Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Auch für Geldpolitik gilt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste

Die Fed hat ihren Leitzins um 25 Basispunkte erhöht. Gleichzeitig hat die Fed-Vorsitzende Janes Yellen für die Zukunft eine  vorsichtige weitere Straffung der Geldpolitik in Aussicht gestellt. Die wissenschaftliche Blaupause für dieses Vorgehen bildet ein unter amerikanischen monetären Ökonomen sehr bekannter, in Deutschland aber kaum einmal zitierter Aufsatz aus der Feder William C. Brainards.

Der ehemalige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke nennt den Aufsatz “elegant”, und der Princeton-Ökonom und ehemalige Fed-Vize Alan Blinder gab zu Protokoll, der Aufsatz habe seine Tätigkeit in der Fed ideell begleitet. Gemeint ist ein nicht mehr ganz taufrischer Beitrag von William C. Brainard aus dem Jahre 1967: “Uncertainty and the Effectiveness of Policy”. Janet Yellen dürfte den Aufsatz schon lange kennen. Sie schrieb ihre Doktorarbeit an der Yale University bei dem Nobelpreisträger James Tobin. Brainard war erst Schüler und dann Mitautor und Kollege Tobins in Yale. 1) 

 

Vom Jahr 1967…

Brainards Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass Politik generell und damit natürlich auch Geldpolitik von Unsicherheit über ihre genaue Wirksamkeit begleitet wird. Der frühere Fed-Vorsitzende Alan Greenspan sagte einmal: “Uncertainty is not just an important feature of the monetary policy landscape; it is the defining characteristic of that landscape.” So lassen sich die Effekte, die ökonomischen Erträge und die möglichen ökonomischen Kosten, einer geldpolitischen Maßnahme wie einer Änderung des Leitzinses oder eines Ankaufprogramms von Anleihen im Vorhinein nicht präzise einschätzen.

Nehmen wir den einfachen Fall an, dass die Geldpolitik nur ein Ziel verfolgt, nämlich die Stabilität des inländischen Preisniveaus P. Nehmen wir weiter zur Vereinfachung an, dass sich das inländische Preisniveau aus der Sicht der Zentralbank mithilfe eines Instruments, nämlich des Leitzinses i, steuern lasse; die Wirksamkeit beschreibt der Koeffizient a. Allerdings wirken auf das Preisniveau nach aller Erfahrung auch Größen, die außerhalb der Kontrolle der Geldpolitik liegen, zum Beispiel Veränderungen von Rohstoffpreisen oder Löhnen. Wir fassen diese exogenen Einflüsse mit der Variablen u zusammen.

Jetzt bemühen wir kurz eine Gleichung, die unsere bisherigen Überlegungen spiegelt:

P = ai + u

Der Geldpolitiker ist mit zwei Arten von Unsicherheit konfrontiert. Zum einen wird er in aller Regel nicht wissen, wie sich die exogenen Einflussfaktoren in der Zukunft entwickeln – so hatte den jüngsten Fall des Ölpreises kaum jemand auf der Rechnung. Wenn der Geldpolitiker aber u nicht richtig einschätzen kann, ist eine eindeutige Bestimmung des optimalen Leitzinsen auch nicht mehr möglich – selbst wenn der Geldpolitiker den Koeffizienten a kennen würde.

Aber der Geldpolitiker, und darauf zielte Brainard vor allem ab, wird auch den Koeffizienten a für die Zukunft nicht kennen. Es ist nämlich keineswegs so, dass Leitzinsänderungen im Zeitablauf immer in gleichem Maße auf das Preisniveau wirken. Was Brainard im Zuge einer nutzentheoretischen Herleitung zeigt, ist, dass sich die Geldpolitik von der Unsicherheit über die exogenen Größen nicht beunruhigen lassen und mit Erwartungswerten arbeiten sollte, die sich als einigermaßen richtig oder als einigermaßen falsch herausstellen werden. (In der Praxis werden für Projektionen von Größen wie zum Beispiel Öl, für die Daten vorliegen, Terminmarktpreise verwendet.)

Anders ist es, wenn Unsicherheit über a besteht, also über die Wirksamkeit des Politikinstruments. Dies gilt erst recht, wenn mehrere Politikinstrumente zur Verfügung stehen – im Falle der Geldpolitik also zum Beispiel Zinsänderungen und Änderungen der Basisgeldmenge (“outside money”) etwa durch Anleihekäufe. Für eine solche Situation leitet Brainard ein vorsichtiges Herantasten der Geldpolitik an den als optimal angesehenen Leitzins ab. 2) In der amerikanischen Fachliteratur wird für dieses Verhalten der Begriff “attenuation” benutzt, was sich mit “Dämpfung” oder “Abschwächung” übersetzen ließe. 3)

 

… ins Jahr 2015

Brainards Aufsatz wird mehrfach in einer aktuellen Arbeit von vier Ökonomen aus dem Stab des amerikanischen Federal Reserve Boards erwähnt. Einer der Autoren ist der deutsche Ökonom Thomas Laubach, der heute die sehr einflussreiche Position des Chefberaters Janet Yellens wahrnimmt und früher ein paar Jahre Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt war. Das Papier, das ein gängiges neokeynesianisches Makromodell um die Möglichkeit einer Finanzkrise anreichert, wird auf der bevorstehenden Jahrestagung der American Economic Association (AEA) Anfang Januar 2016 in San Francisco präsentiert. Es wurde bereits in den vergangenen Monaten mehrfach vorgestellt; hier ist ein Kommentar des bekannten Geldtheoretikers Lars Svensson. Als alleiniges geldpolitisches Instrument wird der kurzfristige Leitzins angenommen.

Es geht um eine der derzeit wichtigsten Fragen in der Geldpolitik: Inwieweit soll die Geldpolitik neben ihrem zentralen Mandat der Sicherung des inländischen Güterpreisniveaus auch Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems berücksichtigen? Und wenn ja, wie sollte sie dies tun? Die Ansichten darüber gehen weit auseinander, wie wir in FAZIT-Beiträgen häufiger demonstriert haben. Denn falls die Geldpolitik in Sorge vor einer Finanzkrise den Leitzins besonders stark erhöht, wird sie damit das Wirtschaftswachstum schwächen. Den Erträgen aus einer (eventuellen) Vermeidung einer Finanzkrise müssen die Kosten aus einer Schwächung des Wirtschaftswachstum entgegen gestellt werden. Die Frage ist: Wie will man das messen?

Die erste Analyse in dem Paper geht nicht von Unsicherheit über künftige Finanzkrisen aus, sondern nimmt an, dass sich künftige Finanzkrisen in den Vereinigten Staaten im Rhythmus und im Ausmaß früherer Krisen bewegen und künftige Leitzinsänderungen so wirken wie in der Vergangenheit. In diesem Falle kommt eine Simulation zu dem Schluss, dass diese Form der Berücksichtigung von Finanzkrisen eine geringfügige Erhöhung des Leitzinses um weniger als 10 Basispunkte mit sich brächte. Das ist ein wenig spektakuläres Resultat.

Aber viel interessanter ist natürlich die Annahme von Unsicherheit, wie sie Brainard seiner Arbeit zugrunde legte. Die Autoren simulieren verschiedene Krisenszenarien und Reaktionsmuster der Geldpolitik. Das Ergebnis fällt, wie nicht anders zu erwarten, unterschiedlich aus. Es existieren Situationen, in denen sich Brainards Prinzip auch aus heutiger Sicht bewährt. Es gibt aber auch Fälle, etwa die Annahme einer künftigen Finanz- und Wirtschaftskrise wie in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, die nach dem Modell der Ökonomen im Vorhinein sehr deutliche Leitzinsaufschläge von 50 Basispunkten zur Krisenprävention notwendig machen.

Das Verdienst dieser Arbeit besteht darin, dass sie auf der Basis eines seriösen, aber natürlich auch kritisch hinterfragbaren Modells Schätzungen für die Aufschläge bietet, die eine Zentralbank bei der Berücksichtigung von Gefahren für die Finanzstabilität auf ihren Leitzins packen müsste. Dass die Spanne je nach Szenario zwischen knapp 10 und 50 Basispunkte liegt und damit ziemlich groß ist, mag auf den ersten Blick entmutigen. Aber so geht es in der Volkswirtschaftslehre: Auch eine gute Arbeit bietet immer einen Ansporn, eine noch bessere zu erstellen.

 

Was folgt daraus?

Muss das die aktuelle Geldpolitik kümmern? Finanzkrisen entstehen nach historischer Erfahrung in den meisten Fällen aus dem Aufbau einer hohen privaten Verschuldung, der das Finanzsystem irgend wann unter Stress setzt. Zumindest in den Vereinigten Staaten haben die Privathaushalte in den vergangenen Jahren ihre Verschuldung reduziert; in vielen anderen Ländern ist dies (noch) nicht geschehen.

Wahr ist aber auch, dass sich an die expansive Geldpolitik der vergangenen Jahre in den Industrienationen keine große Dynamik in der Neuvergabe von Krediten an den Privatsektor angeschlossen hat. Allerdings ist die Lage in vielen Schwellenländern anders.

Alles in allem: Die Debatten über die Bedeutung der Krisenprävention für die Geldpolitik sind noch lange nicht abgeschlossen. Und sie werden uns auch in FAZIT weiter beschäftigen.

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Anmerkungen:

1)Brainard war Tobins engster Mitarbeiter bei der Entwicklung der Portfoliotheorie. Hier ist ihr wohl wichtigster gemeinsamer Aufsatz.

2) Wir befassen uns hier nur mit den Grundlagen des Modells. So haben wir aus Gründen der Vereinfachung implizit unterstellt, dass u und a völlig unabhängig voneinander sind. Brainard analysiert auch den komplizierteren, aber vemutlich realistischeren Fall, dass u und a nicht völlig unabhängig voneinander sind.

3) Das war 1967. Die moderne Theorie hat gezeigt, dass Brainards Resultate in vielen Fällen Bestand haben, sich in bestimmten Situationen aber Ausnahmen herleiten lassen, in denen Brainards Ergebnisse nicht gelten. Wenn zum Beispiel Unsicherheit über die Persistenz eines Inflationsprozesses existiert, ist für eine Zentralbank ein zupackendes Verhalten empfehlenswerter als ein vorsichtiges. Brainards Analyse war entsprechend dem Stand der damaligen Zeit komparativ-statisch, die modernen Analysen sind dynamisch