Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Das spanische Paradoxon (1): Warum steigen die Exporte, obwohl die Wirtschaft (angeblich) nicht wettbewerbsfähig ist?

Spanien zeigt: Traditionelle Kriterien der Wettbewerbsfähigkeit wie der BIP-Deflator oder die Lohnstückkosten erklären nicht alles. Wir werfen einen Blick auf ein Duell zwischen der Deutschen Bundesbank und Hans-Werner Sinn, schauen, was moderne Ökonomen beisteuern und gelangen zu der alten Erkenntnis, dass nicht Länder, sondern Unternehmen exportieren.

Spanien zeigt: Traditionelle Kriterien der Wettbewerbsfähigkeit wie der BIP-Deflator oder die Lohnstückkosten erklären nicht alles. Wir werfen einen Blick auf ein Duell zwischen der Deutschen Bundesbank und Hans-Werner Sinn, schauen, was moderne Ökonomen beisteuern, und gelangen zu der alten Erkenntnis, dass nicht Länder, sondern Unternehmen exportieren.

Von Gerald Braunberger

 

“As suggested by recent economic literature, our working hypothesis is that external competitiveness is an expression of high firm-level productivity.”
Carlo Altomonte, Tommaso Aquilante & Gianmarco Ottaviano

(Aktualisierung 12. Dezember 2012: Wir haben unter 3.4. eine Einschätzung der Commerzbank hinzugefügt.)
(Aktualisierung 28. Dezember 2012: Wir haben in Absatz 1 aktuelle Zahlen aus der Leistungsbilanz hinzugefügt.)
(Aktualisierung 7. Januar 2013: Wir verweisen auf ein OECD-Arbeitspapier zur Produktivitätsentwicklung, das einen erheblichen Reformbedarf in Spanien diagnostiziert.)
(Aktualisierung 17. Januar 2013: Wir haben unter 3.5. eine Einschätzung von Goldman Sachs ergänzt.)
(Aktualisierung 26. Januar 2013: Die Bank von Spanien beschreibt in einem Aufsatz Veränderungen in der spanischen Exportwirtschaft.)

 

 

1. Fakten zu Spanien: Die Exporte steigen

Seit rund einem Jahr findet sich in Arbeiten von Ökonomen der Begriff “spanisches Paradox(on)”. Gemeint ist einerseits die empirische Beobachtung, dass sich die spanische Exportwirtschaft seit der Euro-Einführung überwiegend wacker schlägt, andererseits in ökonomischen Untersuchungen Spanien ein bedeutender Verlust an Wettbewerbsfähigkeit bescheinigt wird. Beginnen wir mit ein paar Fakten zur spanischen Wirtschaft:

Die spanischen Exporte von Gütern und Diensteistungen sind seit der Einführung des Euro mit Ausnahme des Krisenjahres 2009 gewachsen; nach OECD-Daten von 166 Milliarden Euro im Jahr 2000 bis auf 422 Milliarden Euro im Jahr 2008. Rund zwei Drittel der Ausfuhren entfallen auf Güter und rund ein Drittel auf Dienstleistungen, wobei im Falle Spaniens bei den Dienstleistungen der Tourismus natürlich eine herausragende Rolle spielt. Die Grafik aus dem Bundesbank-Monatsbericht (die mit der Abbildung realer Quartalsdaten mit dem Basisjahr 2005 einen etwas anderen Maßstab verwendet) zeigt, dass die Exporte von Gütern nach der Delle im Jahr 2009 wieder zunehmen.

(Aktualisierung 28. Dezember 2012: Nach Angaben der Bank von Spanien weist die Leistungsbilanz für den Oktober 2012 einen Überschuss von 865 Millionen Euro aus – das ist der dritte Monat mit einem Überschuss seit der Einführung des Euro. Im Oktober 2011 war ein Defizit von 1,363 Milliarden Euro angefallen. Die Verbesserung ist im wesentlich das Ergebnis steigender Güterexporte – sie sind von 19,9 auf 21,9 Milliarden Euro gestiegen. Im Zehn-Monatsvergleich Jan.-Okt. hat sich das Leistungsbilanzdefizit von 31,7 auf 14,9 Milliarden Euro reduziert. Die Güterexporte haben von 184,7 auf 191,7 Milliarden Euro zugenommen, die Einnahmen aus Dienstleistungen von 86,6 auf 91,9 Milliarden Euro.)

Bild zu: Das spanische Paradoxon (1): Warum steigen die Exporte, obwohl die Wirtschaft (angeblich) nicht wettbewerbsfähig ist?

Der Anteil der Exporte am BIP hat sich in dieser Zeit recht stabil meist leicht über 25 Prozent gehalten *).  Das bedeutet: Selbst in den Jahren des binnenwirtschaftlichen Baubooms hat die Exportbranche in etwa mit dem Wachstum der Binnenwirtschaft mitgehalten. Das hat unter anderem zwei Konsequenzen: Das Exportwachstum leistet heute einen Beitrag zum drastischen Abbau des Leistungsbilanzdefizits. Dies ist natürlich zu einem nicht geringen Teil ein Ergebnis rückläufiger Importe, aber es tragen hierzu eben auch die wachsenden Exporte bei, wobei abzuwarten bleibt, wie nachhaltig diese Entwicklung ist.

Bild zu: Das spanische Paradoxon (1): Warum steigen die Exporte, obwohl die Wirtschaft (angeblich) nicht wettbewerbsfähig ist?

Ferner zeigt eine Betrachtung dessen, wie sich der Anteil einzelner Länder am Welthandel entwickelt hat, dass Spaniens Anteil ebenso wie jener anderer Industrienationen zurückgegangen ist (vor allem wegen des Aufstiegs von Schwellenländern wie China), aber Spanien hat sich im Vergleich zu anderen Industrienationen recht gut geschlagen. Hier ein paar Zahlen: Der Anteil Chinas am – stark gestiegenen – Welthandel ist von 2000 bis 2010 außerordentlich kräftig von 3,9 auf 10,4 Prozent gestiegen. Im Gegenzug haben Industrienationen beim Marktanteil Federn lassen müssen: Der Anteil der Vereinigten Staaten sank von 12,1 auf 8,4 Prozent, der Anteil Großbritanniens von 4,3 auf 2,7 Prozent, der Anteil Frankreichs von 5,1 auf 3,4 Prozent. Ganz gut gehalten haben sich Deutschland mit einem Rückgang von 8,6 auf 8,3 Prozent – und Spanien, wo ein Rückgang von nur 1,7 auf 1,6 Prozent verzeichnet wurde.

Welche Produkte führt die spanische Wirtschaft aus? Mit weitem Abstand liegen Autos an der Spitze (der Exportanteil betrug 2011 immerhin 35,5 Prozent; Spanien beherbergt 18 Fabriken, die mehr mehr Autos herstellen als die Fabriken in Frankreich oder Großbritannien), gefolgt von Maschinen und elektrischen Geräten, chemischen Produkten, Grundstoffen, landwirtschaftlichen Produkten und Textilien.

Wohin werden die Exportprodukte verkauft? Überwiegend nach Europa, allerdings sinkt der europäische Anteil im Zuge einer geografischen Neuorientierung. Der Anteil Europas sank zwischen 2000 und 2010 von 73,4 auf 67,7 Prozent. Rund 20 Prozent der Ausfuhren gehen nach Frankreich, rund 11 Prozent nach Deutschland und etwa 8 Prozent nach Portugal. Die spanischen Exporteure sind eher schwach in den Vereinigten Staaten und in den Bric-Ländern, wobei die Ausfuhren in die Bric-Staaten auf niedrigem Niveau zunehmen.

 

2. Traditionelle Messungen der Wettbewerbsfähigkeit: Die Deutsche Bundesbank widerspricht Hans-Werner Sinn

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft zu messen. Die beiden wichtigsten Indikatoren, die auch in den Debatten um die Euro-Peripherie immer wieder auftauchen, sind der BIP-Deflator und die Lohnstückkosten. Mit ihnen lassen sich Aussagen zur preislichen Wettbewerbsfähigkeit treffen. Beide Indikatoren sind durchaus sinnvoll und liefern wertvolle Aufschlüsse, sofern man sich ihrer Eigenarten und ihrer Probleme bewusst ist.

Ihr großer Vorteil: Sie lassen sich leicht berechnen und die dafür notwendigen Daten sind rasch und (einigermaßen) zuverlässig verfügbar. Das ist ein Grund für ihre Beliebtheit.
Ihr Problem: Es sind Indikatoren für die Gesamtwirtschaft – und nicht nur für die im internationalen Wettbewerb stehende Exportbranche – und damit (zu) grobe Schwerter, wie sich zeigen lässt.

Der BIP-Deflator beschreibt das Preisniveau des gesamten Bruttoinlandsprodukts (BIP); er bemisst sich aus dem Quotienten des nominalen und des realen BIP. Mit dem BIP-Deflator kann man zeigen, dass seit der Einführung des Euro das Preisniveau in der Peripherie um 20 bis 30 Prozent gegenüber dem Preisniveau in Deutschland zugenommen hat und daraus kann man ableiten, dass die Peripherie-Staat an preislicher Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland verloren haben. Der derzeit wohl extremste Vertreter des BIP-Deflator ist Hans-Werner Sinn, der ihn mehr oder weniger als alleine aussagefähigen Wettbewerbsindikator für die Währungsunion wahr nimmt. Sinns Argument lautet, dass, gemessen am BIP-Deflator, die Peripherie nicht genügend Wettbewerbsfähigkeit im Euro gewinnen könne, weshalb Peripheriestaaten zumindest vorübergehend aus dem Euro ausscheiden sollten. Iin den vergangenen Jahren ist der BIP-Deflator auf Jahresbasis in Irland gesunken, in den anderen Peripheriestaaten aber unverändert geblieben oder sogar leicht gestiegen.

Sinns alleiniges Beharren auf dem BIP-Deflator ist aber mindestens fragwürdig, wie die Deutsche Bundesbank in ihrem November-Monatsbericht feststellt. Dort heißt es, in der konkreten Situation der Peripherieländer sei die Aussagekraft des BIP-Deflators eingeschränkt: “Der Hauptgrund ist, dass eine Vielzahl von Anhebungen indirekter Steuern und administrierter Preise zu Konsolidierungszwecken seit geraumer Zeit die Konsumentenpreise und den Deflator der Inlandsnachfrage nach oben treibt, während die Exportpreise davon kaum berührt werden.”

Die Bundesbank hält die Lohnstückkosten (das ist der Quotient aus den Bruttoarbeitsentgelten und dem BIP) für den geeigneteren Wettbewerbsindikator: “Alles in allem belegt der Indikator der preislichen Wettbewerbsfähigkeit auf Basis der Lohnstückkosten erste Schritte zur Herstellung wettbewerbsfähiger Kostenstrukturen. Er zeigt seit dem ersten Quartal 2008 Verbesserungen von 17½% in Irland, 11½% in Spanien, 10½% in Griechen land und 8¼% in Portugal an. Für Italien wird dagegen keine nennenswerte Veränderung ausgewiesen.” Sinn wiederum hält umgekehrt die Entwicklung der Lohnstückkosten für einen deutlich weniger brauchbaren Indikator als den BIP-Deflator. Seine Argumentation lautet, dass die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten in erster Linie gestiegen seien, weil in binnenwirtschaftlichen Branchen wie dem Bau massenhaft Arbeitskräfte mit niedriger Produktivität entlassen worden seien. Das ist zwar arithmetisch nicht falsch, aber Sinns kategorische Zurückweisung der Lohnstückkosten wird nicht nur von der Bundesbank kopfschüttelnd aufgenommen.

Bild zu: Das spanische Paradoxon (1): Warum steigen die Exporte, obwohl die Wirtschaft (angeblich) nicht wettbewerbsfähig ist?

Im Monatsbericht der Bundesbank heißt es hierzu: “Die erhöhten Produktivitätssteigerungen in Irland, Portugal und Spanien rühren zum einen daher, dass in der Krise sektorübergreifend – wie in diesen Konjunkturlagen üblich – vermehrt weniger rentable Unternehmen aus dem Markt gedrängt wurden. Zum anderen wurde vor allem in jenen Branchen Beschäftigung abgebaut, in denen zuvor konjunkturelle Übertreibungen die Einstellung von Arbeitskräften mit vergleichsweise geringer Arbeitsproduktivität lohnenswert gemacht hatten. Vor diesem Hintergrund stellen der Schrumpfungsprozess dieser Wirtschafts bereiche in den letzten Jahren und die damit einhergehende Produktivitätssteigerung für sich genommen eine notwendige und ökonomisch sinnvolle Korrektur dar. Es ist deshalb auch nicht gerechtfertigt – wie es in der öffentlichen Diskussion gelegentlich geschieht – diese sogenannte Entlassungsproduktivität gewissermaßen als einen Beitrag zweiter Klasse zum Rückgang der Lohnstückkosten darzustellen.”

Ein Problem mit den Analysen von Sinn wie von der Bundesbank ist, dass sie mit gesamtwirtschaftlichen Daten hantieren, für die internationale Wettbewerbsfähigkeit aber in erster Linie die Verhältnisse in den Exportbranchen wichtig sind (wobei die genaue Abgrenzung zwischen exportorientierten und binnenwirtschaftlichen Branchen nicht ganz einfach ist, weil viele Unternehmen Produkte im In- wie im Ausland verkaufen). Immerhin, hier kommt eine grafische Annäherung an die Verhältnisse in der spanischen Exportwirtschaft:

Bild zu: Das spanische Paradoxon (1): Warum steigen die Exporte, obwohl die Wirtschaft (angeblich) nicht wettbewerbsfähig ist?

 

Wir haben hier einerseits als Deflator das Preisniveau für Außenhandelsgüter, und hier zeigt nun auch der Deflator seit dem Jahr 2009 einen Rückgang, und zwar von von etwa 117 auf 110 Punkte. Daneben haben wir in Blau die Lohnstückkosten nur im verarbeitenden Gewerbe, von dessen Produkten ein nicht geringer Teil in den Export geht. Diese Lohnstückkosten sind deutlich zurückgegangen. (Die rote Linie interessiert für den hier behandelten Zusammenhang nicht.)

 

 

3. Was meinen andere Ökonomen?

In dem Duell zwischen der Bundesbank und Sinn scheint mit Blick auf die Fakten die Bundesbank besser auszusehen. Hören wir ein paar andere Stimmen von Ökonomen; an Sachkunde kann es nie mangeln:

3.1. Zunächst die Ökonomen der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley, die in den vergangenen Monaten mehrere Studien über die Peripherie verfasst haben. **) Morgan Stanley ist näher bei der Bundesbank als bei Sinn, unter anderem mit dem Verweis, dass die Produktivitätsverbesserungen schon vor der Krise begonnen hätten, es also nicht nur um “Entlassungsproduktivität” gehen kann. Außerdem verweist Morgan Stanley auf Arbeitsmarktreformen. Hinzu kommt noch eine fiskalische Abwertung (ein Konzept, mit dem wir uns kürzlich in FAZIT ausführlich befasst haben):

“What’s Behind the Improvement in Competitiveness?

Productivity is picking up… The adjustment in Spain is happening at a faster pace than anticipated, courtesy of unexpected economic flexibility. This is reflected in Spain’s remarkable productivity gains (up 2.7%Y in 2Q and rising since 2006, i.e., before the economic crisis), both relative to the previous 15 years – which witnessed a very poor productivity record – and compared to its European neighbours.
…courtesy of the ongoing adjustment in the job market… In Spain, while the decline in GDP – following the ‘Great Recession’ back in 2009 – has not been as sharp as in Germany and Italy, employment has plummeted to a much greater extent. So, labour productivity growth has accelerated, in stark contrast to the slowdown registered elsewhere in the eurozone.
…also thanks to labour reforms… These productivity gains – which are proving to be quite sustained – have lowered ULCs, thus boosting export competitiveness. This might prompt an export-led recovery and help economic rebalancing. With domestic demand growth likely to be subdued even in our best case scenario, and an economy that is unlikely to be driven primarily by domestic factors as was the case during the boom years, this is perhaps Spain’s best chance to get back to a decent growth path at some point.
…and a ‘fiscal devaluation’ – of sort: The labour market reform should facilitate this rebalancing process, by allowing employers and employees to negotiate wage and various other working conditions more flexibly and in a rather decentralised fashion. In turn, this might help to keep a lid on workers’ compensation demands. Similarly, by hiking VAT and cutting social securities contributions, the recent fiscal plan should contribute to Spain’s internal devaluation and favour its rebalancing.”

3.2. Zudem ist ganz aktuell ein ausführlicher Länderbericht der OECD über Spanien erschienen, in dem ein Zusammenhang zwischen fallenden Lohnstückkosten vor allem im verarbeitenden Gewerbe und steigenden Exporten beschrieben wird:

“In recent years Spain has gained market share (export performance has improved since 2008), part of these gains being explained by improved cost competitiveness, with unit labour costs falling in all sectors, notably in the manufacturing sector.”

3.3. Schließlich habe ich kürzlich an einem Kapitalmarktausblick der Deutschen Bank teilgenommen, auf dem Stefan Schneider, der Leiter Makroökonomik von Deutsche Bank Research, die drei folgenden Punkte mit Blick auf die Peripherie herausstellte und dabei generelle Zweifel an der Brauchbarkeit preislicher Wettbewerbsindikatoren in der aktuellen Situation äußerte:
– Nur wenige Reformen lassen sich mit quantitativen Indikatoren erfassen. Gängige Indikatoren wie Lohnstückkosten, Deflatoren und Leistungsbilanzsalden sind massiv durch die Konjunktur verzerrt.
– Die Wirkung von Einzelmaßnahmen ist schwer abzuschätzen, da viele Reformen nur im Zusammenspiel wirken.
– Mentale Modelle werden ungern aufgegeben (“Bestätigungsbias”): Wer einmal die Peripherie für reformunfähig hält, wird dazu tendieren, auch objektiv vorhandene Reformfortschritte nicht zur Kenntnis zu nehmen.

3.4. Die Commerzbank bemerkt in einer Stellungnahme (“Economic Insight”) vom 7. Dezember: “Gemessen an den Lohnstückkosten haben die Peripherieländer mit Ausnahme Italiens einen guten Teil der zuvor verlorenen Wettbewerbsfähigkeit zurück gewonnen. Schaut man dagegen auf die Absatzpreise, ergeben sich für Spanien und Portugal kaum Fortschritte. Beide Messkonzepte haben Vor- und Nachteile. Aber Lohnstückkosten bewegen sich in der Regel früher als Absatzpreise. Die seit 2009 fallenden Lohnstückkosten in Spanien und Portugal deuten also darauf hin, dass sich dort bald auch die Absatzpreise günstiger entwickeln sollten. Solange das allerdings für Italien nicht der Fall ist, sehen wir für die Peripherieländer als Ganzes keinen Reformdurchbruch in der Breite.”

3.5. Huw Pill, der Europa-Chefvolkswirt von Goldman Sachs (und früher Mitarbeiter der EZB) sieht Spanien noch rund zwei Jahre in einer Rezession, weil die Bekämpfung der Ungleichgewichte durch eine stärkere Hinwendung von der Bauwirtschaft zum exportorientierten verarbeitenden Gewerbe sowie durch Auswanderung nach Deutschland zwar in Gang komme. Die stärkere Außenwirtschaftsorientierung könne aber auf kurze Sicht die rückläufige Binnennachfrage als Folge des Deleveraging des Bankensektors und der fiskalpolitischen Konsolidierung nicht kompensieren. Pill sprach auf einer Kapitalmarktkonferenz von Goldman Sachs am 17. Januar 2013 in Frankfurt.

 

 

Zusammengefasst: Die makroökonomischen Indikatoren der Wettbewerbsfähigkeit besitzen – auf jeden Fall derzeit – nur eine beschränkte Aussagekraft. Mit großer Vorsicht und unter Berücksichtigung vieler Unschärfen wird man aber doch sagen dürfen, dass die spanische Exportwirtschaft in den vergangenen Jahren preisliche Wettbewerbsfähigkeit gewonnen hat.

 

 

 

4. Zurück zu den Wurzeln: Güter und Dienstleistungen werden von Unternehmen verkauft und nicht von Ländern! ***)

Eine empirische Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Veränderungen der Exporte eines Landes wie Spanien (das gilt aber auch für andere Länder) in der jüngeren Vergangenheit
– nur zu weniger als 10 Prozent durch Veränderungen der preislichen Wettbewerbsfähigkeit erklären
– aber zu rund 80 Prozent aus der Entwicklung des Welthandels (sprich der Weltkonjunktur)
– und zu rund 15 Prozent aus weiteren Faktoren.

Also: Die Exporte sind in den vergangenen Jahren überwiegend gewachsen, weil die internationale Wirtschaft lief, und 2009 sind sie überwiegend gesunken, weil dort die internationale Konjunktur in ein Tal abgeglitten war. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit ist sicherlich nicht unwichtig, und dies vor allem nicht auf lange Sicht, aber sie ist alles andere als alleinerklärend. Und dann gibt es noch weitere Einflussfaktoren, die sogenannten nicht-preislichen Wettbewerbsfaktoren, die auch schon im sogenannten Gallois-Report zur Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie eine bedeutende Rolle gespielt haben. Zur Lage in Spanien schreiben die Analysten von Morgan Stanley:

“Unit Labour Costs – which are correcting quite visibly in Spain are just an input of cost competetiveness – not the output, i.e. how a country’s exports fare relative to those of comparable economies. On this yardstick, the pace of growth of Spanish exports of goods and services has been quite strong relative to that of its peers, coming third after Germany and Ireland. Put differently, Spain’s non-price competetiveness factors might exert a stronger influence on export performance than generally assumed.”

Was sind solche nicht-preislichen Wettbewerbsfaktoren? (Technisch gesprochen reduzieren sie die Preiselastizität der Exportnachfrage.) Dazu gehören das Produktdesign, die Bedeutung eines Markennamens (“Branding”), die Leistungsfähigkeit von Vertriebskanälen und die Qualität des Service. Man muss somit zu der – Unternehmern und Betriebswirten seit Jahrzehnten bekannten – Erkenntnis zurückkehren, dass Güter und Diensteistungen nicht von Ländern exportiert werden, sondern von Unternehmen. Moderne Ökonomen sind derzeit dabei, Daten zu europäischen Unternehmen zu beschaffen und auszuwerten. Zur Internationalisierungsstrategie der spanischen Unternehmen erscheint in Kürze ein Forschungspapier, das wir nach dem Erscheinen vorstellen wollen.

Zum Abschluss für heute ein “Appetizer” für jene, die meinen, es gäbe keine spanischen Markenartikel. Der größte spanische Markenartikelhersteller heißt Inditex und produziert unter anderem Textilien der Marke Zara. Der Börsenwert von Inditex betrug Ende November 66 Milliarden Euro, der von Daimler 40 Milliarden Euro.

 

Teil 2 über das “spanische Paradoxon” findet sich hier.

 

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*) Einen Anteil der Exporte am BIP von rund 25 Prozent weisen auch Großbritannien, Frankreich und Italien aus; in den Vereinigten Staaten liegt er knapp über 10 Prozent. Deutschlands Exportanteil von rund 45 Prozent am BIP ist im internationalen Maßstab außerordentlich hoch.

**) Morgan Stanley: Spain: Searching for a Circuit-Breaker (Mai 2012)
Morgan Stanley: Spain and Economic Rebalancing: Short-Term Pain vs. Long-Term Gain? (Oktober 2012).

***) Darüber hatte vor knapp 20 Jahren Paul Krugman einen bekannten Artikel geschrieben.

 

 

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