Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Zur Begründung der Staatsverschuldung durch Carl Christian von Weizsäcker: Eine Replik von Malte Faber

Carl Christian von Weizsäcker hat in einem Interview in diesem Blog eine kapitaltheoretische Begründung der Staatsverschuldung vorgestellt, die auf außergewöhnlich viel Resonanz gestoßen ist. Malte Faber, wie von Weizsäcker ein jahrzehntelanger Experte der Kapitaltheorie, setzt sich mit dem Beitrag seines Kollegen kritisch auseinander.

Carl Christian von Weizsäcker hat in einem Interview in diesem Blog eine kapitaltheoretische Begründung der Staatsverschuldung vorgestellt, die auf außergewöhnlich viel Resonanz gestoßen ist. Malte Faber, wie von Weizsäcker ein jahrzehntelanger Experte der Kapitaltheorie, setzt sich mit dem Beitrag seines Kollegen kritisch auseinander. Wir wissen, dass die Beschäftigung mit der Kapitaltheorie Fachkenntnisse voraussetzt. Wir veröffentlichen Malte Fabers Beitrag dennoch sehr gerne, weil wir das Thema für bedeutsam halten und eine lebhaftere Auseinandersetzung mit der Kapitaltheorie begrüßen würden. (Gerald Braunberger)

Update: Volker Caspari, Professor an der TU Darmstadt, hat sich in den Kommentaren an der Debatte beteiligt.

  

 Von Malte Faber 

 

Mein Kommentar besteht aus zwei Teilen. Im ersten erläutere ich, warum es bei kapitalt Malte Faber Quelle: Privatheoretischen Debatten so leicht zu kontroversen Auseinandersetzungen kommt, im zweiten gehe ich auf zwei spezifische Bemerkungen von Carl Christian von Weizsäcker (CCvW) ein.

 

 1. Kapitaltheoretische Kontroversen

CCvWs These, dass in der Wissenschaft, Politik und den Medien Staatsschulden zu negativ gesehen werden, ist eine so ungewöhnliche Aussage, dass sie zu Widerspruch reizt und damit letztlich eine kapitaltheoretische Kontroverse ausgelöst hat. Das ist nicht überraschend; denn CCvW verwendet, wie weiter unten detallierter ausgeführt, einen spezifischen kapitaltheoretischen Ansatz, nämlich seine Steady-State Capital Theory. Seit Adam Smith (1776) ist die Kapitaltheorie – heute würde man von intertemporalen Entscheidungen und Allokation sprechen – eine der heftigsten umstrittenen Gebiete der Wirtschaftswissenschaften.[4] Zum Beispiel gab es im 19. Jahrhundert ausgedehnte Debatten über Marxens und von Böhm-Bawerks Kapitaltheorien. Anfang des 20. Jahrhunderts fand die berühmte Diskussion zwischen Schumpeter und Böhm Bawerk statt. In den dreißiger und sechziger Jahren wurden zwei große Kontroversen ausgetragen, die von Kaldor (1937) in Econometrica und von Harcourt (1969) im Journal of Economic Literature übersichtsartig dargestellt wurden. Anfang der siebziger Jahre gab es intensive Diskussionen über die neo-österreichische Kapitaltheorie, die von Burmeister (1974) ebenfalls im Journal of Economic Literature behandelt wurde. Bliss (1975: vii) bemerkt daher in seinem umfassenden Buch Capital Theory and the Distribution of Income (North-Holland, Amsterdam):

„When economists reach agreement on the theory of capital they will shortly reach agreement on everything else. Happily, for those who enjoy a diversity of views and beliefs there is very little danger of this outcome. Indeed there is at present not even agreement to what the subject is about.”

Nach meiner Einschätzung hat sich an dieser Beurteilung bis heute nichts geändert. Ich glaube dass das Problem auf zwei Gründe zurückzuführen ist. Der erste ist, dass Ökonomen studieren, wie Menschen in dieser Welt leben, insbesondere wie sie produzieren und wie sie konsumieren, d.h. wie sie ihr Leben im Laufe der Zeit gestalten. Der zweite ist, dass ökonomische Aktivitäten in der Zeit stattfinden, folglich müssen Ökonomen sich auseinandersetzen mit der komplexen Frage, wie ökonomische Tätigkeiten zu einem Zeitpunkt ihre Handlungen an späteren Zeitpunkten beschränken und beeinflussen.

In der Vergangenheit sind daher ganz unterschiedliche Perspektiven verwendet und unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt worden. So hat Solow (1963: x-xi) in seinem Buch Capital Theory and the Rate of Return (North-Holland, Amsterdam) die Bedeutung unterschiedlicher ideologischer Gesichtspunkte der verschiedenen WissenschaftlerInnen aufgrund des engen Zusammenhanges zwischen Kapital und der Einkommensverteilung hervorgehoben. Kann z.B. gezeigt werden, dass der Grenzertrag einer Einheit Kapital gleich der Zinsrate ist und dass diese größer als Null ist, dann scheint es nahezulegen zu behaupten, dass der Kapitalist einen Anspruch auf ein Zinseinkommen hat. Diese Schlussfolgerung ist jedoch genau so wenig zwingend wie die umgekehrte: Kapitalisten haben keinen Anspruch auf Einkommen aus ihrem Vermögen und folglich sei die Zinsrate Null.

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Kapitaltheorie ist sowohl ein (vielleicht sogar der) zentrale Bereich der Wirtschaftswissenschaft und aufgrund der Schwierigkeit, Zeit konzeptionell zu erfassen, und aufgrund des Bezuges zur Einkommens- sowie Vermögensverteilung der umstrittenste und das am wenigsten konsensfähige Feld.

So ist die von CCvW verwendete Steady-State Analyse auch von führenden Neoklassikern kritisiert worden. So schreibt Bliss (1976: 187) in Zarambka, Essays in Modern Capital Theory (Amsterdam, North-Holland):

„Without wishing to suggest that this type of `metastatic´ capital theory is useless and provides no insights, it must be said that it is severely limited in its application. It can treat time only where time is much like space in its effect.”

Andere Kapitaltheorien, wie z. B. die Neo-Österreichische sind aus anderen Gründen (s. z.B. Orosel 1981a, 1981b, Zeitschrift für Nationalökonomie) kritisiert worden.

 

 2. Zwei spezifische Bemerkungen

 (i) Eine Behauptung von CCvW ist:

„Ihre (Bernholzens, M.F.) und Stephans Theorie muss explizit oder implizit voraussetzen, dass es keine Grenze für das Gesetz der Mehrergiebigkeit längerer Produktionsumwege gibt. Das ist eine empirische Annahme, die ich bestreite.” (Email von CCvW an Peter Bernholz 30.07.2012). 

Diese Aussage spezifiziert er in einem anderen Email wie folgt:

Ich sehe heute die grundsätzlichen PHYSIKALISCHEN (sic) Grenzen der sinnvollen Kapitalbindung im Produktionsprozess: die berühmte „Mehrergiebigkeit längerer Produktionsumwege” hat ihre Grenze, die auf dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik beruht.” ( Email von CCvW an Beiratsmitglieder des Wissenschaftlichen Beirates des Wirtschaftsministeriums 30.07.2012).

Diese Aussagen wären zutreffend, wenn die Erde ein in energetischer Hinsicht quasi geschlossenes physikalisches System[1] wäre, was in gewisser Weise zuträfe, wenn wir nur auf nichterneuerbare Ressourcen bei der Energiegewinnung beschränkt wären. Der Übergang zu erneuerbaren Energien erlaubt jedoch Zugriff auf Energien außerhalb des Systems Erde. Die erneuerbaren Energien öffnen somit das System Erde: die Erde ist daher kein in energetischer Hinsicht geschlossenes, sondern ein offenes System.[2] Folglich gibt es aus Gründen des zweiten Hauptsatzes keine Grenze für die Mehrergiebigkeit längerer Produktionswege. In diesem Sinne haben wir 1998 am Ende unserer Ausführungen im Kapitel 5 über „Time in the Natural Sciences: Some Lessons for Economics” [3] zusammenfassend festgestellt:

„…we note that the physical world acts as constraint upon economic activity, while technical progress is the mechanism by which such physical constrains are eased or transformed…In particular the intertemporal physical constraints imposed by considerations of resource depletion and environmental degradation are manifestations of the first Arrow of Time [Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik, M.F.]… while technical progress reflects the generation of novelty [second Arrow of time i.e. self-organization of far-from (thermodynamic-)equilibrium systems, M.F.]”

 

(ii) CCvW verwendet in seinen Beiträgen über Zusammenhang zwischen Staatsschulden, Leistungsbilanzüberschüssen bzw. – Defiziten und optimalen Staatshaushalt einen spezifischen kapitaltheoretischen Ansatz, den er 1971 in seinem Buch Steady State Capital Theory (Springer-Verlag, Heidelberg) entwickelt hat.

CCvW ist sich der Problematik des von ihm verwendeten Steady-State Ansatzes bewusst, d.h. alle Güter bleiben gleich, alle Sektoren, die Bevölkerung und die Produktionsfaktoren verändern sich mit derselben Rate. Er rechtfertigt seine Vorgehensweise mit folgendem Hinweis:

„Insofern ist ein Steady State Modell keine schlechte Annäherung. Hier eine Analogie: Der Fluss des Wassers im Rhein ist voller Turbulenzen. Die Wassermenge, die an einem Punkt pro Sekunde vorbeifließt, schwankt mit den Niederschlägen und mit der Schneeschmelze in den Alpen. Dennoch kann man für viele analytische Zwecke den Begriff der im Jahresdurchschnitt pro Sekunde fließenden Wassermenge gut gebrauchen, weil dies über die Jahre gerechnet ein ziemlich konstanter Wert ist.” (Kommentar von CCvW an Gerald Braunberger im Email vom 25.7.2012.) Hier entspricht die Wassermenge der Gütermenge; es handelt sich jedoch immer um dieselben Güter, da ein Steady-State Modell verwendet wird.

In seinem Vortrag (Deutscher Bundestag Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität, Kommissionsdrucksache 17(26)77, 21. März 2012: 1-2) über „Wirtschaftliches Wachstum und Nachhaltigkeit: eine Begriffsklärung” schränkt CCvW aber die Anwendbarkeit seines Steady Modelles ein:

„Heute wird oft die Frage gestellt und unterschiedlich beantwortet: kann  wirtschaftliches Wachstum weitergehen, wenn wir nachhaltig wirtschaften wollen? Hierzu möchte ich in der kurzen Zeit, die ich hier für meinen Vortrag habe, vor allem Begriffe klären. Das hat dann allerdings auch erhebliche inhaltliche Implikationen.

Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der sich auf die langfristigen Auswirkungen unseres Tuns, etwa unseres Wirtschaftens bezieht. Wir fragen danach: was wird in 100 Jahren sein und wie hängt die Antwort auf diese Jahrhundertfrage davon ab, was wir heute tun?

Wirtschaftliches Wachstum kann man sinnvoll nur messen, wenn man sich auf kurze und bestenfalls mittlere Zeiträume bezieht. Es ist sehr sinnvoll, zu fragen, wie stark das 2012 gewachsen ist. Auch das jährliche Wachstum über einen Zeitraum von fünf Jahren ist mit vernünftigen Maßstäben messbar.

Aber es ist letztlich sinnlos, das wirtschaftliche Wachstum über einen Zeitraum von 100 messen   zu wollen. Das ist den meisten Teilnehmern an der aktuellen Diskussion überhaupt nicht bewusst.  

Ich zeige Ihnen, weshalb  die Frage nach der Höhe der jährlichen wirtschaftlichen  Wachstumsrate des 21. Jahrhunderts völlig sinnlos ist. Ich vergleiche das Jahr 2012 – also unsere Gegenwart – mit dem  Jahre 1912, das seit 100  Jahren in der Vergangenheit liegt. Zur vereinfachten Darstellung fasse ich die in diesen beiden Jahren in Deutschland produzierten Güter in zwei Güter – Konglomerate zusammen, die ich Gut 1 und Gut 2 nenne….

Wenn wir nun das reale Wachstum von 1912 bis 2012 ermitteln wollen, müssen wir uns darauf festlegen, mit welchem Warenkorb wird die Inflation in der beschriebenen Weise errechnet. Zwei Kandidaten bieten sich an: 1. der Warenkorb des Jahres 1912, also 990 Einheiten des Gutes 1 und eine Einheit des Gutes 2. …Legen wir zur Berechnung der Inflation den Warenkorb von 2012 zugrunde, also 400 Einheiten des Gutes 1 und 10´000 Einheiten des Gutes 2,…. Wird mit Warenkorb 1 gerechnet ergibt sich ein Wachstum von 0.3464… [Für den ] Warenkorb von 2012 [ist] das reale Wachstum … bei 4,6 % pro Jahr.

Die jährliche Wachstumsrate liegt somit im einen Fall um eine Größenordnung höher als im anderen Fall.”

„Nehmen Sie als Produkte der Güterklasse 1 zum Beispiel Brot, Leistungen von Hausangestellten, etc. und nehmen Sie als Produkte der Güterklasse 2 Telefongespräche, Rechenmaschinen, Flugreisen, elektronische Geräte, Haushaltsgeräte, wie es sie 1912 überwiegend noch gar nicht gegeben hat – und die insofern damals quasi einen Preis von “unendlich” gehabt haben. Auch der Warenkorb ist heute ein ganz anderer als 1912.

Fazit: es ist eigentlich ziemlich sinnlos, für einen Zeitraum von hundert Jahren eine jährliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts zu messen. Eines wissen wir mit Sicherheit: der Warenkorb, den unsere Nachkommen im Jahre 2112 produzieren und verbrauchen werden, ist uns heute weitgehend unbekannt. Viele der darin enthaltenen Waren und Dienstleistungen können wir uns heute noch gar nicht vorstellen. Die Berechnung des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts im Verlauf des 21. Jahrhunderts mithilfe des heute bekannten Warenkorbes von 2012 ist damit ein völlig verfehltes Gedankenexperiment.

Der Grund für CCvWs oben genannte Schlussfolgerung, dass es nicht sinnvoll ist über lange Zeiträume Wachstumsraten zu ermitteln, ist, dass die Warenkörbe von 1912 und von 2012 so unterschiedlich sind, dass sie gar nicht vergleichbar sind. Hier stellt CCvW selber seinen Steady-State Ansatz in Frage, denn die Staatsschuldenproblematik mit langfristigen Anleihen wird man nicht auf einen Zeitraum von fünf Jahren beschränken wollen.

 


[1] Die genaue physikalische Terminologie ist allerdings: Ein adiabatisch geschlossenes  (oder isoliertes) System ist eines, bei dem mit der Umwelt des Systems weder Materie noch Energie ausgetauscht wird, bei einem geschlossenen System kann mit der Umwelt Energie und bei einem offenen System Energie und Materie ausgetauscht werden können (Baumgärtner, Faber, Manstetten, Proops , „Entropy: a unifyingconcept in ecological economics”, Faber, Manstetten, Proops, Ecological Economics. Concepts and Methods, Edward Elgar, Cheltenham UK, paperback reprinted, 200: Kapitel 6, Seite 99, meine Übersetzung).

[2] Eine ausführliche Diskussion der Implikationen dieser Aussage geben wir in ibid.: Section 7.2.2.1 The Economy as an Open System.

[3] Faber, Proops, Evolution, Time, Production and the Environment, Springer, Heidelberg etc., 3rd and enlarged edition, 1998: 94. Eine ausführliche Darstellung der im folgenden Zitat verwendeten Begriffe des ersten und zweiten Pfeiles der Zeit ist in Kapitel 5 (Seiten 85-87) gegeben (siehe auch Kapitel 7 in Faber, Manstetten, Proops 2002, op.cit.).

[4] Siehe hierzu Faber, Proops, Speck, Capital and Time in Ecological Economics. Neo-Austrian Modelling, Edward Elgar, Cheltenham, UK, 1999: 18 ff und im Folgenden insbesondere Kapitel 2.