Als Amerikas Finanzminister Jacob Lew 2013 erstmals seinen deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble traf, brachte er ihm ein Geschenk mit: die von dem Historiker Ronald Chernow verfasste Biographie von Alexander Hamilton. Das Geschenk war eine Botschaft. Hamilton, der erste Finanzminister der Vereinigten Staaten, gilt als der Vater der Fiskalverfassung Amerikas, die den Zusammenhalt der Bundesstaaten dauerhaft absicherte. Ein wenig wünscht Lew sich das von Europa und dabei vor allem wohl von Schäuble, damit im Euroraum endlich Ruhe einkehrt.
Hamiltons Leistung bestand darin, dass er auf Basis der Verfassung von 1787 die Finanzen des jungen Staates ordnete und auf soliden Grund stellte. Amerika konnte so Schuldenkrisen ausweichen und Finanzkrisen besser begegnen. Als historisches Vorbild wurde Hamilton damit zum Helden der heutigen Europäer, wie es der Wirtschaftshistoriker Harold James formuliert. Eine Vielzahl von Studien widmet sich der Frage, ob und was die Europäer von Hamilton lernen können.
Schulden für die gemeinsame Sache?
Kurz nach dem Unabhängigkeitskrieg war die finanzielle Lage Amerikas desaströs. Die Schulden des Bundes und der Bundesstaaten beliefen sich auf rund 40 Prozent der geschätzten Wirtschaftsleistung, was angesichts begrenzter Steuereinnahmen viel war. Sie wurden weit unter Nennwert gehandelt. Die Bundesregierung war im Zahlungsrückstand. Hamilton löste die Lage durch einen großen Ausgleich der Interessen. Die Bundesregierung, zuvor von Finanzbeiträgen der Staaten abhängig, erhielt mit der Verfassung die eigene Steuerhoheit und konnte vor allem durch Zölle regelmäßige Einnahmen von etwa 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erzielen. Im Gegenzug paukte sie 1790 die Bundesstaaten heraus und übernahm deren Schulden. Staaten wie Virginia und Maryland, die ihre Schulden weitgehend abgezahlt hatten, erhielten Sonderkonditionen. Zudem zog die Hauptstadt von Pennsylvania nach Washington um, auf der Grenze zwischen Virginia und Maryland.
Ist die Lehre für Europa, dass die EU die Schulden der Krisenstaaten übernehmen soll? Eher nicht. Denn Hamiltons Bail-out der Bundesstaaten gründete politisch in dem Argument, dass die Schulden des Unabhängigkeitskriegs der gemeinsamen Sache gedient hatten. Das lässt sich für die Schulden der Euro-Krisenstaaten nicht behaupten.
Die Übernahme der Schulden der Bundesstaaten verschaffte dem Bund Größenvorteile wie einen größeren Anleihemarkt. Doch es ist eine zweifelhafte Strategie, mit mehr Schulden an Einfluss gewinnen zu wollen. Es erinnert an die in vielen Kleinstädten eingeübte Praxis, dass der Herr Bankdirektor immer nur den Großschuldner persönlich und mit Händedruck begrüßt, während der Kleinschuldner leer ausgeht. Am Ende geht dann oft genug die Bank mit dem Großschuldner leer aus, während der Kleinschuldner brav mit Zins und Zinseszins alles zurückzahlte.
Steuerhoheit für den Zentralstaat?
Ökonomisch sicherte Hamiltons Handel die Kreditwürdigkeit des Bundes, weil dieser nun über Steuerhoheit verfügte. Die Kurse der Schuldpapiere stiegen. Das entspricht der Einsicht des Wirtschafts-Nobelpreisträgers Thomas Sargent, dass der Wert von Schuldtiteln sich aus künftigen Einnahmen und Ausgaben bestimmt. Sollte die EU deshalb eine eigene Steuerhoheit erhalten? Besser nicht, zumal sie ohnehin keine Schulden machen darf. Denn die Steuerhoheit auf Ebene der Zentralstaaten begünstigt die Zentralisierung in föderalen Staatsgebilden, wie die historische Erfahrung gerade in Europa lehrt. Wer der Meinung ist, dass die EU schon heute zu sehr wuchert, der darf ihr keine Steuerhoheit geben.
Und die Steuerhoheit für die Zentrale kann noch andere unerwünschte Folgen haben. Der verstorbene Ökonom Hans Willgerodt erinnerte gerne daran, dass das Deutsche Reich erst damit begann, Kriege anzuzetteln, nachdem es die Hoheit über direkte Steuern erhalten hatte und sich nicht mehr als Kostgänger der Länder ernähren musste. Hamilton sah die Steuerhoheit und Kreditwürdigkeit des Bundes dagegen als Versicherung, sich notfalls verteidigen zu können.
Vitor Gaspar, der als Finanzminister Portugal aus der Krise führte und jetzt die Fiskalabteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF) leitet, zieht aus Hamiltons Handel insbesondere eine Lehre für Europa: Staatsschulden sollten im Interesse der Kreditwürdigkeit beglichen werden. Stimmt das für Amerika? So ganz nicht. Heimische Gläubiger schuldete Hamilton um, sie mussten niedrigere und verzögerte Zinszahlungen in Kauf nehmen. Die Umschuldung per „Haircut“, wie man heute sagt, war so freiwillig wie die Umschuldung der Gläubiger Griechenlands. Im Unterschied zu Griechenland 2012 aber beharrte Hamilton darauf, dass die Zusagen an Auslandsgläubiger eingehalten wurden.
Amerikas Bail-out blieb einmalig
Die wohl wichtigste Lehre aus Hamiltons Handel ist, dass der Bail-out der Bundesstaaten einmalig blieb. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts folgten die Bundesstaaten zwar der These, dass schuldenfinanzierte Infrastruktur sich selbst finanziere. Ähnliche Sirenenklänge hört man heute als Aufforderung an Europa vom IWF. Die Staaten Amerikas jedenfalls verschuldeten sich heftig und gerieten in den dreißiger Jahren in Zahlungsnotstand. Doch diesmal verweigerte der Kongress in Washington den Bail-out und diverse Bundesstaaten stellten den Schuldendienst ein. Auch die Kreditwürdigkeit des Bundes nahm zeitweise Schaden.
In der Folge gaben die Bundesstaaten sich zur Wiedergewinnung der Kreditwürdigkeit Verfassungsregeln, die den Haushaltsausgleich vorschrieben. Die Verweigerung der Hilfeleistung des Bundes an die Gliedstaaten erzwang fiskalisches Wohlverhalten. Das hat nicht alle, aber viele Fiskalkrisen in Amerika verhindert.
Europa hat diese Lehre nicht gehört. Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM richtete es einen dauerhaften Mechanismus ein, um Eurostaaten herauszupauken. Kollektiver Reformdruck, nicht Eigenverantwortung, soll die Krisenstaaten stärken. Wer’s glaubt. Die historische Erfahrung der Amerikaner hat jedenfalls bewiesen, dass das Prinzip der fiskalischen Eigenverantwortung der Gliedstaaten funktioniert.
Thomas Sargent (2011): United States then, Europe now. Nobelpreisrede in Stockholm.
Der Beitrag erschien als “Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 26. Oktober. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.
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