Es ist eine der Lieblingsstudien der Banker dieser Welt, zitiert auf jedem Bankenkongress und gerne erwähnt, wenn Bankchefs einmal wieder Boni-Kürzungen anmahnen: eine Arbeit von Thomas Philippon von der New York University und Ariell Reshef von der University of Virginia. Sie behandelt die hohen Verdienste und die gute Ausbildung der Angestellten in der Finanzwelt. Und um es vorwegzunehmen: Die Studie geht nicht gerade schmeichelhaft für die Banker aus.
Philippon und Reshef betrachten den Verdienst der amerikanischen Banker und ihre Bildung historisch, nämlich seit 1909. Kurz zusammengefasst zeigt sich dabei eins: Jeweils vor den großen Krisen der Finanzindustrie, also vor der Weltwirtschaftskrise von 1929 und vor der Finanzkrise von 2008, stiegen die Gehälter und die Ausbildung der Banker schnell und steil an und ließen andere Branchen weit hinter sich. Dazwischen hingegen ging es stark nach unten. Sowohl die Entlohnung als auch die Bildung der Banker sank im Vergleich zu anderen Branchen seit Ende der 30er Jahre bis Anfang der 80er Jahre. 1980 lag sie dann etwa auf dem Niveau anderer Jobs.
Es war also keineswegs immer so, dass die Angestellten in der Finanzbranche mehr verdienten als anderswo. Und es war auch nicht immer so, dass die klügsten Harvard-Absolventen zu Goldman Sachs gingen. Das ist eine Entwicklung der letzten dreißig Jahre, die darin gipfelte, dass Banker 20 Prozent mehr verdienten als Gleichqualifizierte in anderen Branchen.
Mit diesen Zahlen haben die Forscher im Jahr 2009 große Aufmerksamkeit erregt. Jetzt zeigen sie in einem neuen Papier, dass dieser Trend nicht nur für Amerika gilt. Für die Zeit von dem Jahr 1970 bis heute haben sie die Bezahlung und Bildung der Angestellten im Finanzsektor in vielen Industrieländern untersucht. Ihr Ergebnis: Auch in Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Schweden und Kanada stieg in den vergangenen Jahren die Bezahlung der Banker im Vergleich zu anderen Branchen kontinuierlich an. In einigen anderen Ländern wie überraschenderweise Großbritannien waren die Bankergehälter zwar auch durchweg höher als in anderen Branchen, stiegen aber nicht weiter. Für alle untersuchten westlichen Staaten zeigt sich außerdem: Seit den 70er Jahren wurden Banker relativ zu anderen Berufen immer besser gebildet.
Ein Zyniker könnte aus der Studie folgenden Schluss ziehen: Je besser ausgebildet die Banker und je höher ihre Gehälter, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie am Ende eine Finanzkrise herbeiführen. Das ist natürlich etwas kurz gedacht (wenn auch vielleicht nicht ganz aus der Luft gegriffen) und wird von den Forschern als Erklärung gar nicht in Betracht gezogen. Was aber auf jeden Fall stimmt, ist Folgendes: Selbst die klügsten und bestbezahlten Banker konnten die Finanzkrise nicht verhindern.
Das zeigt, wieso die Diskussion über Banker-Boni keine überflüssige Neiddebatte ist. Wenn alles gut liefe in Banken und Versicherungen, könnte man sagen: Die Banker sind offenbar ihr Geld wert, der Markt wird es wissen – so wie man das auch bei Profi-Fußballern sagt. Doch angesichts der Finanzkrise muss man fragen: Wie konnte es sein, dass eine Branche jede Menge kluge Menschen gut bezahlt hat und sich trotzdem am Ende beinahe selbst zerstört? Was ist der Grund, dass die Menschen in der Finanzbranche so gut verdienten?
Philippon und Reshef führen die Explosion der Gehälter und die bessere Bildung der Banker vor der Finanzkrise auf zwei Dinge zurück: Deregulierung und Globalisierung der Finanzwelt. Für Ersteres finden sie vor allem für die Entwicklung in Amerika seit 1909 Belege. Hier zeigt sich, dass die starke Regulierung der Branche nach der Weltwirtschaftskrise einherging mit sinkenden Gehältern und einer geringeren Attraktivität der Branche für Universitätsabsolventen. Die Deregulierung ab den 80er Jahren führte hingegen zu steigenden Gehältern und höherer Bildung. Das ist nachvollziehbar. Denn je regulierter das Banking, desto langweiliger werden die Aufgaben, die man dort ausführen kann. Hochkomplexe Finanzprodukte konstruieren auf Basis von mathematischen Modellen – das ist in einer stark regulierten Branche kaum möglich, also ist auch die Attraktivität für Mathematiker oder Physiker geringer.
Doch Regulierung ist nicht alles. Sie bestimmt nach Ansicht von Philippon und Reshef eindeutig darüber, ob die Banken gut ausgebildete Angestellte anziehen können. Für die Bezahlung ist der Zusammenhang nicht ganz so klar. Etwas anderes halten die Forscher eher für den wesentlichen Faktor, der die Gehaltssteigerungen begründet: die Globalisierung der Finanzmärkte. Leider bleiben sie bei diesem Argument recht schwammig.
Das liegt vielleicht auch daran, dass sie selbst noch nicht ganz sicher sind, was eigentlich der Grund ist. In einer Arbeit von 2007 – also vor der Krise – hatten sie noch behauptet, die Hälfte des höheren Gehalts der Banker im Vergleich zu anderen Branchen sei dadurch zu erklären, dass die Wahrscheinlichkeit, den Job zu verlieren, in der Branche stark gestiegen sei. Die andere Hälfte führten sie darauf zurück, dass es “nicht beobachtbare Heterogenität der Arbeitskräfte” gebe, sprich: Banker sind irgendwie besser oder klüger als andere, man kann es nur nicht an Zahlen und Fakten festmachen.
Mit der Krise änderten sie offenbar ihre Meinung. Durchaus zu Recht vermutlich. Jetzt fragen sie zur Ehrenrettung der Banker aber immerhin noch: Hat die Finanzbranche vielleicht vor der Krise so viel Gutes gebracht, dass man die Gehälter der Banker trotz der späteren Finanzkrise rechtfertigen kann?
Hier haben die Forscher ein paar interessante Zahlen zu bieten. Für Amerika gilt nämlich: Wenn man die Zeit seit 1870 betrachtet, führte ein großer Finanzsektor keinesfalls automatisch zu einem besonders großen Wirtschaftswachstum. Vielmehr waren gerade die Zeiten mit einem kleineren, stark regulierten Finanzsektor diejenigen, in denen die Wirtschaft der betrachteten Industrieländer besonders stark wuchs. Das muss Banker zutiefst beunruhigen, könnte man daraus doch ableiten: Das Wachstum des Finanzsektors bringt der Volkswirtschaft nichts, sogar im Gegenteil.
Um solch plakative Schlüsse zu ziehen, sind Philippon und Reshef allerdings zu schlau (und auch zu vorsichtig). Sie glauben eher an den umgekehrten Zusammenhang. Wenn die Volkswirtschaft schon recht groß und entwickelt ist, braucht es mehr und kompliziertere Finanzprodukte, um überhaupt noch Wachstum zu erzeugen. Das würde auch erklären, wieso gerade in solchen Zeiten Entlohnung und Bildung der Angestellten steigen. Ob das allerdings stimmt, bleibt vorerst eine Glaubensfrage.
Thomas Philippon und Ariell Reshef: “An International Look at the Growth of Modern Finance: Income and Human Capital Costs”, Working Paper, im Internet: https://people.virginia.edu/~ar7kf/papers/PR_JEP_wTABFIG_nov1.pdf
Der Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 2. Dezember. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.
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