Herr Bachmann, Sie haben die Jahrestagung der Allied Social Science Associations (ASSA) in Boston besucht. Die ASSA ist ein Zusammenschluss von rund 55 sozialwissenschaftlichen Organisationen, unter anderem der American Economic Association (AEA) und der Econometric Society (ES), den bedeutendsten Zusammenschlüssen von Ökonomen weltweit. Warum ist die Tagung etwas Besonderes?
Es dürfte die weltweit größte und vor allem inklusivste Tagung von Ökonomen sein: Hier präsentieren die wichtigsten neoklassischen Mainstreamökonomen genauso wie Vertreter eher heterodoxer Ansätze.
Nachwuchsökonomen fiebern der Konferenz ja ganz besonders entgegen!
Ja, bei der Tagung findet der sogenannte Jobmarkt statt, bei dem frischgebackene PhDs oder kurz vor dem PhD stehende junge Ökonomen in kurzen Interviews, die meistens in etwas schäbigen Hotelzimmern stattfinden, ihre sogenannten Jobmarktpapiere, also den besten Teil ihrer Dissertation, präsentieren und verteidigen müssen. Davon hängt dann ab, ob die Kandidaten eine Campuseinladung und letztlich einen Job bekommen.
Ihre neue akademische Heimat, Notre Dame, will viele junge Doktoranden einstellen. Haben Sie deshalb selbst viel Zeit mit den Interviews in den Hotelzimmern verbracht?
Ja, dadurch habe ich von der eigentlichen Konferenz gar nicht so viel mitbekommen. Aber durch die Interviews habe ich einen großartigen Überblick über die aktuelle Forschung der besten Doktoranden des Jahrganges in meinem Fachgebiet der Makroökonomik gewonnen. Und es zeigt sich wieder einmal, wie wichtig die Doktoranden für den wissenschaftlichen Fortschritt sind. Etwas, was wir in der deutschen VWL erst noch richtig lernen müssen.
Jetzt zum Inhalt. Sie waren auf der allgemeinen Konferenz selbst als Diskutant dabei. Worum ging es?
Diskutanten haben bei einer wissenschaftlichen Konferenz die Rolle, eine Kurzrezension einer wissenschaftlichen Arbeit zu geben, zusammenzufassen, einige kritischen Punkte zu machen, das Papier in die Literatur einzuordnen. Mein Papier war „Inflation Dynamics During the Financial Crisis“ von Simon Gilchrist, Raphael Schönle, das ist ein junger deutscher Ökonom in den Vereinigten Staaten, Jaewon Sim und Egon Zakrajsek.
Worum geht es da genau?
Das Papier wurde im Rahmen einer Sitzung zum Thema „Rigiditäten in der Makroökonomik“ vorgetragen, in der es unter anderem, um die Rolle von kurzfristigen Einzelhandelsrabatten für die Geldpolitik, Inflationserwartungen von Unternehmern und eben um die Inflationsentwicklung in den Vereinigten Staaten während und nach der Großen Rezession ging. Je nachdem wie man Inflation genau misst, gab es gegen Ende der Großen Rezession zwar einen kurzen, sich schnell wieder umkehrenden Einbruch der Inflationsrate – oder gar keine Bewegung, wenn man sich nur auf die sogenannte Kerninflation, also die Inflationsrate ohne Nahrungsmittel- und Energiepreise, konzentriert. Egal welche Inflationsrate man am Ende nimmt, – , wenn man dann weiter die schwache Erholungsphase der amerikanischen Ökonomie ab 2010 betrachtet, gibt es kein Anzeichen von Deflation. Wenn man wie viele Keynesianer glaubt, dass der Grund für die schwache Erholung persistent schwache aggregierte Nachfrage ist, dann müsste man eigentlich Deflationstendenzen und –gefahren erwarten. Paul Krugman hat das immer wieder prominent getan, hier genüsslich von seinem intellektuellen Gegenspieler John Cochrane zusammengefasst Paul Krugman hat das natürlich auch erkannt und musste irgendwann reagieren, was er hier getan und nominal rigide Löhne als Erklärung angegeben hat
Und, befeuert das Papier diese Debatte weiter?
Es gibt inzwischen weitere Erklärungsversuche in der Literatur, aber das Papier von Gilchrist et al. schlägt eine neue kreative Erklärung vor. Hier ist die intuitive Story: wenn man berücksichtigt, dass Preisentscheidungen von Firmen, die Produkte mit hohen Kundenbindungen herstellen, nicht nur kurzfristige Bedeutung für die Nachfrage haben, sondern eben auch langfristige, dann erkennt man, dass Preisentscheidungen den Charakter einer Investitionsentscheidung bekommen. Zum Beispiel: heutige niedrige Preise, selbst wenn sie zu kurzfristigen Verlusten führen mögen, stellen eine Investition der Firmen in einen Kundenstamm, in Kundenbindung da, ganz ähnlich wie traditionell Unternehmen in neue Maschinenparks, das heißt zukünftige Produktionskapazität, investieren.
Was aber passiert nun in einer Finanzkrise?
Jegliche Investitionen, die heute Ausgaben oder Einnahmeverzichte erfordern, aber erst später Rendite bringen, werden erschwert oder unmöglich gemacht. Das gilt auch für Investitionen in Kundenbindung durch Preisentscheidungen. Und Gilchrist et al. zeigen genau das in den Daten. Während der Finanzkrise senken Firmen mit einer guten finanziellen Bilanzposition ihre Preise, genau wie die Standardtheorie es in einer Rezession vorhersagen würde. Aber Firmen mit einer schlechten finanziellen Bilanzposition erhöhen ihre Preise mitten in der Rezession. Gilchrist et al. benutzen dazu Mikrodaten von Firmen. Das ist wieder ein Beispiel dafür, wie moderne makroökonomische Forschung immer mehr auf Mikrodaten basiert. Ausgehend von dieser Beobachtung bauen dann Gilchrist et al. ein makroökonomisches Model, mit dem sie in der Tat zeigen, dass die Kombination von Finanzproblemen und Konsumentenmärkten zu weniger Deflation oder sogar zu Inflation bei einem aggregierten Nachfrageschock führen kann, wenn auch zu mehr Outputverlusten.
Was folgt aus dieser Einsicht?
Einerseits ist das vielleicht etwas paradoxerweise eine gute Nachricht, denn das bedeutet, dass Finanzierungsprobleme in Kombination mit einem aggregierten Nachfrageschock dazu führen können, dass Deflationsspiralen verhindert werden; andererseits macht es aber auch die Geldpolitik schwieriger, denn bei sinkendem Output und steigender Inflation hat die Geldpolitik einen Zielkonflikt, den sie im Standardfall bei aggregierten Nachfrageschocks – sinkender Output und sinkende Inflation – nicht hat. Die Autoren beschreiben dann auch noch ein sogenanntes Paradox finanzieller Stärke. In einer Ökonomie, in der die Firmen im Durchschnitt eine gute Bilanzposition haben, aber sehr heterogen in ihrer Bilanzposition sind – kann es zu massiven Preiskriegen zwischen Firmen mit guter und schlechter Bilanzposition kommen, die zu einer schweren Rezession führen kann, und zwar schwerer als in einer Ökonomie mit insgesamt etwas finanziell schwächer dastehenden, aber nicht so heterogenen Firmen, in der sich Preiskriege nicht lohnen.
Die Fragen stellte Johannes Pennekamp