Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Soll eine Zentralbank Zinsobergrenzen für Anleihen nennen? Die Fed sagt nein.

| 36 Lesermeinungen

Die EZB debattiert, ob und, wenn ja, wie sie Zinsobergrenzen für Staatsanleihen aus Ländern wie Italien und Spanien definieren und garantieren soll. Die Fed hat solche Obergrenzen schon vor fast zehn Jahren debattiert - und verworfen. Von Gerald Braunberger

Die EZB debattiert, ob und, wenn ja, wie sie Zinsobergrenzen für Staatsanleihen aus Ländern wie Italien und Spanien definieren und garantieren soll. Die Fed hat solche Obergrenzen schon vor fast zehn Jahren debattiert – und verworfen.

Von Gerald Braunberger

 

Auf dem diesjährigen Summer Institute des amerikanischen National Bureau of Economic Research (NBER) hat der Ökonom Laurence Ball ein sehr interessantes Paper vorgestellt, in dem er sich mit der Wandlung von geldpolitischen Auffassungen Ben Bernankes befasst. Bernanke ist ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Geldpolitik an der sogenannten “Nullzinsgrenze”, also einer Situation, wenn der Leitzins nahe Null ist, aber eine weitere geldpolitische Stimulierung gleichwohl sinnvoll erscheint. Ball weist darauf hin, dass Bernanke zu seiner Zeit als Princeton-Professor vier Positionen (damals vor allem mit Blick auf die Situation in Japan) vertreten hat, die er als aktiver Geldpolitiker nunmehr offenbar nicht mehr vertritt:

– Ein Land in einer solchen Situation solle für eine Abwertung seiner Währung eintreten

– Die Zentralbank solle Obergrenzen für die Rendite von Staatsanleihen nennen und diese Obergrenzen verteidigen, wenn notwendig

– Die Zentralbank solle Steuersenkungen durch den Ankauf von Staatsanleihen finanzieren – also eine Form monetärer Finanzierung von Staatsschulden

– Die Zentralbank solle höhere Inflationsziele ankündigen.

Ball bemerkt, dass Bernanke diese Positionen schon im Jahre 2003, also nach seinem Eintritt als Mitglied des Offenmarktausschusses der Fed, aufgegeben habe. Er beschäftigt sich dann mit der Frage, wie diese Positionsänderungen erklärbar seien und gelangt zu dem Schluss, dass unter anderem gruppendynamische Prozesse in der Fed-Führung eine Rolle gepielt haben könnten. In der deutschen geldpolitischen Literatur hat man das früher als “Thomas-Beckett-Effekt” bezeichnet: Auch Personen, die vielleicht stillschweigend mit Inflation liebäugeln, werden nach ihrem Eintritt in die Führung einer Zentralbank “Inflationsfalken”.

Was nun Zinsobergrenzen für Staatsanleihen angeht, zitiert Ball aus einem Protokoll einer Sitzung der Fed-Führung aus dem Jahr 2003:

“Many Committee members discuss ceilings on long-term interest rates, and they all oppose the idea. For example, Chairman Greenspan notes that the Fed targeted long-term rates before 1951, but then says: My own judgment is that, if we actually tried to target interest rates anywhere along the curve, we would be courting remarkable uncertainties. It was perhaps possible to do it back in the 1930s or 40s or even in the 50s when financial markets and market participants didn’t have the degree of sophistication they have today. Also, the ability to get around rate ceilings was much less than it is today.
Later, Governor Gramlich says: It strikes me that targeting the rate structure is a losing game. Six or seven people have spoken against that already. If we want to focus our staff’s effort, I would propose that they spend less time on that.”

“Like many of his colleagues, Bernanke opposes targets for long-term interest rates: To those of you who have argued against trying to “target” long-term interest rates–if by that you mean that we specify a target for the five-year bond and then try to enforce it by buying five-year bonds–I must say to you that I agree 100 percent that that’s not going to work.”

 

Gerüchteweise diskutiert die EZB auch, ob sie Staatsanleihen kaufen soll, ohne konkrete Zinsobergrenzen zu nennen. Damit würde sie das oben genannte Problem vermeiden, an einer allen Marktteilnehmern bekannten Grenze möglicherweise mit Anleihen zugeschüttet zu werden.

Mit etwas Phantasie findet man ein historisches Beispiel für Zentralbanken, die einen Markt mit einem “moving target” steuern wollen. Das ist das Geheimabkommen im Rahmen des Louvre-Akkords zur Stabilisierung von Wechselkursen im Jahre 1987. Damals wollten die Regierungen und Zentralbanken der führenden westlichen Industrienationen eine Stabilisierung der Wechselkurse erreichen – die in den Vorjahren weitaus stärker geschwankt hatten, als es sich die Anhänger flexibler Wechselkurse vorstellen wollten. Zu diesem Zweck sollten sich die Kurse des Dollar gegenüber D-Mark und Yen nur innerhalb sogenannter Schwankungsbreiten bewegen dürfen, für deren Einhaltung die Zentralbanken sorgen würden. Allerdings wurden diese Zielzonen niemals veröffentlicht, sondern in einem Geheimabkommen beschrieben. Überdies waren sie bei Bedarf anpassbar. Erst sehr viel später ist dann durchgesickert, wo die Zielzone für D-Mark/Dollar zumindest anfangs angeblich gelegen hatte.

Wie lange dieses Wechselkursregime gültig war, entzieht sich meiner Kenntnis. Als ich ab 1988 für die F.A.Z. unter anderem über Geld- und Währungspolitik schrieb, sprachen Marktteilnehmer andauernd über dieses Abkommen; verbunden mit Gerüchten über die Zielzonen. Meine Vermutung, aber es ist eine Vermutung, war, dass die Zentralbanken die führenden Marktteilnehmer unter der Hand “gebrieft” hatten.


36 Lesermeinungen

  1. FAZ-gb sagt:

    @ Trostlose...
    @ Trostlose Wissenschaft
    “Falls man die Diagnose teilt, dass ein Teil des Zinsaufschlags die Realisation eines schlechten Gleichgewichts ist…”
    Ja, wer besitzt denn die Kompetenz, eine solche Diagnose vorzunehmen?
    Und wenn ja, wäre es dann nicht an den betroffenen Regierungen, Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem “besseren” Gleichgewicht führen? Wir reden hier über Staatsanleihen und nicht über Papiere, die von der Zentralbank emittiert wurden.
    “Zumindest so lange man die Nebenwirkungen (moral hazard) für nicht schädlicher als das ursprüngliche Problem hält.”
    Da wird es unterschiedliche Ansichten geben. Ich sehe auch nicht, dass man diese Frage quantitativ lösen könnte.

  2. rum sagt:

    Lieber Herr Braunberger, eine...
    Lieber Herr Braunberger, eine Notenbank dürfte keine längerfristigen Wertpapiere kaufen, keine längerfristigen Kredite geben, obwohl diese Grobheit unter dem Euphemismus “Feinsteuerungsoperation” der EZB erlaubt ist.

  3. FAZ-gb sagt:

    <p>@ rum</p>
    <p>Wenn man ein...

    @ rum
    Wenn man ein festes Renditeziel nennt und anschließend weitaus mehr Anleihen kaufen muss, als man eigentlich wollte, stellt sich natürlich auch die Frage nach der geldpolitischen Vertretbarkeit einer solchen Handlung. Ansonsten könnte eine Zentralbank in der Tat eine beliebige Menge an Anleihen oder Devisen gegen die Emission eigenen Geldes kaufen. Die Fed hatte ja 2003 die Nennung expliziter Renditeziele ausdrücklich mit dem Argument abgelehnt, so etwas sei nicht vertretbar.

  4. <p>zu 2) Theorie und Praxis....
    zu 2) Theorie und Praxis. Hängt das nicht sehr voneinander ab? Wenn etwas wirtschaftlich sinnvoll ist, sollten dann die Möglichkeiten es zu verwirklichen, nicht voll ausgeschöpft werden? Und sollte es dann nicht auch politisch vertretbar sein? Bzw. sollte man als Wissenschaftler, Kommentator, informierter Bürger nicht darauf hinarbeiten, es politisch vertretbar zu machen?
    Im konkreten Fall einer EZB Intervention zugunsten Spaniens, Italiens:
    Falls man a) die Diagnose teilt, dass ein Teil des Zinsaufschlags die Realisation eines schlechten Gleichgewichts ist und b) um die in so einem Fall (fast) unbegrenzte Feuerkraft der Zentralbank weiss, folgt doch daraus, dass ein Eingriff wirtschaftlich wünschenswert wäre. Zumindest so lange man die Nebenwirkungen (moral hazard) für nicht schädlicher als das ursprüngliche Problem hält.
    Gruß
    TW

  5. rum sagt:

    <p>"Es geht in beiden Fällen...
    “Es geht in beiden Fällen um eine identische Frage: Ist es als Zentralbank sinnvoll, ein konkretes Interventionsziel zu nennen?” — Interessant! Es geht also nur um den Sinn, ein Investitionsziel zu nennen, und nicht, ob die Investition geldpolitisch vertretbar sei.

  6. FAZ-gb sagt:

    <p>Mir geht es in dem Beitrag...
    Mir geht es in dem Beitrag gar nicht um eine grundsätzliche Bewertung des EZB-Plans.
    1. Ich hatte gestern zufällig das Paper über Bernanke entdeckt und wollte eigentlich nur etwas über Bernanke schreiben, als ich über die Passagen mit dem Renditeziel in den USA stolperte. (Mir war die damalige Diskussion unbekannt.) Die Argumente gegen feste Ziele damals entsprechen genau den Argumenten, die heute dagegen vorgebracht werden. Diese Parallelität ist mir aufgefallen und ich fand es interessant, sie hier zu erwähnen. Die Idee, die Diskussion über geheime, eventuell bewegliche EZB-Ziele in Verbindung mit dem Plaza-Akkord zu stellen, hatte ich dagegen schon seit ein paar Tagen. Sie sehen, nicht alles ist Ergebnis großartiger Planung.
    2. Die Schweiz kann theoretisch alle Euro aufkaufen, aber kann sie das in der Praxis? Und wie sähe dann eine sinnvolle Sterilisierung aus? Die EZB kann theoretisch die gesamte italienische und spanische Staatsschuld aufkaufen, aber hielte sie das in der Praxis aus? Bei Zentralbanken sollte man schon unterscheiden zwischen der theoretisch unbegrenzten Feuerkraft als Folge des Geldmonopols und dem, was wirtschaftlich sinnvoll und politisch vertretbar erscheint.
    Gruß
    gb.

  7. @gb
    Ja und nein.
    Ja, ich habe...

    @gb
    Ja und nein.
    Ja, ich habe ihren Beitrag tatsächlich so verstanden, dass Sie, gestützt auf die Fed Diskussion, Zinsziele für eine schlechte Idee halten. Entschuldigen Sie bitte.
    Der Vergleich mit der BoE 1992 leuchtet mir aus 2 Gründen nicht ganz ein.
    1. Ein wichtiger Unterschied ist, dass die BoE die Zinsen sehr lange so hoch hätte halten müssen, dass sie eine Rezession/Depression im UK verursacht hätte. Die Märkte ahnten, dass die BoE das nicht machen würde. Die EZB kann so viele Staatsanleihen aufkaufen wie sie möchte. Falls es zu Inflationsgefahren kommt, müsste sie diese Käufe anderwärtig sterilisieren. Die Märkte können die EZB aber nicht so in die Knie zwingen, wie sie es bei der BoE konnten.
    Der bessere Vergleich ist m.E. mit der Schweiz, wo die SNB eine Wechselkursuntergrenze vorgegeben hat. Auch da können die Märkte die Zentralbank nicht in die Knie zwingen so da die SNB unlimitiert Euro kaufen kann. Etwaige Inflationsgefahren sind beherrschbar und zumindest noch nicht absehbar.
    2. Genau wie Sie schreiben, braucht die Zentralbank die Grenzen nicht öffentlich zu machen. Dies ist im Übrigen bei Wechselkursen sehr verbreitet. Viele Nicht OECD Länder mit angeblich freien Wechselkurses greifen ein, falls ihre Währung zu sehr auf- oder abwertet. In der Literatur (zB Calvo & Reinhart nber 7993) ist dies als “fear of floating” oder “hidden targeting” bekannt.
    Gruß
    TW

  8. FAZ-gb sagt:

    @TrostloseWissenschaft
    "Das...

    @TrostloseWissenschaft
    “Das ist leider knapp am Thema vorbei. In der Fed Diskussion geht es um Geldpolitik an der Nullzinsgrenze. In der EZB Diskussion geht es darum die Zinsenkonditionen in den Ländern, in denen sie weit weg vom geldpolitischen Ziel der EZB sind, zu ändern.”
    Das stimmt, aber darum geht es hier überhaupt nicht.
    Es geht in beiden Fällen um eine identische Frage: Ist es als Zentralbank sinnvoll, ein konkretes Interventionsziel zu nennen? Die Antwort ist offensichtlich “nein”, weil sich die Zentralbank in diesem Falle angreifbar für Spekulanten macht. Ein einprägsames Beispiel bildet auf die vergebliche Pfund-Stabilisierung der Bank of England im Jahre 1992 gegen Soros & Co.
    Gruß
    gb.

  9. Das ist leider knapp am Thema...
    Das ist leider knapp am Thema vorbei. In der Fed Diskussion geht es um Geldpolitik an der Nullzinsgrenze. In der EZB Diskussion geht es darum die Zinsenkonditionen in den Ländern, in denen sie weit weg vom geldpolitischen Ziel der EZB sind, zu ändern. Details in meinem Blog https://www.trostlosewissenschaft.de/2012/08/27/knapp-am-thema-vorbei/

  10. rum sagt:

    "Soll eine Zentralbank...
    “Soll eine Zentralbank Zinsobergrenzen für Anleihen nennen?” — Ich frage: Warum sollte eine Zentralbank Zinsobergrenzen für Anleihen nennen?

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