Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

So freundlich sind wir gar nicht

Die Menschen sind altruistisch: So dachte man lange. Doch jetzt wird der Egoismus wiederentdeckt.

© Alfons HoltgreveIllustration

Es war eine große Welle, die in den vergangenen Jahren durch die Ökonomik und durch die Medien ging: Menschen sind nicht egoistisch, hieß es. Der Homo oeconomicus ist tot, dieser unsympathische Mensch, der stets nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist – jetzt ist bewiesen, dass die Menschen ganz anders sind. So dachten viele Ökonomen.

Doch so einfach ist es nicht. Mehr und mehr zeigen neue Versuche, dass die Menschen einige ziemlich egoistische Fasern in ihren Körpern haben. Und die alten Freudenrufe werden relativiert.

Ein wichtiges Experiment, das den Homo oeconomicus einst in Verruf gebracht hat, heißt „Diktatorspiel“. Dazu kommen Versuchsteilnehmer (oft Studenten) in die Universität, sie bekommen etwas Geld und dürfen das mit einem anderen Versuchsteilnehmer teilen. Ob sie überhaupt etwas abgeben und wie viel – das ist ihre Entscheidung. Die meisten Versuchsteilnehmer behalten nicht alles, sondern geben einen Teil ihres Geldes an den anderen ab: Typischerweise verschenken sie ungefähr ein Viertel des Geldes, manche die Hälfte. Das Ganze funktioniert in den unterschiedlichsten Gesellschaftsformen, auch mit hohen Beträgen und auch dann, wenn die Teilnehmer ihre Entscheidungen vollkommen anonym treffen können.

Doch das alles waren künstliche Situationen, denen das Experiment deutlich anzumerken war. Schon in den vergangenen Jahren haben Forscher im Labor die Situation nach und nach realistischer gemacht. Schnell wurde der Egoismus stärker. Wenn Entscheidungen nicht nur von einem Menschen getroffen werden, sondern von mehreren, dann behalten sie mehr für sich. Auch wenn Wettbewerb ins Spiel kommt, wächst der Egoismus schnell.

Es waren Anthropologen, die das Ultimatumspiel ganz aus der künstlichen Laborsituation herausholten. Ökonomen hätten das vielleicht nicht geschafft, denn sie lügen in Experimenten nicht. Und es ist nicht leicht, ein Ultimatumspiel realistisch aussehen zu lassen. Im richtigen Leben kommt selten jemand unverhofft vorbei und verschenkt Geld, das man mit einem unbekannten anderen teilen soll. Die zündende Idee hatten Jeffrey Winking und Nicholas Mizer an der staatlichen A&M-Universität in Texas. Sie zogen mit ihrem Experiment nach Las Vegas. Dort stellten sie einen Forscher an eine Bushaltestelle. Sobald jemand auf den Bus wartete, zückte der Forscher sein Handy, lief telefonierend herum und schaute weg. In dieser Zeit kam ein zweiter Forscher und tat so, als hätte er einige Casino-Chips übrig. Er müsse zum Flug, sagte er, und könne sie nicht mehr einlösen. Also schenkte er sie demjenigen, der dort wartete. Und sagte manchmal noch – mit Blick auf den telefonierenden Forscher – dazu: „Wenn Sie wollen, können Sie es auch mit dem Typen dort drüben teilen.“

Doch die Aufforderung verhallte ungehört. Von insgesamt 60 beschenkten Menschen teilte kein einziger sein unverhofft bekommenes Geld. Das ist so eindeutig, dass die Forscher gar keine weiteren Tests brauchten, um ein hochsignifikantes Ergebnis zu bekommen.

So wie das Experiment von Jeffrey Winking und Nicholas Mizer gibt es in letzter Zeit noch mehr Versuche, die das Bild vom freundlichen Menschen auf den Kopf stellen. Zum Beispiel eines der Bonner Ökonomen Armin Falk und Nora Szech, das vor einigen Wochen durch die Medien ging: Die beiden stellten ihre Versuchsteilnehmer vor die Wahl, ob sie einen kleinen Geldbetrag von höchstens zehn Euro bekommen wollten oder ob sie lieber einer Maus das Leben retten wollten, die ansonsten vergast würde – ein Schicksal, das diesen Labormäusen ohne das Experiment ohnehin bevorstand.

Als die Menschen einzeln vor die Entscheidung gestellt wurden, ließen nur rund 40 Prozent die Maus sterben. Wenn sie in einem Markt mit anderen Leuten über den Preis für das Mäuseleben verhandeln mussten, fiel in 80 Prozent der Fälle das Todesurteil für die Maus. Falk und Szech schlossen daraus, dass der Markt die Menschen unmoralisch macht. Andere Ökonomen sehen das Ergebnis im Zusammenhang mit anderen Gruppenentscheidungen und sagen: Wo viele Menschen zusammen agieren, wird der Egoismus stärker.

Nun sind aus der Praxis auch die Beispiele von Gruppen bekannt, die sehr kooperativ zusammenarbeiten. Forscher werden in den nächsten Jahren weiter ausloten, wann Menschen freundlich sind und wann egoistisch.

Gleichzeitig kommen die Ökonomen auf neue Ideen. Im vergangenen Jahr ging der Wirtschaftsnobelpreis an Alvin Roth und Lloyd Shapley, die für eine Disziplin namens Marktdesign stehen. Sie versuchen Regeln zu finden, mit denen Märkte besser funktionieren, wenn die Menschen unterschiedliche Interessen und Eigenheiten haben.

Eines ihrer Ziele ist: Die Regeln sollen so beschaffen sein, dass man nicht lügen oder unfreundlich sein muss, um das Beste für sich selbst herauszuholen. Nicht der Ehrliche soll der Dumme sein, sondern für seine Ehrlichkeit belohnt werden. Dieser Forschungszweig dürfte in den nächsten Jahren ebenfalls wichtig werden.
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