschätzt und die Default-Kosten (absichtsvoll oder naiv) überschätzt. Denn lieber lassen sich Politiker als “Retter” feiern (und verschleiern die Kosten) als dass sie (was Blankart einmal vorschlug) auf Capri baden und die Griechen zum Pariser Club schicken. Wer, wenn nicht Ökonomen und Journalisten, würden dann hartnäckig darauf verweisen, dass die Politik eben nicht “alternativlos” ist.

Herzlich grüßt

Ihr

Rainer Hank

 


Lieber Herr Hank

Danke für Ihre Antwort. Wenn es nur so wäre, dass Ökonomen / Experten Götter in Nadelstreifen sind, die sich von nichts als der reinen Wahrheit leiten lassen! Aber ist eigentlich nicht eher zu erwarten, dass auch sie nur Menschen sind, mit ganz profanen Eigeninteressen? Hat sich nicht gerade in der letzten Dekade der Verdacht verstärkt, dass einige Nobelpreisträger sehr eng mit Akteuren der Finanzmärkte liiert sind, so eng, dass die American Economic Association jetzt eine Offenlegungspflicht von finanziellen Verbindungen für Autoren eingeführt hat?

Recht gebe ich Ihnen in Ihrem Punkt, dass Expertenurteile auf beiden Seiten – also bei Euro-Optimisten wie -pessimisten interessengeleitet sind.  Im Kern geht es beim Streit um den Euro gar nicht um makroökonomische Größen wie Wachstum, Beschäftigung oder gesamtwirtschaftlichen Wohlstand und auch nicht um „Europa”. Das sind eigentlich nur vorgeschobene Argumente, um eigene Interessen zu verdecken. Eigentlich geht es um reine Interessenpolitik und darum, wer die Folgekosten einer Problemlösung zu tragen hat. Und da gebe ich Ihnen recht: da machen beide Seiten bewusst oder unbewusst, absichtlich oder nicht Fehler, in dem die einen die Kosten einer Euro-Rettung und die anderen die Kosten eines Grexit unterschätzen, um für ihre Position zu werben.

In dem Sinne freue ich mich auf die Fortsetzung der intellektuellen Auseinandersetzung mit Ihnen

Ihr Thomas Straubhaar

 

Foto: dapd.

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