Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Weiße Rassisten müssen draußen bleiben

Wider die Netzneutralität: Google und Co. wollen mit rechtsextremen Seiten im Internet nichts mehr zu tun haben. Lohnt sich diese Diskriminierung?

Nach den gewaltsamen Zusammenstößen während der Demonstration weißer Rassisten in Charlottesville in Virginia geschah etwas Bemerkenswertes. Internet- und Technikunternehmen aus dem Silicon Valley entdeckten scheinbar ihr Gewissen und lösten ihre Geschäftsbeziehungen mit Rechtsextremen. Die Internetseite „Daily Stormer“, der „Tägliche Stürmer“, verschwand ins sogenannte dunkle Internet, nachdem Internetregisterführer wie GoDaddy und Google ihr kündigten und die Betreiber offenbar keinen anderen Anbieter fanden, der sie aufnehmen wollte. Ohne Vertrag mit einem Registerführer ist eine Internetseite so hilfreich wie ein Telefon ohne Eintrag im Telefonbuch: Niemand ruft an. Auch Cloudflare, ein Dienstleister, der Schutz vor Angriffen über das Internet bietet, warf den „Daily Stormer“ hinaus.

Die faktische Zensur durch die Internetunternehmen verstößt im Kern gegen das Prinzip der Netzneutralität, das im Silicon Valley gerne hochgehalten wird. Danach soll das Internet allen Anbietern von Inhalten offenstehen, ohne dass diese wegen ihrer Inhalte diskriminiert werden. Wären Unternehmen wie GoDaddy oder Google Breitband-Internetanbieter wie AT&T oder T-Mobile, die in Amerika von der Telekommunikationsaufsicht reguliert werden, hätten sie wegen der Netzneutralität der Internetseite gar nicht kündigen dürfen. Wären die Unternehmen gewählte Politiker oder staatliche Einrichtungen, verstießen sie mit dem faktischen Verbot gegen den ersten Verfassungszusatz, der die freie Meinungsäußerung vor Regierungsmacht schützt. Doch es sind nur Unternehmen, die ihr gutes Recht wahrnehmen, nicht mit jedem Geschäfte zu machen. Apple Pay und Paypal verweigern rechtsextremen Anbietern ihre Finanzdienste, Spotify entfernt Musik von „Hassgruppen“. Man kann sagen: Es sind Unternehmen, die diskriminieren.

Solche Diskriminierungen sind auf lokaler Ebene in Amerika oft verboten. Wer ein Geschäft aufmacht, muss im Grunde alle Kunden bedienen wollen. Das setzt Unternehmen wie dem Fahrdienst Uber oder dem Zimmervermittler Airbnb im Prinzip Grenzen. Uber will weiße Rassisten nicht mehr als Kunden. Airbnb warf noch vor den Ereignissen in Virginia mutmaßliche Rechtsextreme hinaus, weil sie günstige Zimmer in Charlottesville suchten. Doch die lokalen Regulierungen gegen Diskriminierung beziehen sich meistens auf Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft oder Religion. Ein Verbot der Diskriminierung wegen politischer Meinungen gibt es nur in wenigen Städten, etwa in Seattle.

Der freie Markt arbeitet gegen Diskriminierung

Der Vorteil einer ökonomischen Analyse der Diskriminierung ist, dass Werturteile über gute und böse Diskriminierung ausgeblendet werden. Immer noch wegweisend ist die Studie des späteren Wirtschaftsnobelpreisträgers Gary Becker aus dem Jahr 1957. Becker erklärt darin am Beispiel der Benachteiligung von Schwarzen die Folgen von Diskriminierung am Markt. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass Diskriminierung nicht nur die diskriminierten Schwarzen, sondern auch die diskriminierenden Weißen teuer zu stehen kommt. Wenn schwarzen Arbeitern geringere Löhne gezahlt werden, verzichten Unternehmen, die nur Weiße beschäftigen wollen, auf einen wirtschaftlichen Vorteil. Wer diskriminiert, muss für dasselbe Produktionsergebnis mehr Lohn zahlen.

Diese Konstellation führt an freien Märkten zur Anpassung. Schwarze Arbeiter werden bevorzugt in Unternehmen arbeiten, die wenig diskriminieren. Das lindert für sie die Kosten der Diskriminierung. Zugleich aber erwirtschaften Unternehmer, die nicht diskriminieren, Wettbewerbsvorteile und höhere Gewinne. Das treibt die Löhne der Schwarzen schrittweise in die Höhe und setzt diskriminierende Unternehmer unter Druck, sich auch allen Arbeitern zu öffnen. Der freie Markt wirkt so als Kraft gegen die Diskriminierung und darauf hin, dass schwarze Arbeiter nicht mehr benachteiligt werden. Das heißt nicht, dass der Markt Diskriminierung vollständig aus den Angeln hebt. Wenn Unternehmen und Kunden lieber nur mit Weißen – oder mit Schwarzen, Männern, Italienern oder Muslimen – zusammenarbeiten wollen, dann können sie bereit sein, höhere Kosten und Preise in Kauf zu nehmen. Diskriminierung kann so auch von der Kundenseite ausgehen.

Karl Marx und die Rassentrennung 

Diese Theorie wird durch die Wirklichkeit gestützt. Oft genug waren es die Unternehmen, die sich gegen Diskriminierung wandten, und es waren die Gewerkschaften, die diskriminierend unerwünschte Konkurrenz anderer Gruppen fernhalten wollten. 1922 kam es in Südafrika zu einem bewaffneten Aufstand weißer Minenarbeiter mit Unterstützung der politischen Linken, weil die Minenunternehmen die Diskriminierung lockern und billigere schwarze Arbeiter in höhere Positionen aufrücken lassen wollten. Der Kampfslogan der weißen Minenarbeiter vereinte Karl Marx mit Rassentrennung: „Arbeiter der Welt, vereinigt euch, und kämpft für ein weißes Südafrika!“

In den amerikanischen Südstaaten wehrten sich zur Wende ins zwanzigste Jahrhundert die damals privaten Straßenbahnunternehmen bis zu 15 Jahre lang, den Rassentrennungsgesetzen zu folgen und separierte Bereiche für Schwarze und Weiße einzuführen, wie Jennifer Roback in historischen Studien aufzeigte. Sie fürchteten höhere Kosten durch leere Sitzreihen und Boykotte schwarzer Kunden. Zum Teil zitierten die Unternehmen auch Widerstand weißer Kundschaft, die sitzen wollte, wo sie und nicht wo der Schaffner es wollte. Erst unter steigendem politischen Druck lenkten die Unternehmen ein. Dieser Widerstand gegen die Diskriminierung gründete nicht in politischen Vorlieben der Unternehmensführer. Er beruhte allein darin, dass sie mehr Gewinn erwirtschaften wollten und deshalb auf die Kunden hörten. „Man macht kein Geld, wenn man die Kunden entfremdet“, formulierte das treffend der amerikanische Ökonom Thomas Sowell.

So gesehen ist der Ausschluss rechtsextremer Kunden durch Internetunternehmen eine riskante Wette. Der Verlust der vermutlich wenigen weißen Rassisten als Kundschaft wird die Bilanz direkt nur minimal treffen. Die Wette liegt darin, dass die Diskriminierung mancher Kunden den Unternehmen letztlich mehr andere Kunden zuführt, die politisch ähnlich wie das Management denken. Die Absage an die Rechtsextremen hebt vielleicht auch die Zahlungsbereitschaft bestehender Kunden, die sich besser fühlen.

Solange das im Wettbewerb passiert, sind solche Wetten ein belebendes Element am freien Markt. Das Risiko besteht darin, dass wenige mächtige Unternehmen in einem monopolistischen Markt mit ihrem gesellschaftspolitischen Engagement den Markt der Ideen blockieren. Dann kann es nicht nur die Rechtsextremen treffen.

 

Gary S. Becker (1957): The Economics of Discrimination, University of Chicago Press.

Jennifer Roback (1986): “The Political Economy of Segregation: The Case of Segregated Streetcars”, Journal of Economic History, Bd. 46.

 

Dieser leicht überarbeitete Text erschien am 20. August als „Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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