Von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist überliefert, dass sie sich vor zwei Jahren ausnahmsweise ein kleines Oberseminar zum Weltwährungssystem organisierte: als sie die Präsidentschaft der G20, also der 20 wirtschaftlich wichtigsten Staaten, übernahm. Dieses Oberseminar bestand aber kaum aus Wissenschaftlern, sondern vor allem aus aktiven Politikern, zudem den Chefs von IWF und Weltbank – und dem Ökonomen Robert Mundell, der seinen Nobelpreis schon vor 14 Jahren bekommen hat und dessen bahnbrechendste Arbeiten aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts stammen.
Angela Merkel ist nicht allein. Grundsätzlich ist wenig davon zu hören, dass sich deutsche Politiker auf dem Stand der wirtschaftlichen Forschung beraten lassen. Zwar sind selbst die prominenten und angesehenen ausländischen Ökonomen heutiger Tage, die als Kandidaten für die nächsten Nobelpreise gelten, immer mal wieder in Deutschland und Europa unterwegs. Doch sie erzählen dann oft von Terminen in Downing Street, in den Häusern der britischen Regierung, und selten von Terminen im deutschen Kanzleramt oder im Finanzministerium.
Selbst mit den Ökonomen aus Deutschland sieht es nicht anders aus, wie Justus Haucap von der Universität Düsseldorf und Michael Mödl von der Universität München ermittelt haben. In Deutschland teilen sich die Ökonomen die Arbeit: Einige arbeiten in der Spitzenforschung und veröffentlichen ihre Ergebnisse in den international angesehensten Fachzeitschriften. Die anderen treten in Bundestagsausschüssen auf und veröffentlichen Beiträge in den Zeitschriften, die besonders oft von Ministerialbeamten gelesen werden.
Das haben Haucap und Mödl festgestellt, indem sie drei Listen von Ökonomen miteinander verglichen haben. Die erste war eine Rangliste forschungsstarker Ökonomen, die die Wirtschaftszeitung “Handelsblatt” veröffentlicht hat. Dafür werden die veröffentlichten Studien gezählt, Artikel in international angeseheneren Zeitschriften zählen mehr.
Zweitens zählten die beiden aus, welche Ökonomen oft Gutachten für die Bundesregierung schrieben oder in Ausschusssitzungen des Bundestags als Experten eingeladen waren (Selbst im Finanzausschuss und im Wirtschaftsausschuss waren mehr Universitätsjuristen eingeladen als Universitätsökonomen.)
Drittens nahmen Haucap und Mödl die Autorenliste der Zeitschrift “Wirtschaftsdienst“, die in Ministerien beliebte Lektüre ist, und zählten die Namen der Autoren aus.
Auf dieser Grundlage fanden Haucap und Mödl kaum Überschneidungen zwischen den Forschern, die ihre Arbeiten in internationalen Spitzenzeitschriften veröffentlichen, und denen, die deutsche Politiker und Ministerialbeamte beraten. Haucap und Mödl fanden nicht einmal gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die Ökonomen ihr Arbeitsleben aufteilten, zum Beispiel indem sie zuerst einige Jahre forschen und später in die Politikberatung wechseln. Spitzenforscher und Politikberater sind zwei unterschiedliche Gruppen von Ökonomen.
Ist das schlimm? Nicht unbedingt. Schon seit längerem wird darüber diskutiert, ob die angesehensten Volkswirte der Wirtschaftspolitik überhaupt etwas zu sagen haben. Das war der Kern des sogenannten “Methodenstreits”, den sich die Wirtschaftsforscher vor einigen Jahren lieferten. Vielen Ökonomen seien elegante mathematische Formeln wichtiger als die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit, sagten die einen, während die anderen den Nutzen der Formeln für eine saubere Argumentation betonten. Haucap und Mödl erinnern jetzt an die These, dass die Gutachter ökonomischer Fachzeitschriften eher die Logik eines Beitrags testen als seine Relevanz – so könnten logisch saubere, aber weitgehend irrelevante Artikel erscheinen.
Trotzdem gibt es viele ökonomische Studien, die in angesehenen Zeitschriften erscheinen und die der deutschen Politik einiges erklären könnten über den Umgang mit Finanzmarkt-Blasen, mit Währungskrisen, mit Wachstum und Glück oder mit dem Mindestlohn. Auch über die Frage, wie Menschen auf Gesetze reagieren, gibt es inzwischen viel Forschung. In vielen Feldern sind inzwischen auch Forscher aus Deutschland in der Weltspitze vertreten – doch in Deutschland werden sie selten gehört.
Haucap und Mödl haben allerdings noch ein zweites Argument: Spitzenforscher hätten wenig Anreize, Deutschland zu erforschen. Wer auf der Welt gelesen werden möchte, muss entweder abstrakt arbeiten, also losgelöst von allen Ländern, oder sollte sich auf die großen und bedeutenden Länder konzentrieren: das sind meistens die Vereinigten Staaten. Das untermauern sie mit einer Auswertung der Themen in den wichtigsten internationalen Ökonomenzeitschriften. Haucap und Mödl rechnen vor, dass Österreicher und Schweizer noch seltener ihre eigenen Länder erforschen. Das sehen sie als Indiz dafür, dass kleine Länder es in einer internationalen Forscherszene schwieriger haben.
Ein dritter Aspekt ist allerdings noch nicht diskutiert, und das ist die Nachfrage nach wirtschaftspolitischer Beratung. Wenn die Politiker in Deutschland sich auch während einer internationalen Finanz- und Euro-Krise nicht für den Rat der weltweit prominentesten Ökonomen interessieren, dann ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass sie sich für weltweit prominente Ökonomen aus Deutschland interessieren. Sondern eher für ihre alten Bekannten.
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