Ungleichheit schadet dem Wachstum: So ist es in den Schlagzeilen der vergangenen Monate zu lesen. Vielleicht ist das ein Fehlschluss.
Umverteilung nützt dem Wachstum: So ist es in den Schlagzeilen der vergangenen Monate zu lesen, unter Berufung auf Ökonomen von Thomas Piketty bis zum Internationalen Währungsfonds. Die Ökonomen verkaufen ihre Berechnungen als Lösung eines alten Dilemmas: Wenn Arm und Reich zu weit auseinandergehen, macht das Leben im Land keinem viel Spaß – zum Beispiel in Südafrika, wo sich die Reichen bewaffnet in abgeschotteten Wohnsiedlungen aufhalten. Wenn aber der Staat die Unterschiede zwischen Arm und Reich zu weit einebnet, erhalten Leistungsträger zu wenig von den Früchten ihrer Arbeit und strengen sich zu wenig an – am Ende schadet das allen. Es geht also darum, die richtige Mitte zwischen Leistungsanreiz und Umverteilung zu finden. So lautete der Konsens lange Jahre.
Wenn aber tatsächlich Ungleichheit dem Wachstum schaden würde, dann könnte die Welt beides haben: Gleichheit und Wohlstand. In diesem Geist rechnete sogar die Industrieländer-Organisation OECD vor, wie viel reicher Deutschland sein könnte, wenn es nur weniger Ungleichheit hätte.
Doch ob diese Rechnungen tatsächlich die Wahrheit zeigen, das ist hoch umstritten: Mein Kollege Johannes Pennekamp hat schon beschrieben, dass Forscher derzeit vielleicht lieber die Studien veröffentlichen, die einen positiven Wachstumseffekt der Umverteilung zeigen. Schon als der Internationale Währungsfonds vor zwei Jahren vorrechnete, dass Umverteilung dem Wachstum nütze, stand tief hinten in der Studie: „Wenn die Umverteilung schon hoch ist, gibt es Hinweise darauf, dass weitere Umverteilung dem Wachstum tatsächlich schadet“ Das betrifft vor allem gut entwickelte Staaten.
Wo das Dilemma zwischen Gleichheit und Wohlstand bleibt
Jetzt schaffen es zwei Ökonomen aus Aarhus, Torben Andersen und Jonas Maibom, die Frage systematisch zu durchdenken und zu durchmessen – und sie stoßen auf eine Frage von Korrelation und Kausalität.
Andersen und Maibom sagen: Es gibt viele Länder, in denen Institutionen und Gesetze nicht optimal sind und alles aus den Ländern herausholen, was die könnten (Griechenland kommt da schnell in den Sinn, vielen anderen Ländern geht es ähnlich). In diesen Ländern kann man mit besserer Politik gleichzeitig die Ungleichheit zurückfahren und das Wachstum verbessern. Wer all diese Länder in seine Auswertung aufnimmt, rechnet vielleicht auch mal aus: Weniger Ungleichheit hängt mit mehr Wachstum zusammen.
Aber in den Ländern, die schon gut geführt sind, ist das vielleicht nicht so leicht. Diese Länder bilden die Grenze des Machbaren: Die Vereinigten Staaten eher mit hoher Ungleichheit und hohem Einkommen (gemessen in Kaufkraft-Paritäten), die skandinavischen Staaten mit geringerer Ungleichheit und etwas geringerer Kaufkraft, Deutschland dazwischen. So ergibt sich die Grenze des Machbaren im Diagramm von Ungleichheit (x-Achse) und Kaufkraft (y-Achse) sogar bildlich: als rote Linie. Und die zeigt ein klares Dilemma, je höher die Kaufkraft, desto ungleicher das Land.
Die Rechnung ist als CEPR-Diskussionspapier erschienen, eine Zusammenfassung findet sich bei VoxEU.
Das Blog:
Der Autor:
[…] Daher antworte ich kurz hier auf den Blogbeitrag des von mir geschätzten Patrick Bernau im Fazit-Blog. […]
[…] Fazit: Warum Umverteilung dem Wachstum doch schadet […]
Was ist die Theorie?
Auf unserer Facebook-Page schreibt Michael Burkhardt:
“Leider sind die meisten Wirtschaftswissenschaftler nur durchschnittlich begabte Mathematiker. Deshalb wäre es mal interessant eine logisch konsistente und kohärente Erklärung zu bekommen, warum und unter welchen Umständen mehr Umverteilung das Wachstum ausbremst. Einfach ein bisschen das eigene ökonometrische Know-how darzubieten reicht nicht, das hat Rogoff gezeigt.”
Die Theorie /für/ ein Ausbremsen des Wachstums ist relativ simpel: Mehr Umverteilung bewirkt u.a.
a) geringere Arbeitsanreize für diejenigen, die das Geld umverteilt bekommen
b) geringere Arbeitsanreize für diejenigen, die höhere Steuern zahlen müssen
c) zusätzliche Steuer-Ausweichreaktionen bei denjenigen, die die Steuern zahlen müssen – also mehr Verrenkungen, die eigentlich ineffizient sind, aber dazu dienen, Steuern zu sparen. Man kann sich das ganz gut an der Fenstersteuer vorstellen, die v.a. im 18./19. Jahrhundert in verschiedenen europäischen Ländern in Mode war: Vor lauter Fenstersteuer planten die Menschen kleinere Fenster, sie mauerten gar Fenster zu – am Ende hatte der Staat weniger Steuern und die Leute lebten dunkler, als nötig gewesen wäre. Entsprechende Ausweichreaktionen gibt es auch in Sachen Investitionen, Arbeit usw.
Ist diese Theorie empirisch stichhaltig? Wiegen die Nachteile der Umverteilung für das Wachstum schwerer als die Vorteile? Dazu muss man empirisch forschen. Zum Glück tun Ökonomen das mehr und mehr. Das ist angewandte Mathematik, für die man tatsächlich eher Ökonomen braucht als Mathematiker, denn – mit Verlaub – in der Auswahl der relevanten sozialen Messgrößen sind die Mathematiker nicht immer am besten ausgebildet.
(In Sachen Rogoff denke ich ja manchmal: dass ein Excel-Flüchtigkeitsfehler in einem noch nicht peer-reviewten Artikel gefunden wurde, der noch dazu keine wirkliche Auswirkung hatte, ist eher Zeichen der Qualitätskontrolle. In vielen anderen Disziplinen wäre der Fehler gar nicht entdeckt worden. In den jüngsten Replikations-Projekten ist die Ökonomik zuletzt mit einem blauen Auge davongekommen, deutlich besser als andere Wissenschaften.)