Dass die Geschwister-Reihenfolge einen Einfluss auf das Leben hat, zeigt schon ein Blick auf die mächtigsten Menschen in Deutschland und der Welt. Beginnen wir mit Bundeskanzlerin Angela Merkel – sie ist eine Erstgeborene. Machen wir weiter mit Deutsche-Bank-Ko-Chef Anshu Jain, er ist der Älteste von zwei Söhnen, Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ist ebenfalls Ältester, ebenso der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi. Der einstige Präsident der amerikanischen Notenbank Federal Reserve, Ben Bernanke, hat zwei jüngere Geschwister, Papst Franziskus ist ebenfalls als großer Bruder aufgewachsen.
Man könnte hier lange weitermachen: Viele, sehr viele Menschen mit Macht sind Erstgeborene. Dass das nicht nur anekdotische Evidenz ist, haben mittlerweile einige Studien gezeigt. Die zuletzt aufsehenerregendste unter ihnen verwendet Daten aus Norwegen, die die gesamte Bevölkerung des Landes über eine längere Zeit erfassen. Die Ökonomen Sandra Black, Paul Devereux und Kjell Salvanes wollten anhand dieses umfangreichen Materials endlich einmal testen: Sind Erstgeborene tatsächlich erfolgreicher in Schule und Beruf als später Geborene? Wie viel hat das mit der Größe der Familie zu tun? Wie viel mit der Bildung und dem Einkommen der Eltern?
Die Ergebnisse sind eindeutig. Egal wie groß die Familie ist, die Erstgeborenen sind immer klar im Vorteil. Sie erreichen nicht nur mehr in Schule und Universität, sie verdienen später auch besser. Dabei zeigte sich: Schon das zweite Kind zu sein ist von Nachteil. Aber mit jedem Kind mehr wird der Effekt immer stärker. Sprich: Die Jüngsten sind am schlechtesten gebildet und verdienen am schlechtesten.
Die Unterschiede für die Geschwister sind nicht nur eindeutig vorhanden, sondern auch groß. So sagen die Forscher an einer Stelle: “Um einen Eindruck von der Größe des Effekts zu bekommen: Der Unterschied im Bildungserfolg zwischen dem ersten und dem fünften Kind in einer Fünf-Kinder-Familie ist ungefähr so groß wie der Unterschied zwischen Schwarzen und Weißen in Amerika in der Volkszählung von 2000.” Das hat einen großen Einfluss auf das künftige Leben. Denn auch die Gehälter der Erstgeborenen sind signifikant höher als die der jüngeren Geschwister.
In einer späteren Studie mit den gleichen Daten haben die Forscher zudem herausgefunden: Auch der Intelligenzquotient der älteren Geschwister ist höher als der ihrer Geschwister. Zwischen den Erst- und Zweitgeborenen liegen im Schnitt drei IQ-Punkte. Zwar gibt es über die Frage, ob die Älteren intelligenter sind, eine seit Jahrzehnten andauernde Debatte und also viele Gegenstimmen. Selten aber wurde mit so differenziertem Datenmaterial gearbeitet.
Diese Effekte – Bildung, Einkommen, IQ – zeigen sich übrigens auch, wenn man nur Familien mit zwei Kindern oder nur Familien mit drei Kindern miteinander vergleicht. Soll heißen: Sie sind nicht Ausdruck davon, dass schlechter Gebildete mehr Kinder haben, die dann wieder schlechter gebildet sind und den Schnitt herunterziehen.
Was ist also los mit den Erstgeborenen? Warum sind sie tendenziell besser in der Schule, verdienen besser und sind sogar intelligenter? Wieso sind sie erfolgreicher? Sind die Eltern schuld?
Dazu gibt es eine Menge Ideen. Eine erste ist: Je mehr Kinder eine Familie hat, desto weniger Geld bleibt für das einzelne Kind, desto schlechter wird es gefördert, desto schlechter entwickelt es sich. Black, Devereux und Salvanes halten das nach ihren Ergebnissen für eine wenig überzeugende Erklärung. Aus zwei Gründen: Erstens zeigen ihre Studien, dass die Familiengröße sich kaum negativ auswirkt. Und große Familien sind ja eigentlich tendenziell ärmer als kleine. Zweitens gibt es ein von den Forschern nicht erwartetes Ergebnis der Studie: In Familien, in denen die Eltern besser gebildet sind, fallen die Zweit- und Drittgeborenen noch stärker ab in Sachen Leistung und Verdienst als in Familien mit schlechter gebildeten Eltern. Wenn man davon ausgeht, dass hohe Bildung mit gutem Einkommen der Eltern einhergeht, muss man konstatieren: In einer Familie, die finanziell gut dasteht, ist es noch wahrscheinlicher, dass der Erstgeborene einen Vorsprung fürs Leben hat, als in einer Familie, die weniger Geld hat. Am Geld liegt es offenbar nicht.
Eine zweite Theorie, um den Vorteil der Erstgeborenen zu erklären, ist eine biologische: Mütter sind bei der Geburt des zweiten und dritten Kindes älter, deshalb sind diese von Natur aus schlechter ausgestattet. Dafür finden die Forscher keine Bestätigung in ihren Daten.
Eine dritte Theorie könnte man so zusammenfassen: Die Helikopter-Eltern sind schuld! Das erste Kind umfliegen und umhegen sie, fördern es endlos und dringen auf strenge Disziplin. Beim zweiten lassen sie nach, und je mehr Kinder da sind, desto weniger ist das Helikoptern möglich. Dagegen spricht, dass in der Studie auch Folgendes herauskam: Das erste Kind einer Familie mit mehreren Kindern war im Schnitt besser gebildet als ein Einzelkind – das ja in Sachen Helikopter-Eltern sicher die allerbeste Betreuung genießt.
Die Ökonomen V. Joseph Hotz und Juan Pantano stellen deshalb eine andere These auf. Sie glauben, dass die Eltern strategisch vorgehen, wenn sie mehrere Kinder haben. Beim ersten Kind sind sie besonders konsequent und hart, weil es als Vorbild für die nächsten dient. Wenn sie sich bei ihm durchgesetzt haben, schreckt das die anderen ab. Anhand von Umfragedaten aus Amerika zeigen sie, dass das durchaus wahrscheinlich ist. Dort waren die Eltern deutlich schneller bereit, ein Kind für schlechte Leistungen zu bestrafen, wenn es ihr Erstgeborenes war.
Für alle, die – wie die Autorin dieses Artikels – keine Erstgeborenen sind, ist das immerhin ein Trost. Sie werden vielleicht im Schnitt nicht so reich und mächtig, dafür haben sie eine angenehmere Kindheit. Außerdem sei für alle Spätgeborenen auf Folgendes hingewiesen: Wolfgang Amadeus Mozart war das siebte Kind seiner Eltern. Microsoft-Gründer Bill Gates ist Zweitgeborener, ebenso wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Johann Sebastian Bach war sogar das jüngste von acht Kindern.
V. Joseph Hotz und Juan Pantano: “Strategic Parenting, Birth Order and School Performance“, NBER Working Paper 19542, Oktober 2013.
Sandra Black, Paul Devereux, Kjell Salvanes: “The More the Merrier? The Effect of Family Size and Birth Order on Children’s Education“, The Quarterly Journal of Economics, Mai 2005, S. 669-700.
Der Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 22. Juni 2014.