Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Nicht nur VW hat betrogen

Er läuft und läuft und läuft, der Volkswagen-Skandal. Seit der zurückliegenden Woche wissen wir, dass die VW-Techniker nicht nur mit Hilfe von Software Abgastests von Dieselautos manipuliert haben. Auch bei der Fahrzeugzulassung haben die Wolfsburger dreist die Emissionsdaten frisiert, wie sie nun selbst zugegeben haben. Deutschlands größter Autokonzern muss wohl noch weitere Milliarden zur Seite legen. Seine Kunden zu betrügen und gegen Umweltauflagen zu verstoßen, kostet richtig viel Geld.

Im Fall VW sind die Autokäufer Opfer. Doch offenbar haben die Kunden selbst es in der Vergangenheit mit den Abgastests auch nicht immer ganz so genau genommen. Zumindest in Mexiko. Dort sollen Autofahrer in der Vergangenheit in erheblichem Ausmaß Werkstattmitarbeiter bestochen haben, damit diese Abgastests zu ihren Gunsten manipulieren. Das Ergebnis sei dasselbe gewesen wie im VW-Skandal – Autos blasen mehr gesundheitsgefährdende Schadstoffe in die Luft als vom Gesetzgeber erlaubt.

Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie, die im Juni in der hochangesehenen amerikanischen Fachzeitschrift “Journal of Political Economy” erschienen ist und im Lichte des VW-Skandals zusätzlich an Bedeutung gewinnt. Die untersuchten Abgaswerte legten nah, dass in 63 von 80 Werkstätten, in denen in Mexiko City Abgastests durchgeführt wurden, Betrug stattgefunden hat, schreibt die Ökonomin Paulina Oliva. Die Forscherin der University of California, Santa Barbara, beruft sich dabei auf 1,6 Millionen Testdaten aus dem Jahr 2003.

Autoabgase sind in Schwellenländern wie Mexiko ein ernstes Problem. Zwar hat dort noch längst nicht jeder Erwachsene ein Auto oder Motorrad. Aber die Zahl der Kfz-Halter steigt rapide, zudem sind die Fuhrparks im Schnitt deutlich älter als in industrialisierten Ländern. Das zeigt sich in der Emissionsbilanz. In Mexiko City machen Emissionen aus dem Straßenverkehr etwa doppelt so viel an der gesamten Schadstoffbelastung in der Luft aus wie in den Vereinigten Staaten, heißt es in der Studie.

Schon im Jahr 1990 versuchte die Politik in Mexiko City gegenzusteuern. Der Stadtbezirk verpflichtete alle Autofahrer, zweimal im Jahr die Abgaswerte ihrer Autos in einer der offiziell zugelassenen Werkstätten prüfen zu lassen. Nur Autos, die den umgerechnet 16 Dollar teuren Test bestehen und bestimmte Ausstoßgrenzen einhalten, bekommen eine Prüfplakette für das Nummernschild, vergleichbar mit der deutschen TÜV-Kontrolle.

Der Betrug bei diesen Tests funktionierte der Studie zufolge nach einem einfachen Schema. Wer befürchten musste, dass sein in die Jahre gekommenes Auto den Test nicht besteht, habe in den meisten Werkstätten mit einem Schmiergeld nachhelfen können. Korrupte Techniker hätten dann nicht das alte, umweltschädliche Fahrzeug des Besitzers auf den Prüfstand gestellt, sondern ein neueres, umweltfreundlicheres, das die Grenzwerte problemlos unterschritt. Dieses Prozedere sei notwendig gewesen, so schreibt die Wissenschaftlerin, weil die Werte für Kohlenstoffmonoxid, Stickoxid und andere Stoffe nicht einfach per Hand in den Messcomputer eingegeben werden konnten, sondern tatsächlich ein Test durchgeführt werden musste, um am Ende ein offizielles Zertifikat ausstellen zu können.

Der Verdacht, dass in Mexiko auf diese Weise Abgasgrenzwerte umgangen wurden, ist nicht neu. Schon im Jahr 2002 hatte die verdeckte Recherche mehrerer Journalisten auf die Betrugsmasche mit dem falschen Auto aufmerksam gemacht. Die Journalisten hatten ein Auto, das wohl als Dreckschleuder bezeichnet werden kann, in sieben verschiedene Werkstätten gebracht. “In sechs Fällen konnten sie für einen Preis zwischen 5 und 40 Dollar das Prüfzertifikat bekommen”, schreibt die Forscherin.

Aber wie kann eine einzelne Forscherin einen solchen Betrug aufdecken – noch dazu, ohne dabei eine Werkstatt zu betreten? Paulina Oliva spielte in die Karten, dass alle 80 Werkstätten ihre Testdaten an das regionale Umweltministerium melden mussten. In einer zentralen Datei war dann minutiös nachzulesen, welches Automodell mit welchem Kennzeichen in welcher Werkstatt überprüft worden ist. Der Schlüssel, dem Betrug auf die Schliche zu kommen, steckt in diesen Datenreihen. Ähnelten sich nämlich zwei aufeinanderfolgende Abgaswerte, obwohl angeblich unterschiedliche Fahrzeuge an den Prüfcomputer angeschlossen waren, liege der Manipulationsverdacht nah, erkannte die Forscherin. Auch wenn in einer Werkstatt ein und dasselbe Testergebnis über einen längeren Zeitraum mehrmals auftauchte, sei es wahrscheinlich, dass ein von den Mexikanern “auto madrina” getauftes falsches Testfahrzeug im Spiel war.

Das Ausmaß der Schwindelei ist der Studie zufolge nicht unerheblich. “Bestechung tritt bei 9,6 Prozent der Tests von Autos auf, die mindestens zehn Jahre alt sind”, errechnete Oliva. Was der Umwelt schadete, war für korrupte Messtechniker und Autofahrer offenbar ein gutes Geschäft. 20 Dollar mussten die Autobesitzer im Schnitt als Schmiergeld bezahlen, schätzt die Ökonomin. Für die Fahrer war das gut angelegtes Geld. Denn wer auf der Straße von der Polizei ohne gültige Prüfplakette erwischt wurde, musste deutlich tiefer in die Tasche greifen und im Jahr 2003 umgerechnet bis zu 325 Dollar Strafe zahlen.

Die Studie der Forscherin aus Kalifornien zeigt nicht nur, was mit Hilfe statistischer Daten alles möglich ist. Sie wirft kurz vor der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen, die Ende des Monats in Paris beginnt, ein Schlaglicht auf mögliche Schlupflöcher in den geplanten Vereinbarungen: Selbst wenn sich Länder auf freiwillige Grenzwerte zum Beispiel für Treibhausgase wie CO2 festlegen, ist längst nicht gesagt, dass diese auch eingehalten werden.

Ökonomin Oliva kommt in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass das effektivste Mittel, um den Ausstoß zu reduzieren, bestimmte technische Vorgaben für Autos sind. Den Betrug in den Werkstätten zu bekämpfen, hält sie für wenig aussichtsreich. Sinnvoller sei es, Vorschriften zum Beispiel für bestimmte Katalysatoren zu machen. Inzwischen seien solche Verpflichtungen in Mexiko City in Kraft gesetzt, aber noch nicht evaluiert.

Dass technische Vorgaben allerdings auch keine Garantie für eingehaltene Emissionswerte sind, ist spätestens seit dem VW-Skandal klar.