Lars Hansen hat seinen Nobelpreis insbesondere für die Erfindung der GMM verdient. GMM steht für “Generalized Methods of Moments”. Die GMM ist eine Methode zur Schätzung von Parametern, wenn das zugrundeliegende Modell einen Zusammenhang zwischen Erwartungen von Variablen herstellt. Ein einfaches Beispiel ist die Schätzung des langfristigen Mittelwertes von unabhängigen Beobachtungen. GMM verallgemeinert diese Idee radikal.
Ein zentraler Anwendungsbereich der GMM ist die Analyse von Wertpapiererträgen. Mit empirischen Arbeiten hat Eugene Fama, Nobelpreisträger im gleichen Jahr, gezeigt, daß Aktienpreise nicht allmählich auf neue Informationen reagieren, sondern sich meist sofort anpassen: Informationen werden “effizient” verarbeitet. Andererseits hat Schiller, auch Nobelpreisträger im gleichen Jahr, auf die Vorhersagbarkeiten der Aktienerträge über mehrere Jahre hingewiesen.
Das alles ist mit ökonomischer Theorie grundsätzlich vereinbar. Aber man braucht GMM, um die Zusammenhänge zu analysieren. Um das zu verstehen, hilft etwas ökonomische Theorie. Nehmen wir ein Individuum, daß sich zwischen etwas mehr Konsum heute und etwas mehr Konsum morgen entscheiden soll. Verzichtet es auf Konsum heute, so kann es die freiwerdenden Resourcen in Wertpapieren anlegen, also etwa Pfandbriefe oder Aktien kaufen, und aus den Auszahlungen und Verkaufserlösen morgen den Mehrkonsum finanzieren. Dabei vergleicht das Individuum den entgangenen Nutzen heute mit dem so erzielten Zusatznutzen morgen. Sind beide Werte gleich, so lässt sich der Nutzen auf diese Weise nicht mehr steigern. Die Gleichheit der beiden Werte ist eine wichtige Optimalitätsbedingung.
Der Konsum morgen und der Wertpapierertrag morgen sind allerdings aus heutiger Sicht noch unsicher. Also kann das Individuum den Mindernutzen heute nur mit der Erwartung des Mehrnutzens morgen vergleichen. Der Mehrnutzen morgen ergibt sich dabei als Produkt aus dem Ertrag des Wertpapieres, also den zusätzlichen Konsumeinheiten, und dem Nutzen pro zusätzlicher Konsumeinheit oder Grenznutzen morgen. Und so ergibt sich schließlich als Optimalitätsbedingung, daß der Erwartungswert des Produktes aus Wertpapier-Ertrag und dem Verhältnis zwischen Konsumgrenznutzen morgen und Konsumgrenznutzen heute den Wert eins ergeben muß. Dabei dürfen alle zum heutigen Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen in die Erwartungsbildung einbezogen werden. Dies ist die berühmte Lucas Wertpapierbewertungsgleichung (nach dem Wirtschaftsnobelpreisträger Lucas): sie bildet die Grundlage vieler Finanzmarktforschungen. Die Gleichung stellt einen Zusammenhang zwischen Erwartungen von Variablen her, wie es für die GMM verlangt wird.
Famas Einsicht findet sich hier wieder: alle zur Verfügung stehenden Informationen werden sofort und nicht allmählich verarbeitet. Schillers These ist auch mit dieser Gleichung vereinbar: verändert sich nämlich der Konsumgrenznutzen in vorhersagbarer Weise, so muß das auch für Wertpapiererträge gelten. Und schließlich: kennt man das Verhältnis zwischen dem Konsumgrenznutzen morgen und dem Konsumgrenznutzen heute und kennt man seine Bewegungen im Zeitablauf, so hat man eine Grundlage zur Wertpapierbewertung.
In der Literatur gibt es dazu eine Reihe von Vorschlägen. Nur: welcher Vorschlag ist die Lösung, welche Vorschläge funktionieren? Hier kommt nun die GMM von Lars Hansen zum Einsatz. Seine Methode erlaubt es, diese Vorschläge mit Hilfe der beobachteten Wertpapiererträge und weiterer Daten zu testen, und dabei zugrundeliegende Parameter zu schätzen. So kann man beispielsweise daran denken, den Grad der Risiko-Aversion zu messen und zu untersuchen, ob diese Risiko-Aversion anderer Natur ist als ein Parameter, der den Wunsch nach Glättung des Konsums im Zeitablauf regelt. Da es viele Wertpapiererträge gibt, und da es viele Informationen gibt, die zum Zeitpunkt einer Anlage vorliegen, sind die Ansprüche an eine gute Lösung hoch. Der bahnbrechende Beitrag von Lars Hansen hat so eine lebhafte und aktive Forschungsrichtung angestoßen, die sich auf die Suche nach dem plausibelsten Vorschlag zur Bewertung von Wertpapieren gemacht und bereits große Fortschritte erzielt hat.
Lars Hansen als Wissenschaftler und Mensch
Lars Hansen ist mein Kollege an der University of Chicago. Er ist eher ruhig, aber wenn er spricht, dann hören ihm alle genau zu. Er wird nicht nur für seine Forschungen und tiefen Einsichten hoch geachtet. Er kümmert sich auch vorbildhaft um die Ausbildung der Doktoranden sowie um ein fruchtbares Forschungsumfeld.
Dabei ist er Wissenschaftler durch und durch. Er ist kein Prediger von wirtschaftspolitischen Ansichten oder Berater von privaten Banken und Anlegern. Viele Nicht-Ökonomen mögen den Eindruck haben, es gehe den wichtigsten Volkswirten vor allem darum, in Talkshows Ansichten zu verbreiten und Politikentscheidungen zu kritisieren, in den Medien und Politikzirkeln einflußreich zu sein, und dramatische Vorhersagen für die Wirtschaft in den nächsten Jahren zu machen.
Lars Hansen ist so ziemlich das Gegenteil dieses Bildes vom Medienvolkswirt. Nach meiner Erfahrung ist das zwar ohnehin eher typisch für viele Kollegen, aber man darf durchaus sagen, daß Lars Hansen ein ganz besonders deutliches Gegenteil ist. So wurde im Juni 2011 an der University of Chicago das Becker-Friedman-Institute gegründet: es wird von Lars Hansen geführt. Milton Friedman war ein berühmter Chicago-Ökonom und medienwirksamer Vorkämpfer für die freie Marktwirtschaft. Viele hätten dieses Institut vielleicht als Plattform für wirtschaftspolitisch libertäre Kommentare und entsprechende Publizität verwendet. Nicht Lars Hansen. Die Aktivitäten des Institutes bestehen vor allem im Austausch von Wissenschaftlern über ihre neuesten Forschungsergebnisse, und der Forschungsförderung. Denn: gute Wirtschaftspolitik kann nur auf der Grundlage führender wirtschaftswissenschaftlicher Forschung gelingen, sie ist das Fundament. Lars Hansen legt daher auch hier mit den Aktivitäten des Becker-Friedman-Institutes die Basis für eine bessere Welt von morgen. Um die Konsequenzen mögen sich dann andere in den Talkshows streiten.