Jens Weidmann habe in der Theorie ja recht, wenn er sich gegen den Ankauf von Staatsanleihen wende, sagt Ex-Deuschbanker Josef Ackermann. Aber in der heutigen Krise Europas müsse man pragmatisch sein und alles zur Rettung der Gemeinschaftswährung tun: Und deshalb mache Mario Draghi alles richtig. Eine Fernsehkritik.
Von Rainer Hank
Dampfplauderer Daniel Cohn-Bendit hatte in der Sendung „Banker trifft Revoluzzer” (Ackermann gegen Cohn-Bendit) bei Günther Jauch am 30. Oktober einen einzigen lichten Moment. Als Joseph Ackermann sich als „leidenschaftlicher Europäer” outet und hinzufügt, EZB-Chef Mario Draghi gehe ja bis zum Äußersten wenn er im Interesse des Euros jetzt unbegrenzt Staatsanleihen kaufe, kam es von Cohn-Bendit wie aus der Pistole geschossen: „Also hat Bundesbank-Präsident Weidmann unrecht?” Nach einer Schrecksekunde antwortete Ackermann, Weidmann habe in der Theorie recht, in der jetzigen Situation müsse man aber pragmatisch handeln, so wie Draghi.
Der argumentative Ausweg, den Ackermann anbietet, ist bekann. Aber er ist völlig unbefriedigend. Den „Gemeinspruch, das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis” hat schon Immanuel Kant als Strategie entlarvt, Menschen, die einem nicht passen, der Irrelevanz zu überführen: dass sie eben „leeren Idealen und philosophischen Träumen nachgegangen” seien (https://www.zeno.org/Philosophie/M/Kant,+Immanuel/%C3%9Cber+den+Gemeinspruch%3A+Das+mag+in+der+Theorie+richtig+sein,+taugt+aber+nicht+f%C3%BCr+die+Praxis).
Man muss sich dann der Frage gar nicht mehr stellen, ob oder ob nicht „etwas der Fall einer Regel sei oder ob nicht”. Weidmann hat dies aber im Fall der EZB präzise geprüft. Hier gibt es ja gerade Regeln, die klar besagen, dass die Zentralbank der Stabilität der Währung verpflichtet ist und nicht zur Finanzierung der Staaten missbraucht werden darf. Also ist die Theorie (die Regel) genau auf diesen Fall anwendbar und die Urteilskraft stellt fest, dass der Ankauf von Staatspapieren (am Sekundärmarkt) von der Regel nicht gedeckt ist. Aber auch Draghi argumentiert gerade nicht „pragmatisch” wie Ackermann: Er will umgekehrt den Nachweis führen, dass alles, was er macht, Geldpolitik und nicht Fiskalpolitik sei und deshalb natürlich von der Theorie gedeckt sei. Draghi und Weidmann sind also beide der Meinung, man könne die Theorie nicht suspendieren und sich mit Pragmatik aus der Verantwortung stehlen. Sie unterwerfen sich beide der Regel, kommen nur zu anderen Schlüssen, ob das Handeln unter die Regel fällt oder nicht.
Ackermann dagegen schiebt seine unbefriedigende Lösung nur vor, um zu verschweigen, dass Draghis Lösung der Eurorettung insbesondere eine Lösung zur Bankenrettung ist. Die Banken (ihre Gläubiger) kommen ungeschoren davon, wenn die EZB in der Not den Staaten beispringt. Dass ist der Ertrag des Pragmatismus, für den Ackermannn sich von der Vernunft verabschiedet. Statt für das eingegangene Risiko zu haften, wird die Haftung von den Banken an die EZB (im Zweifel also an die Vermögenden, deren Ersparnisse inflationiert werden) delegiert. Da weiß man, was man an solchen „leidenschaftlichen Europäern” hat.
Gegenüber dem „Gemeinspruch, das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis”, ist – das könnte eine theoretische Regel werden – stets Skepsis angebracht: Sie wird meist eingesetzt, um die persönlichen Interesse (oder die der Branche) zu verschleiern. Wer sagt, in der Krise, müsse man ordnungspolitischen Schweinkram (Michael Hüther) machen, verschleiert den eigenen Schweinkram (https://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=4205).