Die amerikanische Zentralbank Federal Reserve wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Das Jubiläum liegt zwar erst im Dezember. Die amerikanischen Ökonomen aber versuchen schon jetzt, die Deutungshoheit über die Geschichte der Fed zu gewinnen. Unvermeidbar ist dabei, dass die 100 Jahre Fed im Lichte der aktuellen Diskussion um die Antwort der Zentralbank auf die Finanz- und Wirtschaftskrise gespiegelt werden.
Einen bem erkenswerten Versuch der Interpretation der Fed-Geschichte hat das Ökonomen-Ehepaar Christina und David Romer von der Universität Berkeley vorgestellt. Grundthese der Romers ist, dass eine Zentralbank dann versagt, wenn die Notenbanker sich selbst nicht wichtig genug nehmen und die Macht ihrer Geldpolitik unterschätzen. Das ist ein erfrischender Frontalangriff auf die von Zentralbankern gerne gepflegte Einsicht, dass ihre vornehmste Pflicht die Demut sei. „Bescheidenheit, wenn sie nicht angebracht ist, kann desaströse Folgen haben”, sagte David Romer. Als Beleg dienen die beiden Episoden, in denen die Federal Reserve nach genereller Einschätzung versagt hat: die dreißiger und die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Während der Großen Depression in den dreißiger Jahren war die Meinung unter den Fed-Mitgliedern weit verbreitet, dass die Geldpolitik gegen die Wirtschaftskrise machtlos sei. „Mit billigem und im Überfluss vorhandenen Kredit glauben wir nicht, dass die wirtschaftliche Erholung beschleunigt wird, indem man den Kredit billiger und noch reichlicher macht”, argumentierte ein Fed-Vertreter 1930. Solche Zitate stellen die Romers in Hülle und Fülle zur Verfügung, was den Reiz ihrer Studie ausmacht.
Die Stimmung der Machtlosigkeit zog sich durch die Fed-Debatten der dreißiger Jahre, vermischt in den späteren Jahren mit der Sorge, dass eine monetäre Expansion die Inflation verschärfen würde, obwohl die Wirtschaft erst mühsam eine Erholung begonnen hatte. Im Ergebnis ließ eine passive Fed zunächst den drastischen Verfall der Geldmenge zu, der die Wirtschaft weiter in den Abgrund stürzte. Später straffte die Zentralbank die Geldpolitik zu schnell, was zu einer zweiten Rezession führte.
Auch während der zweiten großen Fehlleistung der Federal Reserve, der großen Inflation in den siebziger Jahren, vertraute sie ihrer eigenen Geldpolitik nicht mehr. „Selbst eine lange Zeitspanne der hohen und steigenden Arbeitslosigkeit mag nicht ausreichen, um den Inflationsprozess in den Griff zu bekommen”, erklärte der Fed-Vorsitzende Arthur Burns 1971 in einer Anhörung vor dem Kongress. Fed-Ökonomen argumentierten, eine Sockelinflation von 4 Prozent sei nicht mehr wegzubekommen. Die Fed fürchtete ferner die Kosten einer strikten Antiinflationspolitik in Form steigender Arbeitslosigkeit. Als Ergebnis zu geringen Vertrauens in ihre Fähigkeiten ließ die Fed Stagflation zu: geringes Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit und hohe Inflation.
Es bedurfte erst der kraftvollen Überzeugung des Fed-Vorsitzenden Paul Volcker, dass nur monetäre Disziplin den Amerikanern den Inflationsvirus austreiben konnte. Er schraubte Anfang der 80er Jahre den Leitzins auf 20 Prozent, um die Inflation von auf dem Höhepunkt 13,5 Prozent in den Griff zu bekommen. Die Wirtschaft durchlief eine kurze und heftige Anpassungsrezession, aber die Arbeitslosigkeit fiel rasch.
Dieser Interpretation der historischen Ereignisse dürften die meisten amerikanischen Ökonomen zustimmen, wenn sie in der Analyse auch mehr Wert auf theoretische Fehlurteile der Notenbanker legen würden als auf deren mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Kontrovers wird es erst, wenn man das Denkmuster der Romers auf die heutigen Ereignisse anwendet. Pessimismus über die Fähigkeiten der Geldpolitik kann man der Fed vor und während der Krise schwerlich zuschreiben, befinden die Romers. Vor der Krise glaubten die Notenbanker um Alan Greenspan und Ben Bernanke, sie könnten die schädlichen Folgen eines Verfalls der Hauspreise ausgleichen. Auch während der Krise – und eingedenk der Erfahrungen der dreißiger Jahre – schien das Vertrauen der Notenbanker groß, mit einer aggressiven geldpolitischen Lockerung den Kollaps des Finanzsystems verhindern zu können.
In bemerkenswerter Parallele zu den dreißiger Jahren aber zeigen manche der Fed-Notenbanker zunehmend die begrenzten Möglichkeiten der Geldpolitik auf, zum Teil mit analogen Argumenten wie ihre Vorgänger. Der regionale Fed-Präsident von Dallas, Richard Fisher, stellt etwa in Frage, warum die Fed noch mehr monetäre Liquidität bereitstellen solle, wenn doch schon genügend davon brach liege. Andere mahnen, dass der jahrelange Nullzins zu neuen Fehllenkungen am Kapitalmarkt führe. Auch könne ein zu später und zu langsamer Ausstieg aus der quantitativen Lockerung, dem Ankauf überwiegend von Staatsanleihen, in der Zukunft einen Inflationsschub auslösen. Die Warnung des Fed-Vorsitzenden Ben Bernanke, dass die Geldpolitik kein Allheilmittel sei, klingt da noch zurückhaltend. Die Romers neigen der Meinung zu, dass die Fed diese Argumente übertreibe und trotz ihrer kreativen Geldpolitik an der Nullzinsgrenze noch zu wenig aktiv sei.
„Wir waren zu selbstsicher, dass wir die Wirtschaft lenken könnten”, kommentierte Donald Kohn, der ehemalige Vizegouverneur der Federal Reserve, die Romer-Analyse. „Die letzten zehn Jahre haben uns gelehrt, wie wenig wir über die Wirtschaft wissen.” Das gilt für die Jahre vor der Krise wie für die schwierige Erholung danach. Die Wachstums- und Inflationsprognosen der Fed lagen zuletzt oft daneben, weil niemand weiß, welche tiefgreifenden Veränderungen die Finanzkrise und die neuen Regulierungen in der Wirtschaft ausgelöst haben. Letztlich unsicher sind auch die Wirkungen und Folgen der neuen geldpolitischen Instrumente wie der Ankauf von Staatsanleihen.
„Wir sind in unbekanntem Territorium”, sagte Kohn. Zentralbanken könnten angesichts der Unsicherheit nur versuchen, Kosten und Nutzen ihrer Geldpolitik zu erfassen. Sie dürften nicht in Passivität verfallen, müssten aber jederzeit zum Lernen bereit sein. Ökonomen wie John Taylor, die der Fed vorwerfen, sich zu wenig an Regeln gehalten und damit die Finanzkrise mit hervorgerufen zu haben, vermissen solche Bescheidenheit schon seit langem.
Vor solcher Demut klingt die Aufforderung von Christina Romer an die Fed, noch mehr zu tun, jedenfalls reichlich unbescheiden.
Der Beitrag erschien als Sonntagsökonom in der F.A.S. vom 27. Januar. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.