Geld hilft nicht viel, und Intelligenz lässt sich nur schwer lernen. Es geht ums Benehmen.
Von Patrick Bernau
Kinder aus reichen Elternhäusern haben es leichter, im Leben weit zu kommen, als Kinder aus armen Elternhäusern – so viel steht inzwischen fest. Doch woran das liegt und wie sich die Chancen von armen Kindern fördern lassen, darüber gibt es noch viel Unsicherheit.
Klar sc heint immerhin zu sein: Am Geld liegt es nur zum kleinen Teil. Den größeren Einfluss hat, welche Fähigkeiten und Verhaltensweisen Eltern ihren Kindern mit auf den Weg geben. Das kann leicht mit dem Einfluss des Geldes verwechselt werden. Denn viele Eltern, die intelligent sind und ihre Kinder gut erziehen, sind auch beruflich recht erfolgreich.
Was aber genau ist das Geheimnis einer guten Erziehung? Wie muss ein Bildungssystem organisiert sein, damit es benachteiligten Kindern möglichst gute Chancen verschafft? Darüber forschen derzeit allerhand Leute – nicht nur in der Psychologie und der Erziehungswissenschaft, sondern eben auch in der Ökonomik. Schließlich geht es dabei auch um die Frage, wie das Sozialsystem organisiert werden sollte, wie Staatsgeld möglichst effizient eingesetzt werden kann und – vor allem – wie Kinder aus ihren Talenten möglichst viel herausholen können. Dabei arbeiten sie oft mit Pädagogen, Psychologen und Biologen zusammen.
Manchmal forschen sie sehr grundsätzlich, zum Beispiel untersuchen sie das Verhältnis von Affen zu ihren Eltern und stellen fest, dass schlechte Erziehung die Affen krank macht, wie Gabriella Conti am Lehrstuhl von Wirtschafts-Nobelpreisträger James Heckman herausfand. Und manchmal forschen sie sehr praktisch, wie John List, der in einem Vorort von Chicago eine ganze Versuchsschule eingerichtet hat, in der er Kinder auf unterschiedliche Arten betreuen lässt.
In dieser Forschung sind die Ökonomen an einer neuen Frage angekommen: Sie wissen jetzt, dass Geld für den späteren Erfolg eines Kindes nicht so wichtig ist wie seine Fähigkeiten. Aber um welche Fähigkeiten geht es genau? Muss das Kind möglichst intelligent sein? Oder muss es sich vor allem benehmen können?
Auf der Suche nach einer Antwort hat die Ökonomin Silke Anger am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ins Ausland geschaut. Sie hat unterschiedliche Fähigkeiten von Kindern untersucht, hat sie in Beziehung zu den Fähigkeiten der Eltern gesetzt und dann das Ganze mit der Situation im Ausland verglichen. Die Daten für Deutschland holte sie sich aus dem “Sozioökonomischen Panel”, einer jährlichen Umfrage am DIW unter 20 000 Deutschen, in der dieselben Menschen immer wieder befragt werden, so dass die Forscher auch Entwicklungen über längere Zeit verfolgen können.
Dabei unterschied Anger Intelligenz (Wie schnell verarbeitet jemand neue Informationen? Wie schnell kann er rechnen?) vom Verhalten (Wie gewissenhaft arbeitet jemand? Ist er emotional stabil, kann gut mit anderen leben, ist er anderen gegenüber offen?).
Dabei hatte sie gleich mehrere spannende Ergebnisse.
Erstens: Intelligenz wird deutlich stärker von den Eltern auf die Kinder übertragen als das Verhalten. Während die Intelligenz der Eltern zum Teil mehr als die Hälfte von der Intelligenz ihrer Kinder ausmacht, bestimmt das Verhalten der Eltern das der Kinder höchstens zu rund einem Viertel. Ein gutes Bildungssystem kann also offenbar leichter am Verhalten ansetzen. Das ist auch deshalb vielversprechend, weil schon frühere Studien gezeigt haben, dass der berufliche Erfolg eines Menschen – unabhängig von den Eltern – nicht nur von der Intelligenz abhängt, sondern auch vom Verhalten.
Zweitens: Verhaltensweisen übertragen sich schneller von den Eltern auf die Kinder als die Intelligenz. Speziell zwischen dem 17. und dem 30. Geburtstag nähert sich die Intelligenz junger Leute noch mal stark der ihrer Eltern an – was das Verhalten angeht, ist dieser Effekt schwächer. Auch das deutet nach Ansicht der Forscherin darauf hin, dass Kindergärten und Schulen gerade junge Kinder besonders fördern und erziehen sollten.
Das dritte Ergebnis ist das erstaunlichste: Silke Anger hat ihre Ergebnisse aus Deutschland mit Werten aus den Vereinigten Staaten verglichen, in denen die soziale Ungleichheit deutlich stärker ist als in Deutschland, und mit Werten aus Skandinavien, wo die soziale Ungleichheit deutlich schwächer ist. Und gemerkt: Wie Intelligenz und Verhalten vererbt werden, das unterscheidet sich in Deutschland kaum von der Situation in den anderen Staaten.
Silke Anger zieht daraus den Schluss, dass es nicht reicht, benachteiligten Kindern beim Lernen zu helfen. Offenbar seien die Gesellschaften auch abseits der reinen Bildung und Erziehung unterschiedlich durchlässig – mit einer Ausnahme:
In Deutschland bestimmen die Eltern das Verhalten ihrer Kinder noch stärker als in den Vereinigten Staaten. Die Forscherin führt das darauf zurück, dass Kinder in Deutschland relativ spät eingeschult werden und relativ selten in den Kindergarten gehen. Darum sei der Einfluss der Eltern auf ihre Kinder in Deutschland größer als anderswo. Und das nützt den Kindern gut ausgebildeter Eltern stärker als denen schlecht ausgebildeter Eltern.
So kommt Anger zu drei Vorschlägen, um armen Kindern das Leben zu erleichtern: Erstens sollten vor allem arme Kinder eine gute Kinderbetreuung bekommen – eine indirekte Kritik am geplanten Betreuungsgeld. Zweitens sollten Lehrer von sich selbst und von anderen nicht nur als Wissensvermittler gesehen werden, sondern sie sollten sich auch um die Persönlichkeit ihrer Schüler kümmern. Und drittens bräuchten arme Familien Mentorenprogramme oder Erziehungshilfe, die den Eltern etwas über den Umgang mit Kindern beibringt.
Mit diesen Vorschlägen liegt Anger im Trend. Einige davon werden schon in den Pilotprojekten praktisch ausprobiert, vor allem in den Vereinigten Staaten. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend.
Der Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 5.8.2012. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.
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