Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Das Geheimnis des Hockeyschlägers

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Der Aufbau privater Verschuldung ist eines der wichtigsten wirtschaftlichen Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte. Die wichtigste Ursache sind Finanzierungen von Immobilien. Die sehr hohe Verschuldung lastet auf privaten Haushalten, gefährdet die Gesundheit der Banken und vergrößert damit die Krisenfälligkeit reifer Industrienationen.

Sie nennen es den „finanziellen Hockeyschläger“. Gemeint ist die grafische Abbildung des Verhältnisses der Bankkredite an private Schuldner (Unternehmen und Privathaushalte) zum Bruttoinlandsprodukt seit dem Jahre 1870. Die Grafik fasst Daten für 17 Industrienationen, darunter auch Deutschland, zusammen und erinnert mit etwas Phantasie tatsächlich ein wenig an einen Hockeyschläger. Die wichtigste Botschaft der Grafik ist leicht erkennbar: In den vergangenen Jahrzehnten ist die Verschuldung von Unternehmen und privaten Haushalten bei den Banken ganz außerordentlich stark gestiegen. Der Prozess ist nahezu über die gesamte Nachkriegszeit beobachtbar und er kulminierte vor wenigen Jahren bei einem Schuldenstand von fast 120 Prozent des BIP in einer der größten Finanzkrisen der Geschichte. Seit wenigen Jahren geht der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP etwas zurück, aber von einer Trendwende kann keine Rede sein. Ebenso wenig wurde die Finanzkrise überwunden.

Bankkredite

Oscar Jordà, Moritz Schularick und Alan M. Taylor beschäftigen sich seit Jahren mit den Erkenntnissen, die sich aus der Finanzgeschichte über die Ursachen und Folgen hoher Verschuldung ziehen lassen. In Deutschland wird das Thema Verschuldung vor allem im Zusammenhang mit der Staatsverschuldung diskutiert. Staatsverschuldung ist fraglos ein wichtiges Thema, aber Jordà, Schularick und Taylor erinnern an die erhebliche Bedeutung der privaten Verschuldung für die Stabilität von Banksystemen und Volkswirtschaften. Finanzhistoriker wissen schon lange, dass viele Finanzkrise ihre Ursache in zu hoher Privatverschuldung besaßen.Auffallend ist ein weiterer Befund: Der sehr starke Anstieg des Verhältnisses von Bankkrediten zum Bruttoinlandsprodukt erklärt sich kaum mit einer wachsenden Verschuldungsneigung der Unternehmen. Sie erklärt sich vor allem mit einer starken Neigung privater Haushalte, Kredit zur Finanzierung von Immobilien aufzunehmen. Im Laufe der Zeit haben immer mehr Banken die Immobilienfinanzierung als Bestandteil des Geschäftsmodells verstanden, zumal Immobilien eine vergleichsweise gute Besicherung zu bieten scheinen.

Auf der Seite der Privaten Haushalte haben über Jahrzehnte steigende Einkommen in der Nachkriegszeit fraglos die Neigung verstärkt, sich Wohneigentum zuzulegen. Auch hat in vielen Ländern die Politik versucht, den Kauf von Wohneigentum zu fördern. Mit dem Boom der Immobilienkredite sind zudem die Immobilienpreise stark gestiegen, wie eine weitere Grafik belegt. Auch die Abbildung der um die Inflationsrate bereinigte Hauspreisentwicklung erinnert an einen Hockeyschläger.

Hinter dem Durchschnitt der Industrienationen verbergen sich sehr unterschiedliche nationale Entwicklung, hinter denen sich regionale oder kulturelle Muster nicht leicht erkennen lassen. Das Verhältnis von Immobilienkrediten zum BIP ist in den vergangenen Jahrzehnten in Dänemark, der Schweiz und in Spanien sehr stark, dagegen in Finnland, Deutschland und Frankreich vergleichsweise schwach gestiegen. Auch der Anteil der Haushalte, der Wohneigentum besitzt, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr unterschiedlich entwickelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg besaßen in Deutschland, Frankreich und Italien jeweils rund 40 Prozent der privaten Haushalte Wohneigentum. Im Jahre 2013 waren es in Deutschland 45 Prozent, in Frankreich 58 Prozent und in Italien 82 Prozent. Die sehr unterschiedliche Bedeutung des Wohneigentums erklärt auch, warum die aktuellen Untersuchungen das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen italienischer Haushalte deutlich über dem deutschen Vergleichswert liegen.

Manchmal ist in Deutschland von Ökonomen die Ansicht zu hören, der höhere Anteil von Wohneigentum in Italien sei das Ergebnis der früher dort viel höheren Inflationsraten, die Sparer zur Flucht aus dem Geld in den Beton bewegt hätten, während die deutschen Sparer wegen der im Vergleich niedrigen Inflation lieber Geldvermögen bildeten und zur Miete wohnten. Allerdings passt zu dieser These nicht das interessante Ergebnis, wonach in Deutschland, Italien und Frankreich die Bedeutung des Wohneigentums auf dem Land auch heute noch in etwa gleich ist. Die unterschiedliche Rolle des Wohneigentums in Deutschland, Frankreich und Italien kommt vor allem in den urbanen Zentren zum Tragen, und hierfür muss es andere Gründe geben als gesamtwirtschaftliche Inflationsraten, die Stadt und Land betreffen. So befinden sich in Deutschland viele Wohnungen in Städten im Besitz kommunaler Wohnungsbaugesellschaften. Angesichts der schweren Zerstörungen vieler Städte im Krieg und des kräftigen Bevölkerungszuwachses durch Millionen Heimatvertriebene musste nach dem Zweiten Weltkrieg in zahlreichen deutschen Städten schnell viel Wohnraum entstehen, der privat nicht finanzierbar gewesen wäre. Dies wirkt bis heute nach.

In den von Immobilienkäufern begehrten urbanen Zentren sind auch die wichtigsten Ursachen für den starken Anstieg der Immobilienpreise zu suchen, der in den vergangenen Jahrzehnten den Anstieg der Bankkredite begleitet hat. Wegen des starken Zuwachses der Häuserpreise mussten sich die privaten Haushalte im Laufe der Zeit immer höher verschulden, um Eigentum zu erwerben. 80 Prozent des Anstiegs der Immobilienpreise ist auf die Verteuerung von Grund und Boden zurückzuführen und nur 20 Prozent auf die Verteuerung der Häuser. Besonders stark gestiegen sind die Preise für Grund und Boden in urbanen Zentren, während es Landstriche gibt, in denen die Preise sogar zurückgehen. Insgesamt aber lässt sich als Fazit aus der Sicht der drei Ökonomen festhalten: „Der finanzielle Hockeyschläger des 20. Jahrhunderts kann als eine Begleiterscheinung eines stärker kreditfinanzierten Wohneigentums bei deutlich höheren Häuserpreisen verstanden werden.“

Das kräftige Wachstum der Immobilienfinanzierungen hat viele Banken verändert. „In einem großen Ausmaß ähnelt heute das Geschäftsmodell vieler Banken in den entwickelten Länder jenem eines Immobilienfonds: Die Banken leihen sich kurzfristiges Geld, um es langfristig in Immobilien zu investieren“, schreiben Jordà, Schularick und Taylor. „Im Jahre 2007 hatten sich in vielen Ländern Banken in erster Linie in Immobilienfinanzierer verwandelt. In den Vereinigten Staaten und in Norwegen waren im Jahre 2007 etwa 70 Prozent aller Kredite in den Bankbilanzen Immobilienkredite. In Großbritannien betrug die Vergleichszahl 52 Prozent.“ Im Gegenzug ist der Anteil der Bankkredite für produktive Zwecke in der Industrie, ein Kerngeschäft im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, deutlich zurückgegangen. Dagegen wurden im 19. Jahrhundert viele Immobilienprojekte außerhalb des Banksektors finanziert. Die heutige Fokussierung vieler Banken auf den Immobilienkredit, der starke Preisanstieg in vielen Städten sowie die daraus folgende hohe Verschuldung vieler privater Haushalte begünstigen den Aufbau von Spekulationsblasen an Immobilienmärkten, nach deren Platzen niedrigere Werte der Immobilien im Verein mit hochverschuldeten Kreditnehmern Gefahren für die Stabilität des Banksystems erzeugen.

Dies ist, wie das Ökonomen-Trio festhält, keine ganz neue Entwicklung, aber vor dem Zweiten Weltkrieg spielten Spekulationen auf dem Häusermarkt eine geringere Rolle bei Gefährdungen der Finanzstabilität. „Aber in der Nachkriegszeit ist der Immobilienkredit ein wichtigerer Indikator für eine drohende Fragilität des Finanzsystems“, heißt es. Lange Zeit wurden solche Gefahren nicht gesehen. Beigetragen hatte dazu eine Zeit ordentlichen Wirtschaftswachstums bei fallenden Inflationsraten gegen Ende des 20. Jahrhunderts, die in den Vereinigten Staaten als „Große Mäßigung“ bezeichnet wird und in deren Verlauf manche Ökonomen ankündigten, das Zeitalter der Konjunkturschwankungen wäre vorüber. Der Beginn der großen Finanzkrise im Jahre 2007 sorgte für ein Ende dieser Illusionen.

Das starke Wachstum des Kredits in den vergangenen Jahrzehnten hat nach Ansicht von Jordà, Schularick und Taylor einerseits dazu beigetragen, einen Aufschwung der Konjunktur in die Länge zu ziehen und die Schwankungen des Wirtschaftswachstums zu reduzieren. Andererseits habe die wachsende Schuldenlast die Höhe des Wirtschaftswachstums beeinträchtigt und die Gefahr schwerer Krisen vergrößert. Aus dieser Sicht ist es nicht erstaunlich, dass den Jahren der „Großen Mäßigung“ eine der schlimmsten Finanzkrisen aller Zeiten folgte. Der globale Charakter der Krise darf nicht erstaunen, da die Zunahme der Privatverschuldung in sehr vielen Ländern dazu beigetragen hat, ehemalige regionale Unterschiede im Wirtschaftswachstum einzuebnen. Ebenso wenig darf erstaunen, dass sich angesichts der hohen Schuldenbelastung privater Haushalte und der fragilen Verfassung vieler Banken nur sehr langsam erholt.

Aus der Analyse der drei Ökonomen folgt zudem, dass heute der Kredit ein besserer Indikator für die Geldpolitik ist als das Geld. Sie weisen zwar nach, dass in den Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg die Geldmenge für die Geldpolitik ein besserer Indikator gewesen wäre als der Kredit. Mit der wachsenden Bedeutung des Kreditgeschäfts für die Banken und der starken Zunahme der Kredite im Vergleich zum BIP habe sich dies in der Nachkriegszeit allerdings verändert, schreiben sie. Schwer zu sehen ist, wie in einer Welt mit schwachem Wirtschaftswachstum und sehr niedrigen Inflationsraten die hohe Verschuldung der privaten Haushalte innerhalb absehbarer Zeit deutlich zurückgehen soll. Insofern ist nicht damit zu rechnen, dass die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Kredits bald nachlassen wird. 1)

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  1. Eine besondere Betonung des (Bank-)Kredits ist ein Kennzeichen der modernen “Macrofinance”-Literatur und ein häufiges Thema in FAZIT. Hier ist ein frühes Beispiel. Zuletzt hatten wir an die Portfoliomodelle von Tobin und Brunner/Meltzer erinnert, in denen die Transmission geld- oder finanzpolitischer Impulse unter anderem über den Kreditmarkt läuft.

 


6 Lesermeinungen

  1. rum sagt:

    Jenseits von Null
    Nach dem 11.09.2001 senkte die EZB die Zinsen. Von 2005 bis 2008 stieg dann der Hauptrefinanzierungszins von 2% bis 4,25%. Meine Beobachtung in einer großen Stadt war, dass Preise kleiner Wohnungen in dieser Periode etwa 30% sanken. Ab 2008 sank dann rasch der Refinanzierungszins, schon 2008 war bei 2,5%, mittlerweile bei 0. Und die Immobilienpreise steigen in die Wolken. Klar, es hängt nicht vom Refinanzierungszins, sondern eher vom Bauzins. Wegen der niedrigen Zinsen bleiben teure Immobilien attraktiv und haben eine Nachfrage. Wenn die Mieten steigen, wie es auch geschieht, bleiben noch höhere Preise attraktiv und haben eine Nachfrage. Der Betongold schmolz und ist flüssigst (wenigstens sein Markt). Wenn die Zinsen von 2% auf 1% sinken, dann dürfen sich die Preise verdoppeln. Ebenso wenn die Zinsen von 1% auf 0,5% sinken, oder von 0,5% auf 0,25%, oder von 0,25% auf 0,125%, oder von 0,125 auf 0,0625 dürfen sich die Preise verdoppeln. Wenn die Zinsen 0% erreichen, lohnt sich ja eine unendlich teure Immobilie zu kaufen. Und wie geht es weiter bei negativen Zinsen? Da lohnen sich Immobilien mit negativer Miete bei positivem Preis, wenn die negative Mietrendite höher als die negativen Zinsen ist (Schadenbegrenzung) und man die negative Rendite in der Immobilie reinvestieren kann (um sie schneller abzuschreiben). Bei negativem Preis sollten sie sich unter diesen Umständen auch lohnen. Bei negativem Preis und positiver Mietrendite so wie so.

    • rum sagt:

      Was da oben nicht gesagt wurde
      Je näher zu Null die Zinsen neigen und man sich mit einer niedrigen Rendite begnügt, desto höhere Immobilienpreise wird man zahlen wollen, oder? Der Grenzwert Null zeigt aber etwas: wer wird sich die Mühe machen, für Null Rendite unendlich viel Geld anzulegen? Das ist der Grenzwert, den man allmählich erreicht: kluge Investoren sollten schon vorher die Lust zur Anlage verlieren. Für weniger als 10% Rendite würde ich in Immobilien nicht anlegen, egal wie niedrig die Zinsen sind. Der Ärger mit der Anlage lohnt sich nicht. Klar, das bin ich. Es gibt aber eine Menge Fehlinvestoren, die es gerne tun. Es gibt zur Zeit irgendwie einen sozialen Druck, Immobilien zu kaufen. Die Zinsen und die Arbeitslosigkeit sind niedrigst: was wird geschehen, wenn sie sich vom Tiefpunkt entfernen?

  2. eierkram sagt:

    Titel eingeben
    Es ist seit über 40 Jahren bekannt, daß die Geldmenge sowohl kurz- als auch langfristig erheblich beeinflusst wird durch die sogenannten financial intermediaries (auch Banken, die neben dem traditionellen Geschäft der Kreditgewährung über Geldschöpfung solche Transaktionen betreiben). Damit wird die Rolle der EZB als ‘Hüterin’ von Geldmenge und Geldzins immer fragwürdiger. Dann sie hat bezüglich eines erheblichen Teils der Finanzinstitute und deren Produkte keine Kontrolle und keine Weisungsbefugnis.

    • Gerald Braunberger sagt:

      Ja, das Zusammenspiel von Zentralbank und Finanzintermediären im Geldangebotsprozess ist seit Jahrzehnten bekannt und wurde, wie in meinem vorherigen FAZIT-Beitrag über Karl Brunner erwähnt, wesentlich von Brunner/Meltzer für die Wissenschaft erarbeitet. Ich kenne auch keinen in monetärer Theorie kundigen Ökonomen, der heute noch die Ansicht vertreten würde, die Zentralbank sei die alleinige Herrin über die Geldmenge (im Sinne von M1 bis M3).

      Gelegentlich wird in deutschen Blogs in Kommentaren die Ansicht vertreten, das Geldangebot beruhe auf einer Theorie, die einen konstanten Geldschöpfungsmultiplikator unterstelle und in der die Zentralbank die alleinige Herrin des Verfahrens sei. Das entspricht, wie Sie zurecht schreiben, schon seit Jahrzehnten nicht mehr dem Stand der Theorie.

      Gruß
      gb

    • rum sagt:

      "seit über 40 Jahren bekannt"
      Meinen Sie, Herr Gerlach, auch, dass das eine Entdeckung von Nobelpreisträger Milton Friedman sei und dass vor der Ankunft dieses großartigen Propheten nur Finsternis herrschte? Ich kann Ihnen Texte der 1930er zeigen, die ausdrücklich auf die Geldschöpfung der Geschäftsbanken verweisen, aber sicher war es auch im 19. Jahrhundert bekannt.

    • Gerald Braunberger sagt:

      Geldschöpfung durch Geschäftsbanken wurde schon durch die Banking-School im 19. Jahrhundert beschrieben. Darum geht es hier als Einzelbeibachtung doch gar nicht.

      Es geht um eine Geldangebotstheorie, in der Zentralbank, Geschäftsbanken und Finanzmärkte miteinander agieren. Das ist die heutige Welt und diese Geldangebotstheorie wurde wesentlich durch Brunner/Meltzer formuliert – und nicht durch Milton Friedman, der sich für Geldangebotstheorie nie richtig interessiert hatte und daher gar keine richtige eigene Geldangebotstheorie besaß.

      Es wäre keine schlechte Idee, Texte, die man kommentiert, vorher auch zu lesen.

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