Wenn sich Ökonomen mit dem Thema Prostitution befassen, können sie sich schnell blamieren. Ein abschreckendes Beispiel: Die beiden Ökonominnen Evelyn Korn und Lena Edlund mit ihrer “Theory of Prostitution”. In der Studie, abgedruckt 2002 im renommierten “Journal of Political Economy”, gehen die Forscherinnen einem ihrer Ansicht nach erstaunlichen Phänomen auf den Grund. Warum verdienen Prostituierte viel Geld mit einer Tätigkeit, für die es keiner besonderen Ausbildung bedarf? Ihre Antwort ist ein “hochformales Modell mit 14 mathematischen Gleichungen, dessen Darstellung 19 Seiten in Anspruch nimmt”, lästert der Schweizer Volkswirt Mathias Binswanger im Blog “Ökonomenstimme”. Der Forscher prangert in dem bisher meistgelesenen Blogbeitrag die Realitätsferne seiner Zunft an. Die Ökonominnen erklären die hohe Bezahlung in ihrem komplexen Modell als Entschädigung für geringere Heiratschancen der Prostituierten. “Die ,Freude am Sex’ mit einer jungen Frau als Hauptmotiv für die Nachfrage kommt im Artikel gar nicht vor.”
Sollten sich Ökonomen also besser erst gar nicht mit dem ältesten Gewerbe der Welt auseinandersetzen? Diese Folgerung ist gleich aus mehreren Gründen falsch. Ökonomen sind gefragt – zum Beispiel wenn es darum geht, ob der Milliardenmarkt, auf dem Frauen und Männer Sex gegen Geld anbieten, legal sein sollte oder nicht. Zum einen, weil sie sich in einer Zeit, in der immer mehr Lebensbereiche von ökonomischen Prinzipien durchdrungen werden, nicht vor ethischen Fragestellungen drücken dürfen, wie der gefeierte Harvard-Philosoph Michael J. Sandel anmerkt. Zum anderen, weil die Frage nach der Legalisierung nicht nur ethische, sondern auch handfeste empirische Fragen aufwirft: Nimmt der Menschenhandel zu oder ab, wenn Prostitution von einer Regierung zu einem ganz gewöhnlichen Beruf gemacht wird
Antworten liefern der Ökonom Axel Dreher von der Universität Heidelberg, die Ökonomin Seo-Young Cho vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin sowie Eric Neumayer, Professor für Umwelt und Entwicklung an der London School of Economics. In einer internationalen Vergleichsstudie kam das Forscher-Trio im vergangenen Jahr zu dem Schluss: Die Liberalisierung fördert den Menschenhandel und steigert damit die Zahl der Menschen, die als Ware in ein Land geschafft werden.
Wie ihre im Netz als weltfremd gescholtenen Vorgängerinnen arbeiten auch Cho, Dreher und Neumayer mit idealisierten Annahmen und einem mathematischen Modell – allerdings ohne dabei in die Elfenbeinturm-Falle zu tappen. Um die Folgen liberaler Prostitutionsgesetze zu erforschen, nehmen die Autoren an, dass auf dem Markt für Prostitution wie auf allen anderen Märkten ein Gleichgewicht aus Angebot und Nachfrage besteht. Ist das Geschäft mit Sex verboten, haben weibliche und männliche Prostituierte Angst, entdeckt und bestraft zu werden. Sie verlangen daher vergleichsweise viel Geld für ihre Leistungen. Erlaubt eine Regierung die Prostitution dagegen, entfällt diese Gefahrenprämie. Nachfrage und Angebot steigen – der Markt wächst.
Aber wächst damit auch automatisch die Zahl der Frauen und Männer, die von kriminellen Schlepperbanden über die Grenzen geschafft werden? Nicht zwingend. “Es gibt einen Substitutionseffekt, weg von illegal gehandelten Prostituierten, hin zu legalen, einheimischen Prostituierten”, schreiben die Autoren. Welcher Effekt überwiegt, die Mengensteigerung oder der steigende Anteil einheimischer Prostituierter: Das sei eine empirische Frage.
Um sie zu beantworten, werteten die Ökonomen umfangreiche Daten über Menschenhandel in 161 Ländern aus, die das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung für die Jahre 1996 bis 2003 gesammelt hat. Die Autoren stießen auf einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Gesetzeslage und Menschenhandel. “Unsere empirischen Erkenntnisse zeigen an, dass der Effekt der Prostitutionsausweitung nach der Legalisierung den Substitutionseffekt übertrifft”, folgern die Autoren. Dass die Ergebnisse andere Gründe haben könnten, etwa die wirtschaftliche Situation der Länder oder den Eifer, mit dem die Polizei Menschenhändler verfolgt, schließen die Forscher durch Kontrollrechnungen aus. Sie gestehen allerdings ein, dass ihre Ergebnisse mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind, da sich auf dem Markt vieles im Dunkeln abspielt und Daten weniger belastbar seien als in anderen Bereichen.
Deshalb untermauern die Autoren ihre statistischen Erkenntnisse mit einer Fallstudie. In Deutschland machte die rot-grüne Bundesregierung Prostitution zu einem regulären Beruf. Sie erlaubte es, Bordelle zu betreiben, und ermöglichte es Huren und Strichern, sich gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit zu versichern sowie in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Ein Jahr später, im Jahr 2003, schnellte die Zahl der Opfer von Menschenhandel in Deutschland sprunghaft nach oben: Bis zu 24 700 Prostituierte sollen einer Studie zufolge im diesem Jahr nach Deutschland gekommen sein, 2001 waren es noch höchstens 19 740. In Vergleich zu anderen Ländern scheint Deutschland für Prostituierte ein besonders gutes Pflaster zu sein. Hierzulande gehen einer Erhebung zufolge 150 000 Menschen anschaffen, zum allergrößten Teil Frauen – rund 60-mal mehr als in Schweden, obwohl in Deutschland nicht einmal zehnmal so viele Menschen leben wie in dem skandinavischen Staat.
Trotz ihrer eindeutigen Ergebnisse sprechen sich die Forscher nicht klar gegen die Legalisierung von Prostitution aus. Immerhin sei es möglich, dass die Reform auch positive Auswirkungen hat. “Die Arbeitsbedingungen könnten sich nachhaltig verbessern, zumindest für diejenigen, die regulär beschäftigt sind”, schreiben die Forscher. Das Eingeständnis der Bundesregierung aus dem Jahr 2007, nach dem nur ein Prozent der Prostituierten einen Arbeitsvertrag besitzt und die wenigsten gesetzlich versichert sind, blenden die Forscher dabei aus.
Der Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 6. Januar 2013. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve
@Andreas Rheinhardt:
Danke...
@Andreas Rheinhardt:
Danke für Ihren Beitrag. Man konnte so etwas bereits vermuten, aber es ist doch immer deutlich besser, wenn es harte Zahlen dazu gibt.
Und selbst wenn nach der Ausmerzung aller methodischen Schwächen der zitierten Studie noch ein messbarer Effekt übrig bliebe, gilt, was Marcel Zufferey schrieb: Dann muss man Menschenhandel gezielter bekämpfen.
Prostitution zu kriminalisieren, ist sicherlich keine Lösung und vor allem ist’s in sich illegitim.
@Müller (13. Januar 2013,...
@Müller (13. Januar 2013, 10:31 ): Nein. Denn durch eine Legalisierung der Prostitution können ja auch so viel mehr Prostituierte legal arbeiten, dass man keiner/weniger Illegaler mehr bedarf.
@H._Sulz: Die Studie von Di Nicola, welche die Autoren der anderen Studie falsch wiedergegeben haben, wurde übrigens vom Ausschuss des EU-Parlaments für Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter in Auftrag gegeben (einen Ausschuss für Männerrechte gibt es übrigens nicht). Ich teile ihre Auffassung, wonach in diesem Gebiet (und auf vielen anderen) viel feministische Ideologie im Spiel ist.
Was ist denn da...
Was ist denn da realitätsfern? Legale Prostitution bedeutet mehr Prostitution. Wenn insgesamt mehr prostituiert wird ist es doch klar, dass es auch mehr illegale Huren aus dem Ausland gibt – ein Teil davon wird geschmuggelt, Menschenhandel nimmt also zu. Trivial.
Sorry, aber mit der...
Sorry, aber mit der Wichtigkeit von Wohlstand und mit Wohlstand als Maxime jeglicher Moral, sind Unzumutbarkeiten, auch moralische, nicht mehr tragbar.
Für diesen Menschenhandel haben wir eine Legalisierung geschaffen, die 300 mal pro Tag in Anschlag kommt und ein Kind mordet. Kurze Beratung, keine rechtsstaatliche Fürsorgepflicht gegenüber den ‘Zellhaufen’, fertig. Allein das private, ausschließlich weibliche Gewissen – und das in einem Rechtstaat – entscheidet (nicht wie beim Wehrersatzdienst, über fremdbefohlenens Morden-Müssen) über das willkürliche Morden-Dürfen.
Und das nicht in Kreigszeiten, sondern im reichen Deutschland.
Systematisch, offiziell in Institutionenen.
Menschenhandel ? Oh ja, dazu zählt auch die Warenabgabe – am besten Anonym.
Und die Vergewaltigungsabtreibungen betragen in etwa 3 %. Bleiben 97% straffreier Menschenhandel. Bei schlechtem Gewissen einer Unzumutbarkeit, ungeprüft. Fertig.
Man sollte eher eine gesellschafltiche Legalisierung und Anerkennung des Puffberufes erreichen, die Preise drücken, dann lohnt sich auch der Menschenhandel nicht mehr, weil jede brave Bürgertochter ihr Taschengeld auffrischen kann.
Wettbewerb statt Monopol. Das sollte moralische für Deutschland ja ein Kinkerlitzchen sein: Neben der Abtreibung, legalisieren wir nun ja auch Genitalverstümmelung, sexualisierte Gewalteingriffe (Warum sollte auch genau der schmerzempfindlichste Sexualteil beschnitten werden, und nicht etwa ein Ohr als Symbol angestochen werden? Da diese Frage so gründlich und ehrlich beantwortet worden ist, handelt es sich natürlich nur um einen religiösen Akt, der nur zufällig die Sexualanatomie treffsicher berücksichtigt).
Da Wohlstand, das Gegenteil von Selbstbegrenzung und Zumutbarkeiten, die letztgültige Instanz ist, ist es natürlich keiner Frau zuzumuten, die Folgen ihres Beischlafes zu tragen, trotz staatlicher Absicherung, und es ist den religiösen Eltern nicht zuzumuten, auf falsche Traditionen zu verzichten, (Die Wahl und Art der religiösen Bundbeurkundung hat nichts mehr mit Religion, sondern allein mit menschlichem Ausgestaltungswillen zu tun, und ist allein ein Gewöhnungsproblem), bei Babywarenabgabe ist eine finanzielle Veranwtortung – Wohlstandseingriff -durch Anonymisierung abzuschaffen, und eine rechtsaatliche Überprüfung als Abtreibungsvoraussetzung, ist auch zuviel abverlangt.
Allerdings haben wir eine sehr hohe, siebjährige Zumutbarkeitspflicht, wenn es darum geht Wohlstand eines anderen einzufordern, etwa bei einer Insolvenz. Da kennen wir höchste moralische Ansprüche, den Insolvenzverwalter, sieben Jahre lang ….
Sieben Jahre lang ein Kind aufziehen ist nicht zumutbar – aber sieben Jahre lang Wohlstand vermissen müssen – oder Wohlstands-Schuld begleichen müssen – hei, da kennen wir keine Späße.
Einmal mehr zeigt sich in...
Einmal mehr zeigt sich in aller Deutlichkeit, dass nicht die Prostitution selber das grosse Problem ist, sondern der Menschenhandel. Liesse sich Zweiterer polizeilich und juristisch eindeutig definieren- und ganz gezielt strafrechtlich ahnden, dann könnte man die Prostitution von all ihren negativen Begleiterscheinungen, die u. a. von Verbotsbefürwortern ins Feld geführt werden, befreien. Nur müsste man dafür dem Menschenhandel ganz allgemein mit allen Mitteln zuleibe rücken, schliesslich umfasst der Begriff Menschenhandel ja bei Weitem nicht nur das Feld der Zwangsprostitution, ganz im Gegenteil: Der Handel mit Zwangsprostituierten macht nur einen vergleichsweise kleinen Teil am gesamten, weltweiten Menschenhandel aus. Nach Schätzungen der UNHCR versuchen jährlich zwischen 0,5 und 1,5 Millionen Menschen über die EU-Aussengrenze nach Europa zu kommen. Davon dürfte ein hoher Prozentsatz die Dienste von professionellen Schleusern in Anspruch nehmen. Will man dem Phänomen der Zwangsprostitution begegnen, muss man alle Bereiche des Menschenhandels erfassen und bekämpfen. Und genau hier liegt der Hund begraben: Angesichts der heute bekannten, internationalen Migrationsströme erscheint die Bekämpfung des Frauen- bzw. Menschenhandels wie eine unlösbare Herkulesaufgabe, der keine nationale oder supranationale Organisation wirklich gewachsen ist. Ein Verbot der Prostitution ist nicht viel mehr, als der der berühmte Tropfen auf den heissen Stein.
"Bis zu ... sollen einer...
“Bis zu … sollen einer Studie zufolge nach Deutschland gekommen sein”
Das sagt schon alles.
Selbstverständlich melden sich die schrecklichen Menschenhändler bei solchen “Forschern” an und geben bereitwillig Auskunft.
Anläßlich der Fußball- EM 2008 wurden gar 50 000 ‘Zwangsprostituierte’ annonciert und scharfe Razzien durchgeführt. Aufgedeckt wurde kein einziger Fall.
Das gelobte feministische Paradies Schweden: daß von dort ca 15- 20 000 Mann täglich ins Eldorado der Prostitution, dem Baltikum schippern, ist unseren ‘Forschern’ völlig unbekannt.
Und wer dann noch den Urheber dieses Unsinns kennt- das linke, politisch korrekte DIW- hat keine weiteren Fragen mehr.
Merke: In totalitären Systemen hat sich sog. ‘Wissenschaft’ zuerst dem Primat der Ideologie unterzuordnen.
Bei uns wurde der ‘wissenschaftliche Marxismus- Leninismus’ der DDR längst in den genderfeministischen Komplex einer staatsfemistischen Diktatur umgemendelt.
Ist die Förderung des...
Ist die Förderung des Menschenhandels nicht strafbar?
Genau solche "Studien" sind...
Genau solche “Studien” sind es, die die Welt nicht brauch.
Realitätsfern, viele Annahmen und Schätzungen, viele unbekannte Faktoren und als Ergebnis möglichst eine Sensation herbeigerechnet.
Bedrückend, dass sich kaum kritische Worte der Autoren dieses Artikels dazu finden – stattdessen dann eine reißerische Unterüberschrift.
Schuster, bleib bei Deinen Leisten….
"Deshalb untermauern die...
“Deshalb untermauern die Autoren ihre statistischen Erkenntnisse mit einer Fallstudie. In Deutschland machte die rot-grüne Bundesregierung Prostitution zu einem regulären Beruf. Sie erlaubte es, Bordelle zu betreiben, und ermöglichte es Huren und Strichern, sich gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit zu versichern sowie in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Ein Jahr später, im Jahr 2003, schnellte die Zahl der Opfer von Menschenhandel in Deutschland sprunghaft nach oben: Bis zu 24 700 Prostituierte sollen einer Studie zufolge im diesem Jahr nach Deutschland gekommen sein, 2001 waren es noch höchstens 19 740”: Dieser Teil des Artikels bezieht sich auf folgende Passage des Papers (S. 25 bzw. 27 nach anderer Zählung): “Additionally, Di Nicola et al. (2005) provide annual estimates of trafficking victims used for sexual exploitation in Germany over the 1996-2003 period, which can shed somelight on the changing number of trafficked prostitutes. The estimates show that the number of victims gradually declined between 1996/97, the first years of data collection, and 2001, when the minimum estimate was 9,870 and the maximum 19,740. However, this number increased upon fully legalizing prostitution in 2002, as well as in 2003, rising to 11,080-22,160 and 12,350-24,700, respectively”. (In Anmerkung 38 wird dann auch noch erwähnt, dass der Anstieg von 2002-2003 auch auf Änderungen der Statistik zurüczuführen ist.)
Und in der zitierten Studie (https://transcrime.cs.unitn.it/tc/fso/pubblicazioni/AP/legislation_on_prostitution_english.pdf) steht aber etwas anderes. Die oberen Schätzungen für die Anzahl an Zwangsprostituierter von 1996-2003 sind hier 26520, 24020, 16800, 16020, 18520, 19740, 22160, 24700 (s. S. 113 bzw. 130); d.h. die Zahlen sind nicht von 1996-2001 sukzessive (“gradually”) gesunken, sondern von 1996-1999; dann stieg diese Zahl bis 2003 wieder an, wobei der Anstieg 1999-2000 in derselben Größenordnung war wie die Anstiege 2001-2002 und 2002-2003 (und das ohne Statistikänderungen wie beim Jahr 2003). Und dieser Anstieg fand vor dem neuen Prostitutionsgesetz statt. Damit taugt dieses Beispiel nicht, um die These der Autoren zu belegen. Ganz im Gegenteil stellt sich mir die Frage, ob die Autoren absichtlich manipulieren wollen.
Wollen Sie wirklich nicht auf...
Wollen Sie wirklich nicht auf die sehr sehr offensichtliche Realitätsferne dieser Studie eingehen? Was sagt uns das nämlich über den Zustand der Wirtschaftswissenschaft, wenn sowas abgedruckt wird?