Spezialisierung schafft mehr Wohlstand. Wenn jeder sich auf das konzentriert, was er vergleichsweise besser kann als andere, haben am Ende unter dem Strich alle etwas davon. Damit werben Wirtschaftsforscher seit Generationen für möglichst freien Handel, argumentieren gegen Zölle und andere Marktbarrieren. Häufig unterstützt die Produktionstechnologie dies sogar noch, zumal in der Industrie: Viele Unternehmen können Skalenerträge realisieren, das bedeutet, sie produzieren umso günstiger (je Stück), umso mehr sie herstellen – das gilt für jede „Fließbank-Fertigung“ ebenso wie etwa auch für Technologieunternehmen à la Google oder Facebook, die zwar nicht Industrie sind, aber ebenfalls hohe Fixkosten haben für ihre Server und Kosten nahe null für jeden zusätzlichen Käufer/Kunden/Nutzer.
Gemeinsame Währung steigert Spezialisierung
Solche Größenvorteile ergeben sich nicht nur auf der Ebene eines Unternehmens. Das betrifft auch ganze geografische Räume – dies steht dahinter, warum sich Firmen aus einer Branche häufig regional konzentrieren. Mit den Firmen kommen mehr Menschen mit entsprechender Ausbildung, das genau passende Arbeitskräfteangebot steigt, Zulieferer siedeln sich an, die wiederum selbst hoch spezialisiert sind auf das, was ihre nahegelegenen (Groß-)Kunden brauchen. Spezialisierung nimmt, so sie nicht gestört wird, über die Zeit tendenziell zu. In den Vereinigten Staaten gibt es beispielsweise ein Silicon Valley und eine Wall Street, in Deutschland florieren Großräume (die Bezeichnung „Ballungsgebiete“ ist allzu passend!) wie Rhein-Main oder München verglichen mit ländlicheren Regionen.
Es mag zunächst kurios klingen, aber: Die wirtschaftliche eigentlich erwünschte zunehmende Spezialisierung und Wohlstandssteigerung ist eine Sorge, die zumal amerikanische Ökonomen in Bezug auf die Europäische Währungsunion geäußert haben. Denn eine gemeinsame Währung ist letztlich auch ein Vehikel, das Spezialisierung fördert, etwa weil Preise transparenter und vergleichbarer werden, Transport- und Transaktionskosten im weiteren Sinne sinken.
Martin Feldstein, Professor an der Harvard-Universität und wichtiger Berater des früheren Präsidenten Ronald Reagan, vertrat auch aus diesem Grund die Ansicht, dass die Europäer den Euro nicht einführen sollten. Paul Krugman, der dieses Fachgebiet („New Economic Geography“) zu Beginn der neunziger Jahre erneuerte und auch dafür später den Nobelpreis bekam (ein Paper vom ihm darüber gibt es hier ), schrieb im Jahr 1993 unter dem Titel „Lessons of Massachusetts for EMU“ einen ausführlichen warnenden Beitrag über ebendieses Phänomen.
Er führte darin die Erfahrung der sogenannten „New-England“-Staaten in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an. Die Region war hochspezialisiert auf Mini-Computer, Militärtechnik und fortgeschrittene Medizin und „exportierte“ diese Produkte in andere amerikanische Bundesstaaten; der regionalen Wirtschaft ging es gut, auch Angestellte im Bereich der nicht-exportierenden Branchen wie dem Lebensmitteleinzelhandel merkten das im eigenen Geldbeutel. Gegen Ende des Jahrzehnts änderte sich das ziemlich plötzlich aus mehreren Gründen: Die Computer-Nachfrage (der „Geschmack“) vieler Menschen veränderte sich weg von den Produkten, die aus New England kamen. Zudem gingen die unter Reagan gesteigerten Militärausgaben zurück – der Bauboom in der Region, der mit der florierenden Wirtschaft einhergegangen war, stockte, die Arbeitslosenquote vervierfachte sich in wenigen Jahren von 2,5 auf 10 Prozent. „Wenn New England ein souveräner Staat gewesen wäre, hätte er wohl seine eigene Währung abgewertet oder eine expansive Geldpolitik auf den Weg gebracht“, schreibt Krugman.
Weiter schreibt er mit Bezug dann zur geplanten Europäischen Währungsunion: „Amerikanische Regionen sind stärker spezialisiert als europäische vergleichbarer Größe. Dieser größere Grad der Spezialisierung wurde gefördert durch die größere Integration des amerikanischen Marktes, eine Integration, die Europa nun nachahmen möchte. Größere Spezialisierung führt in der Folge zu Instabilität regionaler Exporte: Weil amerikanische Regionen hoch spezialisiert sind, führen Veränderungen des Geschmacks und besonders der Technology zu großen und erratischen Veränderungen der Exporte. Europäische Regionen können sich künftig ähnlichen Schocks ausgesetzt sehen.“
Forscher um den britischen Wirtschaftsprofessor Anthony Venables, der mit Krugman ein renommiertes Standardwerk über Regionale Wirtschaftslehre (Spatial Economics) verfasste, haben in einer Analyse für die Europäische Kommission nach der Jahrtausendwende die Produktionsstrukturen in vielen EU-Ländern untersucht. Sie stellten fest, dass sie sich im Verlauf der achtziger und neunziger Jahre meist stärker spezialisierten verglichen jeweils mit dem EU-Durchschnitt; also schon in einer Zeit, in der es den Euro noch gar nicht gegeben hat. Die Währungsunion als zusätzliche Integration neben dem gemeinsamen Binnenmarkt mit seinen vier Grundfreiheiten dürfte wie erwartet die Spezialisierung noch vergrößert haben.
Die “Krönung” ist nicht das Ende
Wer nun so etwas wie eine Theorie hinter dem Euro sucht, findet in den Erkenntnissen aus der regionalwirtschaftlichen Forschung ein bereicherndes zusätzliches Argument. Zunächst als Erinnerung: Die in dieser Serie beschrieben Arbeiten rund um den „optimalen Währungsraum“ von Robert Mundell, Ronald McKinnon und Peter Kenen befassen sich damit, ob und wie ähnlich die an einer Währungsunion teilnehmenden Länder einander sein müssen. Die ebenfalls beschriebene „endogene“ Währungsraumtheorie beinhaltet die These, dass eine „nicht-optimale“ Währungsunion über die Zeit zu einer „optimalen“ Währungsunion wird, weil etwa Krisen entsprechende Veränderungen der Institutionen und des Verhaltens (Stichworte sind zum Beispiel ESM und QE) begünstigen.
Die in diesem Beitrag illustrierten Folgen von Spezialisierung, zu realisierenden Skalenerträgen und räumlicher Konzentration eröffnen nun den theoretisch umgekehrten Weg: Aus einer „optimalen“ Währungsunion kann eine „nicht-optimale“, asymmetrischere Währungsunion werden quasi durch das schlichte Wirken von Marktkräften.
Dieses Ergebnis ist eine kontrastierende Ergänzung zu einer prominenten Ansicht, die gerade in Deutschland im Vorfeld der Währungsunion vertreten worden ist von der Bundesbank. Deren aktueller Präsident Jens Weidmann sagte im Herbst des vergangenen Jahres während eines Vortrags in Karlsruhe: „Die Bundesbank – zum Beispiel – vertrat die sogenannte Krönungstheorie: Danach sollte die Währungsunion erst am Ende des europäischen Integrationsprozesses stehen: Denn wenn die Volkswirtschaften nur unzureichend integriert und angeglichen seien, passe eine gemeinsame Geldpolitik nicht für alle Staaten und die Währungsunion würde krisenanfällig. Dass diese Befürchtung nicht ganz unrealistisch war, hat die Krise im Euro-Raum dann gezeigt.“ Aus der regionalwirtschaftlichen Theorie und den geschilderten Erfahrungen etwa in den Vereinigten Staaten ergibt sich, dass dieses Narrativ mit der „Krönung“ keineswegs zu Ende ist in dem Sinne, dass Krisen dann nicht mehr möglich wären. Vielmehr bleiben sie eine inhärente mögliche Folge von zunehmender wirtschaftlicher Spezialisierung.
Eine Möglichkeit damit umzugehen, sind (wie immer) Transferzahlungen. Diese dämpfen in den Vereinigten Staaten entsprechende regionale Probleme. In der Europäischen Union gibt es bekanntlich ebenfalls einen gemeinsamen Haushalt und beispielsweise Strukturfonds, die verteilt werden. Wie akzeptabel sie aus Sicht der Bürger sind, zeigen Wahlen und Umfragen, darum soll es hier nicht gehen.
Zum Schluss wollen wir ein kleines Fazit dieser kleinen Serie ziehen: Auf der Suche nach so etwas wie einer „Theorie hinter dem Euro“ haben wir drei wichtige Forschungsfelder der Volkswirtschaftslehre angesehen. Zunächst den „optimalen Währungsraum“ mit den entsprechenden wichtigsten wissenschaftlichen Beiträgen. Wie beschrieben lassen sich im Grunde alle aktuellen politischen Debatten schlussendlich zurückbinden auf theoretische Argumente der entsprechenden Forscher. Danach ging es um das Währungskrisen-Modell von Paul Krugman, dessen Ergebnisse dem Geiste nach etwa in den Defizit-Kriterien im Vertrag von Maastricht wiederzufinden sind und die auch erklären, welche Funktion das sogar zu öffentlicher Berühmtheit gelangte TARGET2-System erfüllt. Schließlich haben wir wichtige Arbeiten in Bezug auf die Folgen von wirtschaftlicher Spezialisierung vorgestellt – im besonderen Hinblick darauf, welche Probleme sich daraus für eine Währungsunion ergeben können. Anfügen ließe sich hierzu noch, dass diese Probleme schon durch zunehmenden Handel entstehen (können) und nicht erst durch eine zusätzlich vereinheitlichte Währung; allerdings steht betroffenen Ländern durch eine eigene Währung möglicherweise ein zusätzliches Politikinstrument zur Verfügung in diesem Fall (unter welchen Bedingungen eine Währung stabilisierungspolitisch hilft, dazu sei etwa auf den Aufsatz von McKinnon verwiesen, den wir im ersten Teil vorstellten). Die beschriebenen Theorien sind (hoffentlich) auch Beispiele dafür, wie viel Ökonomen für ganz praktische Entscheidungen beitragen können.