Es ist ein Ärgernis, das Urlauber und Geschäftsreisende auf die Palme bringt. Sie steigen in einer fremden Stadt in ein Taxi und werden gefühlt durch die halbe Stadt kutschiert, bevor der Fahrer vor dem gewünschten Hotel anhält. Der Preis ist happig, der Service dürftig und die Musik im Autoradio zu laut. Was hier geschildert wird, ist mehr als ein Klischee. Forscher haben die Sache vor wenigen Jahren in Athen untersucht und Testkunden losgeschickt.
Das Ergebnis: Gaben sich die Probanden als jemand zu erkennen, der sich in der Stadt nicht auskennt, nutzten die Taxifahrer das schamlos aus. Fast jeder Zweite fuhr Umwege, manche Fahrer schlugen bei den ahnungslosen Kunden einen Aufpreis drauf. Hinter dieser erst einmal nicht sonderlich überraschenden Beobachtung steckt ein grundlegendes Problem, das Ökonomen seit Jahrzehnten umtreibt: Wie kann man solch ärgerliche Dinge auf einem Markt verbessern, auf dem die Anbieter (Taxifahrer, Ärzte, Autoverkäufer) deutlich besser über die Qualität der Ware informiert sind als Nachfrager, also Kunden und Patienten?
Was normalerweise auf einem solchen Markt mit “asymmetrischer Informationsverteilung” passiert, hat Nobelpreisträger George Akerlof in einem legendären Aufsatz schon im Jahr 1970 anhand des Gebrauchtwagenhandels erklärt. Die Verkäufer wissen sehr viel besser als die Käufer, wie gut das Auto tatsächlich in Schuss ist. Wer ein tadelloses Modell anbietet, möchte dafür mehr Geld bekommen als jemand, der weiß, dass das Auto die besten Jahre hinter sich hat. Die Kunden jedoch können sich kein eigenes Urteil bilden und sind deshalb lediglich bereit, einen durchschnittlichen Preis zu zahlen. Die Folge: Die Verkäufer der “guten” Autos bieten ihre Autos erst gar nicht an, es bleiben nur die “schlechten” übrig. Die durchschnittliche Qualität sinkt, im schlechtesten Fall brechen die Märkte für solche “Vertrauensgüter” zusammen.
Ein neuer, noch unveröffentlichter Feldversuch mehrerer Verhaltensökonomen zeigt jetzt, wie das verhindert und die Qualität hoch gehalten werden kann – nämlich durch einfache Kundenbewertungen, die schamlosen oder gar betrügerischen Anbietern das Leben schwermachen. Um das zu zeigen, haben Matthias Sutter, Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn, und zwei in London forschende Ökonomen noch einmal Testkunden in Athen Taxi fahren lassen. Ihnen spielte in die Karten, dass in der griechischen Hauptstadt verschiedene Arten von Taxis unterwegs sind: erstens ganz gewöhnliche Taxis, zweitens Taxis, die über einen Fahrtenvermittler namens Beat Kunden vermittelt bekommen, und drittens Autos des Fahrtenvermittlers Uber, in denen keine Taxifahrer, sondern Privatleute am Steuer sitzen. “Uber und Co. haben im Vergleich zu gewöhnlichen Taxis einen besseren Ruf, was die Sauberkeit der Autos, Pünktlichkeit und Service angeht”, sagt Sutter. Die bis dahin unbeantwortete Frage war jedoch, warum das so ist. Liegt es daran, dass Kunden die Fahrer bei Uber, Beat und anderen Anbietern bewerten können und schlechte Fahrer damit rechnen müssen, keine Kunden mehr zu bekommen? Dann ginge es vor allem um Sorge der Anbieter um ihre Reputation. Oder melden sich bei den Taxi-Apps nur solche Fahrer an, die ohnehin nicht abzocken wollen und freundlicher zu ihren Kunden sind? Dann wäre eine Art der Selbstselektion wirksam.
In den vorangegangenen Studien zu Vertrauensgütern wurde diese wichtige Unterscheidung kaum beachtet. Mit dem Taxi-Versuch konnten die Forscher sie nun hingegen eindeutig beantworten. Denn sie verglichen nicht nur herkömmliche Taxifahrten mit Fahrten, die im Voraus bei den Fahrtenvermittlern gebucht wurden. Die Kunden winkten am Straßenrand zudem Taxis heran, die man auch per App über den Vermittler Beat hätte buchen können. In diesem dritten Fall saßen die Probanden dann also in Taxis von Fahrern, die sich bei einem Fahrtenvermittler registriert hatten, im konkreten Fall aber nicht damit rechnen mussten, von ihrem Fahrgast bewertet zu werden. “Falls Selbstselektion eine Rolle spielt, hätten diese Fahrer besser abschneiden müssen als die gewöhnlichen Taxifahrer”, erläutert Matthias Sutter die Versuchsanordnung.
Die insgesamt 430 Testfahrten durch Athen im vergangenen Winter zeigten ein anderes Bild. Die Uber-Fahrer schnitten bei Service, Fahrdauer und Preis am besten ab, knapp gefolgt von den Fahrern, die per Smartphone beim Konkurrenten Beat gebucht worden waren. Die am Straßenrand herangewinkten Fahrer der Fahrtenvermittler schnitten hingegen genauso schlecht ab wie die gewöhnlichen Taxifahrer. “Der Reputationsmechanismus ist also der entscheidende Faktor”, fasst Sutter zusammen. Einen zusätzlichen Beleg lieferte ein Zufall: Anfang April kündigte Uber an, den Dienst in Athen einzustellen. Die Fahrer mussten also um ihren Ruf in der Zukunft nicht mehr fürchten. Prompt schnitten sie schlechter ab.
Wie sehr Kundenbewertungen die Qualität verbessern können, zeigen die Berechnungen der Forscher. Die Fahrer, deren guter Ruf auf dem Spiel stand, bekamen im Schnitt um 15 bis 20 Prozent bessere Bewertungen. Die Unterschiede sind also spürbar und nicht das Ergebnis raffinierter Datenanalysen. Der Bonner Forscher Sutter ist überzeugt, dass der Mechanismus nicht nur bei Taxis zieht. “Was wir beobachten konnten, ist für etliche Dienstleistungen interessant”, sagt er. “Wir können die Dinge verbessern, indem wir sie transparenter machen und Informationsasymmetrien abbauen.”
Sollten sich die Ergebnisse tatsächlich übertragen lassen, würden sich auch Hoteliers, Ärzte und Automechaniker mehr ins Zeug legen, sofern sie sich dem Kundenurteil im Netz stellen müssen. Das ist natürlich ganz im Sinne der Verbraucher, Ökonomen sprechen deshalb von einem Wohlfahrtsgewinn.
Doch es gibt es auch Grenzen dafür, alles und jeden ständig zu beurteilen. Das Ärztebewertungsportal Jameda musste Anfang des Jahres eine Schlappe hinnehmen. Eine Medizinerin aus Köln erreichte vor dem Bundesgerichtshof, dass das Portal ihre Daten vollständig löschen muss. Die Dermatologin sah ihre Daten zu Werbezwecken missbraucht. Und auch auf Kundenseite vergeht einigen die Lust am Bewerten, wenn sie sich dabei selbst überwacht fühlen. Wenn Google kurz nach einem Restaurantbesuch fragt, wie einem das Schnitzel geschmeckt habe, obwohl man den Suchmaschinenbetreiber gar nicht über die Abendplanung informiert hatte, dürfte diese Grenze überschritten sein.