Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Der unbekannte Keynes: Gemälde für 70 Millionen Pfund

John Maynard Keynes war nicht nur ein berühmter Ökonom, sondern auch sehr erfolgreicher Gemäldesammler und Kapitalanleger. Jetzt gibt es eine Arbeit über die Wertentwicklung seiner Gemälde.

Cézanne: Die Entführung (L'Enlèvement)Cézanne: Die Entführung (L’Enlèvement)                                             Quelle: Fitzwilliam Museum

Der britische Ökonom John Maynard Keynes (1883 bis 1946) ist über Fachkreise hinaus als einer der einflussreichsten Wirtschaftsdenker bekannt. Zumindest Spezialisten wissen zudem seit Jahren, dass Keynes auch ein sehr erfolgreicher Investor vor allem in Aktien war – als Privatanleger ebenso wie als langjähriger Schatzmeister von King’s College an der Cambridge University. Die finanzielle Dimension seiner Kunstsammlung, die sich heute in King’s College und dem Fitzwilliam Museum in Cambridge befindet, ist erst jetzt durch eine Arbeit der Ökonomen David Chambers, Elroy Dimson und Christophe Spaenjers bekannt geworden.

Keynes als Kunstsammler

Keynes gab zu Lebzeiten für Käufe von Gemälden knapp 13.000 Pfund aus. Ihr aktueller Wert beläuft sich auf etwas mehr als 70 Millionen Pfund. Daraus errechnet sich über die Jahrzehnte eine jährliche Rendite von nominal 9,8 Prozent, die sich nach Abzug der Inflationsrate auf real 4,7 Prozent beläuft. Dies entspricht in etwa der jährliche Rendite, die Keynes als Privatanleger mit Kapitalanlagen in Wertpapieren erzielt hatte. Keynes, der den schönen Künsten zugewandt war und viele Freunde zum Beispiel in der Londoner “Bloomsbury”-Künstlergruppe besaß, kaufte Gemälde nicht ausschließlich, aber auch mit Blick auf eine spätere Wertentwicklung. Die Geschichte, wie Keynes im Jahre 1918 in dem von den deutschen Truppen beschossenen Paris bei einer Degas-Auktion erstmals Gemälde ersteigerte, ist mehrfach erzählt worden, zum Beispiel hier.

Die Sammlung des berühmten Ökonomen bestand aus 135 Bildern, die im Zeitraum von 1917 bis 1945 sowohl auf Auktionen wie von Händlern oder direkt von Künstlern erworben wurde. Keynes besaß Gemälde von bekannten Künstlern wie Braque, Cézanne, Matisse, Seurat und Picasso, aber er kaufte auch Objekte von Freunden und wenig bekannten britischen Malern. Das Geld mobilisierte er unter anderem durch gelungene Spekulationen am Devisen- und am Aktienmarkt. Seine teuersten Erwerbungen waren “L’Enlèvement” (3500 Pfund) und “Broussailles” (3000 Pfund) des französischen Künstlers Paul Cézanne. Ein Vorbesitzer von “L’Enlèvement” (Die Entführung) war der französische Schriftsteller Émile Zola gewesen.

Die Kaufpreise vieler Werke sind aus Keynes’ Nachlass ersichtlich. Da der Ökonom seine Sammlung dem King’s College vermachte und die Gemälde seitdem nicht verkauft wurden, lassen sich Renditen nicht auf der Basis von Marktpreisen, sondern auf der Basis von Schätzungen des Wertes berechnen. Solche Schätzungen hat es seit 1946 allein mit Blick auf die Versicherung der Kollektion mehrfach gegeben. Im Jahre 2013 beauftragten die drei Autoren der Studie zudem mehrere renommierte Kunstexperten mit einer Schätzung des Wertes der kostbarsten Gemälde unter der Annahme eines Verkaufs durch ein Auktionshaus. Insofern sind die errechneten Renditen nur als eine Annäherung an die Realität zu betrachten. Dennoch sind Chambers, Dimson und Spaenjers der Ansicht, dass sich aus ihrer Arbeit Schlüsse für zeitgenössische Investoren in Kunst ziehen lassen.

Ihr erster Schluss besagt, dass die Wertentwicklung einer solchen Sammlung wesentlich von wenigen wichtigen Werken abhängt. In Keynes’ Kollektion waren und sind die meisten Gemälde nicht viel wert. Der vor zwei Jahren geschätzte Gesamtwert von gut 70 Millionen Pfund kommt zu mehr als der Hälfte durch lediglich zwei Objekte zustande. Wer also mit Blick auf die langfristige Wertentwicklung sammelt, braucht vor allem ein glückliches Händchen bei der Wahl der teuer erworbenen Werke. Ein zweiter Schluss lautet: Moderne Indizes für Kunst, die allein auf Auktionspreisen beruhen, sind problematisch. Keynes’ kaufte nicht nur auf Auktionen, sondern auch bei Händlern und unmittelbar von Künstlern. Dank einer sehr guten Vernetzung mit Profis aus der Kunstszene gelang es Keynes – der sich für einen Kenner hielt, aber nicht als Kenner galt -, außerhalb von Auktionen zu sehr günstigen Preisen einzukaufen. Dies stützt die aus der Wirtschaftslehre bekannte These, nach der Insider auf wenig liquiden Märkten überdurchschnittlich hohe Renditen erzielen können.

Keynes als Vermögensverwalter

Wir haben uns bereits in einem früheren Beitrag mit John Maynard Keynes als Kapitalanleger befasst, aber seitdem runden mehrere neue Arbeiten das Bild ab (zum Beispiel hier und hier). Wir wollen uns im Folgenden ausschließlich mit der Rolle des Briten als Schatzmeister von King’s College an der Universität Cambridge befassen. Als eine der ältesten Schulen in Cambridge hatte King’s über Jahrhunderte sein Vermögen ausschließlich in über ganz England verstreute Immobilien und Ländereien investiert. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Rentabilität der britischen Landwirtschaft stark nachließ, wurde diesen Schulen die Anlage eines Teils ihres Vermögens in Wertpapieren gestattet, worauf King’s College kleinere Bestände an Anleihen mit hoher Bonität erwarb.

Von 1921 bis 1946 wurde die Anlage des Vermögens von King’s College von John Maynard Keynes wahr genommen, der eine für die damalige Zeit revolutionäre Änderung herbeiführte. Keynes reduzierte den Immobilienanteil erheblich und baute dafür einen großen Bestand an Aktien auf. Hierzu wurden Erlöse aus dem Verkauf von Immobilien und Ländereien in eine neu geschaffene Abteilung der Vermögensverwaltung, das “Discretionary Portfolio”, eingebracht, in dem der Ökonom weitgehend frei schalten und walten konnte. In diesem speziellen Portfolio hielt Keynes in den zwanziger Jahren einen durchschnittlichen Aktienanteil von 75 Prozent, der in den dreißiger Jahren auf 57 Prozent sank, um zwischen 1940 und 1946 auf 73 Prozent zu steigen. Der Rest des Vermögens von King’s, überwiegend Immobilien und Land, blieb in einem “Restricted Portfolio”, innerhalb dessen Keynes nur wenig Handlungsfreiheit besaß.

Schaut man sich die jährliche durchschnittliche Rendite von 1921 bis 1946 an, zeigt sich Keynes’ erfolgreiche Hand in seinem “Discretionary Portfolio”:

Discretionary Portfolio:    16,0 Prozent
Britischer Aktienindex:    10,4 Prozent
Britische Staatsanleihen:   7,1 Prozent
Restricted Portfolio:           6,8 Prozent

Die nachfolgende Grafik zeigt den gesamten Vermögensbestand von King’s College, also das Discretionary und das Restricted Portfolio zusammen:
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Bekannt ist seit längerem, dass Keynes in den zwanziger Jahren weniger glücklich agierte, als er, wie heute “Global-Macro-Hedgefonds”, auf der Basis gesamtwirtschaftlicher Prognosen Geld anlegte. Er stellte dazu fest (alle nachfolgenden Zitate stammen aus dieser Quelle):

“We have not proved able to take much advantage of a general systematic movement out of and into ordinary shares … at different phases of the trade cycle.”

Seine größten Erfolge erzielte er, nachdem er in den dreißiger Jahren anstelle der Gesamtwirtschaft seinen Blick auf die Analyse einzelner Unternehmen lenkte. Keynes war unter anderem ein Freund des “recovery play”, bei dem man Aktien von Unternehmen kauft, die gerade unbeliebt sind, denen man aber einen deutlich höheren inneren Wert beimisst. (In unseren Tagen wäre die VW-Aktie ein denkbares Beispiel.) Keynes, der nicht unter mangelndem Selbstbewusstsein litt, vertraute auf seine Urteilsfähigkeit und bevorzugte eine Schwerpunktbildung anstelle einer breiten Streuung:

“As time goes on, I get more and more convinced that the right method in Investment is to put fairly large sums into enterprises which one thinks one knows something about … there are seldom more than two or three enterprises at any given time in which I personally feel myself entitled to put full confidence.”

Für Investoren, die sich weniger zutrauten, befürwortete Keynes eine breite Streuung:

“The theory of scattering one’s investments over as many fields as possible might be the wisest plan on the assumption of comprehensive ignorance. Very likely that would be the safer assumption to make.”

Viele Aktien, darunter nicht wenige Vorzugsaktien, hielt Keynes jahrelang und mit Erfolg: Zum Zeitpunkt seines Todes hatte King’s College das traditionell reichere Trinity College in punkto Vermögenshöhe eingeholt. In der Nachkriegszeit spielten unter Keynes’ Nachfolgern Immobilien, von einer kurzen Zwischenphase in den siebziger und achtziger Jahren abgesehen, nie mehr eine so große Rolle wie in den Jahrhunderten vor Keynes.

Der Finanzökonom John Maynard Keynes ist, vermutlich zu Unrecht, weniger bekannt als der Makroökonom John Maynard Keynes. Manche seiner damaligen Weisheiten klingen in unserer Zeit hochaktuell.

Hier ist Keynes über die nachteiligen Folgen einer hohen Volatilität für die Aktienanlage:

“But it is true, unfortunately, that the modern organization of the capital market requires for the holder of quoted equities much more nerve, patience and fortitude than from the holder of wealth in other forms.”

Allerdings wusste Keynes, dass die scheinbare langsamere Beweglichkeit der Werte iliquider Anlagen das Ergebnis einer Täuschung sein kann:

“Some Bursars will buy without a tremor unquoted and unmarketable investments in real estate which, if they had a selling quotation for immediate cash available at each Audit, would turn their hair grey. The fact that you do not know how much its ready money quotation fluctuates does not, as is commonly supposed, make an investment a safe one.”

Diese Erkenntnis ist nicht wenigen Anlegern bis heute verborgen geblieben.

Unser letztes Zitat ist eines der bekanntesten von Keynes; es verbindet Finanzökonomik und Makroökonomik und es ist bis heute aktuell geblieben:

„Speculators may do no harm as bubbles on a steady stream of enterprise. But the position is serious when enterprise becomes the bubble on a whirlpool of speculation. When the capital development of a country becomes a by-product of the activities of a casino, the job is likely to be ill-done.“