Nein – natürlich leben nicht alle deutschen Ökonomen auf einem fernen Planeten. Aber manche deutsche Ökonomen leben, wenn es um die Zusammenhänge von Geldbasis und Inflation geht, auf einem anderen Planeten als Ökonomen, die an moderner Theorie und Empirie arbeiten. Wir stellen die zwei Planeten gegenüber: den Planeten, auf dem deutsche Traditionalisten leben (Planet A), und den “moderneren” Planeten, dargestellt anhand von Autoren der Princeton-School, darunter des Nobelpreisträgers Chris Sims (Planet B).
Von Gerald Braunberger
Planet A: Die Erhöhung der Geldbasis führt zwingend zur (Hyper-)Inflation. Drei Beispiele:
Thorsten Polleit: “Im Zuge des Staatsanleihe-Aufkaufprogramms gibt der EZB-Rat die Kontrolle über die (Basis)Geldmengenentwicklung (endgültig) auf. Fortan bestimmen Angebot von und Nachfrage nach Staatsanleihen die Geldmengenexpansion…Die kommende (Hyper-)Inflation im Euroraum wird weite Teile der Bevölkerung verarmen lassen.”
Joachim Starbatty: “Es gibt langfristig nur eine Ursache von Inflation – die Finanzierung von Staatsdefiziten durch die Notenbank. Aktuelle rezessive Tendenzen mögen das noch überspielen. Aber dass daraus Inflation erwächst, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Mit Münzbetrug wird Draghi den Euro nicht retten können.”
Manfred J.M. Neumann: “Die Zentralbankgeldmenge, international als Geldbasis bezeichnet, ist das Schlüsselaggregat der Geld- und Kreditschöpfung. Diese Geldmenge hat die EZB innerhalb der noch kurzen Amtszeit Draghis um gut 50 Prozent auf 1,8 Billionen Euro angehoben…So beträgt die Verschuldung der italienischen Banken beim Eurosystem inzwischen das 7-fache ihrer Basisgeldreserven, die entsprechende Verschuldung der griechischen Banken sogar das 24-fache. Bei solchen Verhältnissen nur von Bankrott zu sprechen, wäre Bagatellisierung…Wenn sich das Bundesverfassungsgericht nicht der Bürger erbarmt und Draghi ein „Halt” zuruft, wird er den Euro bald vollends demontiert haben.”
Planet B: So etwas erzählt man an guten Wirtschaftsfakultäten nicht einmal mehr in einer Einführungsvorlesung.
Wir zeigen Chris Sims, Professor in Princeton und Nobelpreisträger des Jahres 2011, in einer aktuellen Vorlesung für PhD-Studenten vom September 2012.**) Darin stellt er die “Fiskaltheorie des Preisniveaus” vor. Eingangs befasst er sich mit der Behauptung, die Geldbasis spiele eine Rolle für die Bestimmung des Preisniveaus:
Eine Zusammenfassung der Thesen Sims’:
1. Monetäre Theorien ohne staatliche Budgetbeschränkung und der Annahme, dass Zentralbankgeld nicht verzinst wird, sind obsolet.
2. Das gilt auch für die Vorstellung eines engen Zusammenhangs zwischen der Geldbasis, der Geldmenge und dem Preisniveau. Sie ist ebenfalls obsolet. Ihr liegt die Annahme einer festen Beziehung zwischen der Geldbasis und der Geldmenge zugrunde, sprich ein stabiler Geldmultiplikator. Aber: “In good places the money multiplier is no longer taught in Ec1.” Warum? Weil Zentralbanken heute Mindestreserven verzinsen, was die Banken dazu veranlasst, freiwillig Überschussreserven bei der Zentralbank zu halten, zumal wenn die Reserven höher verzinst werden als kurzfristige Geldmarktanlagen. Daraus folgt: “Interest on reserves blows up the money multiplier.” Und: “The relation between the actual reserves and the money stock is completely out the window.” *)
3. Daraus folgt auch: Die speziell deutsche Furcht, als Folge einer Aufblähung der Geldbasis durch EZB-Käufe von Staatsanleihen müsse irgendwann die Inflationsrate explodieren, ist in einem modernen Sinne unwissenschaftlich. Die Fed und die Bank of England kaufen seit Jahren hohe Bestände an Staatsanleihen. Wo ist die hohe Inflation in GB und in den USA?
4. Anschließend erläutert Sims ausführlich die “Fiskaltheorie des Preisniveaus”, die von ihm mitentwickelt wurde. Die Kernthese lautet: Die Geldpolitik bestimmt nicht alleine das Preisniveau, Geldpolitik und Finanzpolitik sind enger miteinander verbunden als oft geglaubt. Wir wollen die “Fiskaltheorie des Preisniveaus” bei Gelegenheit in FAZIT behandeln.
*) Das ist für jeden offensichtlich, der sich die Daten anschaut, z.B. den entsprechenden Chart in diesem Artikel.
– Daraus folgt nicht, dass die Entwicklung breiter gefasster Geld- oder Kreditmengen (also nicht der Geldbasis) irrelevant wäre: Sie ist, worauf moderne Arbeiten anderer Vertreter der Princeton-School wie Hyun Song Shin oder Markus Brunnermeier und Yuliy Sannikov (“A theory of money needs a proper place for financial intermediaries”) hinweisen, wichtig für die Beurteilung der Frage, inwieweit Risiken für die Finanzstabilität durch kreditfinanzierte Vermögenspreisblasen entstehen, nach deren Platzen das Banksystem in Not gerät. “Money (or credit) matters”, aber anders, als es deutsche Traditionalisten darstellen: Nicht die Geldbasis alleine zählt, sondern, was im Finanzsektor insgesamt geschieht. Hier kann man aber nicht mechanistisch argumentieren, sondern muss sich Verhaltensfunktionen von Finanzintermediären anschauen.
– Daraus folgt auch nicht, dass Staatsanleihenkäufe von Zentralbanken unproblematisch wären. Nur ist das Problem nicht Inflationsgefahr als Folge der Aufblähung der Geldbasis, das Problem ist institutionenökonomischer Natur, wenn die Zentralbank infolge ineffizienten Regerungshandelns zu einem Versicherer gegen makoökonomische Großrisiken wird und damit über ihre normale Aufgaben hinauswächst. Dann kann es sein, dass die Zentralbank das Ziel der Inflationsbekämpfung hinten anstellt, wenn einmal Inflationsgefahr existiert. Siehe hierzu das aktuelle Papier von Brunnermeier/Sannikov aus Jackson Hole, das wir in FAZIT kürzlich vorgestellt haben.
**) Es ist nicht unser Thema in diesem Beitrag, aber wer wissen will, was heutzutage an einer international führenden Universität auf dem Gebiet Money/Finance/Macro für Doktoranden gelehrt wird, findet in diesem Link Informationen, die für Professoren und Studenten in Deutschland von Interesse sein könnten. (Den Beitrag über die Geschichte der Makroökonomik haben wir in FAZIT bereits vorgestellt.) Die Idee dieser Princeton-Initiative ist: “Following the Princeton tradition of incorporating financial frictions in macroeconomic models – scholars like Ben Bernanke come to mind – this camp brings together top 2nd year Ph.D. students who wish to write a Ph.D. thesis at the intersections between Macroeconomics and Finance. The recent experience starting with the run-up of imbalances and bubbles in the first decade of the 21st century, followed by a severe financial crisis that ultimately led to the Great Recession, calls for new frameworks to study macro-prudential policy tools and to design a new international financial architecture. The aim of this meeting is to bridge the gap between modern finance and macroeconomics and expose the best students from across the country to macroeconomic models with financial frictions and /or non-standard expectations.” (Dank an Markus Brunnermeier für den Hinweis auf die Princeton-Initiative).
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