Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Einfache Regel gegen politische Willkür

Einst gab es in der Ökonomik eine kluge Unterscheidung, die dabei half, wirtschaftspolitische Beschlüsse einzuordnen. Unterschieden wurde zwischen marktkonformen und nicht-marktkonformen Maßnahmen. Im modernen Studium der Volkswirtschaftslehre ist diese Zweiteilung, wenn nicht alles täuscht, an den Rand gedrängt worden. Wirtschaftspolitisch spielt das Denkschema in Zeiten der großen Koalition gar keine Rolle mehr. In diesem Jahr etwa hat Deutschland den Mindestlohn und die Mietpreisbremse eingeführt. Beides sind Musterbeispiele für nicht-marktkonforme Maßnahmen.

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Mindestlohn und Mietpreisbremse werden dennoch gelegentlich gepriesen als Elemente einer sozialen Marktwirtschaft. Das ist eine groteske Verdrehung der Tatsachen, denn die Trennung zwischen marktkonform und nicht-marktkonform stammt von den Vätern der sozialen Marktwirtschaft selbst.

Es war der Ökonom Wilhelm Röpke, der auf der Suche nach einem dritten Weg zwischen Kollektivismus und Liberalismus in den dreißiger Jahren zwischen konformen und nicht-konformen Staatseingriffen unterschied, zwischen Interventionen, die der auf dem Markte beruhenden Wirtschaftsverfassung gemäß oder nicht gemäß sind. Als konform bezeichnete Röpke Interventionen, die die Selbststeuerung des Marktes nicht aufheben, sondern die sich ihr „als neue Daten einordnen und von ihr assimiliert werden“. Als nicht-konform galten ihm Eingriffe, die den Preismechanismus außer Kraft setzen, indem etwa Höchst- oder Mindestpreise vorgeschrieben werden.

Gegen kollektive Planung

Röpkes Beispiele verdeutlichen, was er meinte. Eine Währungsabwertung sieht er als einen schwerwiegenden und nur im äußersten Notfall vorzunehmenden, möglicherweise auch schädlichen Eingriff – aber immerhin als eine Intervention innerhalb des Preismechanismus. Eine Devisenzwangswirtschaft dagegen verhindere, dass Angebot und Nachfrage am Markt zum Gleichgewicht fänden. Schutzzölle sieht Röpke als marktkonform, Einfuhrkontingente als unverdaulichen Fremdkörper der Wirtschaftsverfassung. Ein modernes Beispiel aus der Umweltpolitik mag vielen näherstehen: Nicht-marktkonform wäre das staatliche Verbot der Luftverschmutzung, marktkonform dagegen schon der Einsatz einer Steuer, die Unternehmen und Verbraucher anregt, weniger Schadstoffe in die Luft zu entlassen, erst recht aber ein Markt, an dem Verschmutzungsrechte gehandelt werden.

Ganz offensichtlich geht es Röpke in der Zweiteilung staatlicher Interventionen darum, die Wirtschaftlichkeit, die Effizienz des Marktes vor politischer Willkür zu schützen, um der Bevölkerung einen bestmöglichen Lebensstandard zu ermöglichen. Und es geht ihm darum, das Abrutschen der Gesellschaft in eine kollektivistische Planwirtschaft zu verhindern, in der über Angebot und Nachfrage Bürokraten, nicht aber Verbraucher und Unternehmer befinden.

Ist die Sonntagsruhe marktkonform?

Die Unterscheidung ist dennoch sperrig und führte unter den deutschen Ordnungsökonomen zu noch sperrigeren Debatten über Schemata zur Kategorisierung staatlicher Eingriffe. Dazu trug auch Röpke bei mit dem extremen Vergleich, wonach der Ladenschluss oder die Sonntagsruhe konform mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung seien, ein Investitionsverbot dagegen nicht. Bei letzterem wird ihm jeder Ökonom sofort folgen wollen, aber bei der Sonntagsruhe? Sie verhindert zumindest am Sonntag, dass Angebot und Nachfrage zusammenkommen. Ist das marktkonform?

Röpkes Einordnung ist in vieler Hinsicht kritikwürdig. Viele Liberale würden ihm vorwerfen, dass auch Zölle oder Subventionen die Preise verzerren. Die Menschen mögen sich dann daran anpassen, aber sie folgen damit letztlich dem Willen und den Preissignalen des Staates, nicht mehr den reinen Preissignalen von privatem Angebot und privater Nachfrage. Der Unterschied zur kollektivistischen Planwirtschaft ist dann nur noch graduell.

Andere warfen Röpke das Gegenteil vor, dass er mit dem Kriterium der Marktkonformität das ordnungspolitische Primat der Politik über Bord werfe. Ihm wurde auch vorgehalten, dass das bessere Maß zur Beurteilung staatlicher Eingriffe nicht ein statisches Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage, sondern der ergebnisoffene Wettbewerb sei. Danach wären Staatseingriffe dann abzulehnen, wenn sie die Offenheit der Märkte gefährden.

Bei aller Kritik, eines kann man Röpkes Einordnung nicht nehmen: Es ist im Kern eine einfache Regel. Akademiker mögen sich in den Details der Abgrenzung verstricken, aber die Grundidee, zur Wirtschaftslenkung auf Preise statt auf staatliche Befehle zu setzen, ist so einfach wie klar. Mit einer solchen Vorgabe für die Politik ließen sich zumindest Extreme staatlicher Willkür verhindern, wie Mindestlöhne oder Mietpreisbremsen. Warum ist das wichtig? Weil der Staat mit dem Verbot bestimmter Preise mehr Schaden als Nutzen anrichtet.

Wenn der Staat Probleme schafft

Beispiel Mindestlohn: Ist der Mindestlohn so niedrig, dass er nicht greift, ist er ein unnützes bürokratisches Monster. Greift der Mindestlohn aber, rechnen sich bestimmte Arbeitsplätze nicht mehr. Auf Dauer verschwinden diese Stellen und die Entlassenen stehen auf der Straße. Der niedrigste gezahlte Lohn ist dann der Mindestlohn und die Sozialpolitiker können Hurra rufen. Doch gegen die ökonomischen Gesetze kommt die Politik nicht an; der Schaden des Mindestlohns ist am Arbeitsamt zu besichtigen. Niemand hat dieses Unvermögen politischer Macht, sich gegen den Markt zu stellen, so klar beschrieben wie 1914 der österreichische Ökonom und Finanzminister Eugen von Böhm-Bawerk.

Beispiel Mietpreisbremse. Höchstmieten drosseln die Bautätigkeit, anstatt sie anzuregen, und erhöhen die Nachfrage nach Wohnraum, anstatt sie zu drosseln. Angebot und Nachfrage kommen nicht mehr zusammen. Schrumpfende Familien haben keinen preislichen Anreiz, in kleinere Wohnungen umzuziehen und gesuchten Wohnraum freizumachen. Röpke spricht von einer „Versteinerung der Wohnverhältnisse“, die zur Einschränkung der Freizügigkeit führe. Der Staat schafft die Probleme, die er dann durch Rationierung oder eigenen Wohnungsbau zu lösen versucht.

Röpkes einfache Regel, nicht-marktkonforme Eingriffe zu untersagen, ist kein Allheilmittel. Aber ernsthaft angewandt würde sie zumindest den gröbsten Unsinn staatlicher Planung verhindern.

Hinweise:
Eugen von Böhm-Bawerk (1914): „Macht oder ökonomisches Gesetz?“, Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. 23, S. 205-271.
Wilhelm Röpke (1942): Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart, Erlenbach-Zürich.

 

Der Text erschien als „Sonntagsökonom” am 16. August in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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