Fazit – das Wirtschaftsblog

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Goethe, das Geld und die aktuelle Krise (4): „Immer neue Gräber auf dem Friedhof der Papiergeldwährungen“

  Eine Tagung über „Papiergeld - Staatsfinanzierung - Inflation. Traf Goethe ein Kernproblem der Geldpolitik?" des Instituts für bankhistorische...

 

Eine Tagung über „Papiergeld – Staatsfinanzierung – Inflation. Traf Goethe ein Kernproblem der Geldpolitik?” des Instituts für bankhistorische Forschung

Von Philip Plickert

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„Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff’ es denn” – so sagt der Kaiser zu Mephisto, der auch schon eine Idee hat: Papiergeld. In Goethes „Faust”, dem zweiten Teil der Tragödie, scheint die zauberhafte Zettelwirtschaft zunächst alle Finanzprobleme leichthin zu lösen. Der Staat kann sich seiner Schulden entledigen, die private Konsumnachfrage steigt, es gibt einen Wirtschaftsaufschwung. „Im weiteren Verlauf artet das Treiben jedoch in Inflation aus und das Geldwesen wird infolge der rapiden Geldentwertung zerstört”, erinnerte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann am Dienstag in seiner Begrüßung zum Goethe-Symposium des Instituts für bankhistorische Forschung, das sich auch von der Goethe-und-das-Geld-Begeisterung hat anstecken lassen, die in dieser Woche über Frankfurt liegt. Goethe war wirtschaftswissenschaftlich gebildet, in seiner Bibliothek gab es allein 46 Ökonomie-Bücher, hob Otmar Issing, der frühere EZB-Chefvolkswirt, auf der Veranstaltung hervor.

„Es ist beeindruckend, dass und wie Goethe den potentiell gefährlichen Zusammenhang von Papiergeldschöpfung, Staatsfinanzierung und Inflation – und somit ein Kernproblem ungedeckter Währungsordnungen – in Faust II beleuchtet”, betonte der Bundesbank-Präsidenten. Und natürlich klingt es den Zuhörern auch wie eine versteckte aktuelle Kritik am geplanten neuen EZB-Anleihekaufprogramm, das die Bundesbank als zu nah an monetärer Staatsfinanzierung ablehnt. Auch wenn Weidmann daran erinnert, dass „staatliche Notenbanken früher oft gerade deshalb geschaffen (wurden), um den Regenten möglichst freien Zugriff auf scheinbar unbegrenzte Finanzmittel zu geben.” Gegen eine staatliche Vereinnahmung der Geldpolitik müsse man sich in jedem Fall verwahren.

Auch Otmar Issing warnte eindringlich vor einer unbegrenzten Geldschöpfung. Zu Goethes Zeit hatte Europa schon mehrere Papiergeld-Experimente erlebt, die allesamt in Crashs geendet waren. Erst der Schwindel des John Law, dann die Assignaten-Währung im revolutionären Frankreich. Schon im dreizehnten Jahrhundert endete in China das erste Papiergeld „im Sumpf der Inflation”. Der damalige Song-Kaiser soll, so berichtete Issing, wegen der monetären Zerrüttung und aus schlechtem Gewissen „zehn schlaflose Jahre” gehabt haben – „Es ist nicht bekannt, dass irgendein Notenbanker je ähnliche lange Schlaflosigkeit erlitten hat”, fügte Issing hinzu. Der chinesische Kaiser schließlich versuche noch, einen Teil der Papiergeldflut zurückzukaufen und zu verbrennen, doch 1264 kollabierte das System endgültig. Derzeit erlebt Zimbabwe eine Hyperinflation, so dass Geldscheine dort zum Teil schon als Toilettenpapier genutzt werden.

„Auf dem Friedhof der Papiergeldwährungen werden immer neue Gräber ausgehoben”, kommentierte Issing sarkastisch. Die Idee einer Rückkehr zum Goldstandard hält er jedoch für utopisch. „Als Mahnung” gegen Papiergeldmissbrauch sei sie ja noch einzusehen, aber dennoch „keine ernsthafte Option”. Der Goldstandard habe sich ja auch nur als „Schönwetterstandard” erwiesen, denn in echten großen Krisen sei die goldene Bremse doch stets entfernt worden. Milton Friedmans Geldmengenregel-Konzept hatte viel für sich, vor allem weil es die Macht der Geldpolitik-Technokraten begrenzte. Auch Walter Eucken war skeptisch, ob man Zentralbankern zu viel zutrauen sollte, und plädierte lieber für eine automatische Währungsverfassung. Friedmans Geldmengenregel jedoch hat, so Issing, eine „gravierende, irreparable Schwäche”. Welches Geldmengenaggregat soll denn bitteschön mit einer festen Rate wachsen? Gibt es technische Innovationen im Finanzwesen, verändern sich die Geldmengen und ihre Bedeutungen – die alte Regel stimmt dann nicht mehr. Hayeks Idee eines Wettbewerbs der Währungen, theoretisch wohl sehr ansprechen, erteilte Issing doch eine Absage, denn bei einer Vielzahl konkurrierender Währungen seien die Transaktions- und Informationskosten einfach zu hoch, bei wenigen Währungen gebe es die Gefahr eines Oligopols zum Schaden der Verbraucher.

Letztlich verteidigte Issing das alte EZB-Konzept der unabhängigen Zentralbank, die sich strikt an der Preisstabilitätspolitik orientiert und Übergriffe der Regierungen zurückweist. Vom Publikum gab es viel Beifall für die Ausführungen des ehemaligen EZB-Chefvolkswirts, der zuletzt, noch Karl Popper zitierte. „Institutionen sind wie Festungen. Sie müssen klug angelegt und richtig bemannt sein” –  eine kleine versteckte Kritik an der heutigen EZB?

Im folgenden Vortrag analysierte der Wirtschaftshistoriker Michael Bordo von der Rutgers University frühere Schuldenkrisen und wie sie endeten: Die überschuldete Weimarer Republik benutzte die Druckerpresse und ließ die Schulden in Hyperinflation aufgehen, weniger destruktiv war der Weg Frankreichs in den zwanziger Jahren. Anders als Großbritannien (1926) ging es nicht schon früh zum Goldstandard zurück und auch nicht zur Vorkriegsparität, sondern wertete die Währung längere Zeit ab, bis Poincaré einen politischen Konsens zur Stabilisierung erreichte. Eine ähnliche Lösung könnte es auch diesmal geben, meint Bordo. Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten die Staaten ihre Schulden ab durch eine Mischung aus starkem Wachstum, finanzieller Repression und Inflation. Nun ist das Wachstum aber absehbar viel niedriger. „Daher wäre das Ausmaß an Inflation, das zum Schuldenquotenabbau benötigt wird, heute sehr viel höher als in der Nachkriegszeit”, führte Bordo aus. Und es würde schwierig, weil die Inflationserwartungen schnell nach oben schießen könnten.

Wie sehr der Staat von Inflation profitieren kann, zeigte der Finanzwissenschaftler Kai Konrad vom Max-Planck-Institut für Steuern in München – nämlich durch eine Entwertung des Bestandes an umlaufenden Anleihen, die mit wertloserem Geld getilgt werden und durch die Scheingewinnbesteuerung. Die Bestandseffekte von überraschender, nicht antizipierter Inflation sind um so höher, je länger die Restlaufzeit der umlaufenden Schulden ist, im Falle Deutschlands sechs bis sechseinhalb Jahre. „Bei 2 Prozentpunkte zusätzlicher Inflation wird die Staatsschuld um circa 10 Prozent reduziert”, rechnete Konrad vor. Und fast 50 Prozent der Staatsschuld werde von Ausländern gehalten. Selbst wenn die Inflation vollständig antizipiert werde und zu höheren Nominalzinsen führe, profitiere der Staat, weil er die inflationären Scheingewinne besteuere.

Nicht nur bei inflationsbedingt höheren Zinserträgen schlägt der Fiskus zu. Auch bei Veräußerungsgewinnen auf Aktien und Immobilien, die bloß die Geldentwertung widerspiegeln, kassiert der Fiskus. Unternehmen werden auch bei Realinvestitionen zur Kasse gebeten, weil die Abschreibungen in späteren Jahren weniger (reale) Steuerersparnis bringen (wegen des Nominalwertprinzips). Die Bürger müssen bei Inflation auch mehr Steuern zahlen, da sie durch die kalte Progression in höhere Steuersätze rutschen. Alles in allem findet Konrad, dass die Verlockung für den Staat also recht hoch sei, sich durch Inflation zu entschulden.

In der abschließenden Podiumsdiskussion „Was wird aus unserem Geld?” klang recht viel Pessimismus durch. Der Kurs der Euro-Rettung stieß auf viele Vorbehalte. Bundesbank-Vorstand Joachim Nagel kritisierte, „derzeit werden erst die Risiken vergemeinschaftet, aber die Kontrollrechte werden hintenangestellt”. Issing sprach von einer „abschüssigen Ebene, die immer glitschiger wird”. Den Vorschlag der EU-Kommission, innerhalb von drei Monaten eine Bankenaufsicht aus dem Boden zu stampfen, nannte er unglaublich und ein durchsichtiges Manöver, um eine vergemeinschaftete Einlagensicherung gegen deutsche Interessen hinzubekommen. Konrad äußerte Zweifel, ob es mit „oktroyierten Institutionen” gelingen werde, die Krisenländer wettbewerbsfähig zu machen. Er selbst wünscht sich lieber eine Rückkehr zu nationalen Verantwortlichkeiten und nationaler Haftung in der Fiskalpolitik. Thomas Mayer, der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, blies in genau dasselbe Horn. Er sieht die Währungsunion in eine „lateinischen Währungsunion” degenerieren, mit höherer Inflation und schwächerer Währung. Die Chance liege bei 55 gegen 45 Prozent, dass es zu einer Weichwährung komme, meint Mayer. Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) eierte ein wenig herum, als er nach seiner Meinung zu den EZB-Anleihekäufen gefragt wurde. Aus der verschwurbelten Antwort war herauszuhören, dass er zwar Risiken sieht, aber die Käufe nicht durch Kritik behindern will. Schäfer sagte auch, dass die europäischen Länder noch sehr viel mehr Kompetenzen und Souveränität übertragen müssten an Brüssel – und dass dann „eine Volksabstimmung nach Artikel 146 des Grundgesetzes möglicherweise in einer früheren Zeit kommen werde, als viele denken”.

Von Goethe hatte sich die Diskussion da schon weit entfernt. Obwohl: Auch er war Finanzminister und plagte sich mit einem überschuldeten Staat – und doch blieb er monetärer Staatsfinanzierung durch „Zauberblätter” abgeneigt, auch deshalb, erklärte der Historiker Gerd Müller von der Klassik Stiftung Weimar, weil dann sein eigenes Gehalt in (möglicherweise weniger werthaltigem) Papiergeld bezahlt worden wäre. Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach erhielt das erste Papiergeld daher erst einige Jahre nach Goethes Tod.

 

Die Abbildung zeigt den Entwurf eines 100-DM-Scheins mit Goethe-Motiv von Hermann Virl von 1948 für die Bank Deutscher Länder. In der Bundesrepublik kam es nie zu einem Goethe-Motiv auf einem Geldschein, wohl aber gab es mehrere davon in der DDR.