Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die Liquiditätsfalle: Mythos oder Realität?

 

Von John Maynard Keynes bis Hans-Werner Sinn: Eine Geschichte von Entdeckungen, Erkenntnissen, Interpretationen, Irrungen und Wirrungen. Ein Streifzug durch die Theoriegeschichte.

 

Für die Beurteilung der Wirksamkeit von Geldpolitik spielt die Einschätzung eine Rolle, ob das Konzept der Liquiditätsfalle eine praktische Bedeutung besitzt. Wir betrachten die Entwicklung des Denkens über die berühmt-berüchtigte Falle in mehreren Etappen und empfehlen an Vertiefung interessierten Lesern, die in den Links angegebene Literatur zu konsultieren.

 

Liquiditätsfalle ohne John Maynard Keynes 

Nach einer verbreiteten Vorstellung geht das Konzept der Liquiditätsfalle auf John Maynard Keynes zurück, von dem bekanntlich eine monetäre Erklärung des Zinses stammt  – alle Zitate sind der “General Theory” entnommen – (“… the rate of interest is the reward for parting with liquidity for a specified period”) . Allerdings findet sich, wie die Forschung gezeigt hat, der Begriff Liquiditätsfalle überhaupt nicht in seinem Werk, auch nicht in seiner “General Theory”, in der man ihn am ehesten in Kapitel 13 (“The General Theory of the Rate of Interest”) und  Kapitel 15 (“The Psychological and Business Incentives to Liquidity”) vermuten würde.

Im Kapitel 13 trifft Keynes die später sehr einflussreiche Unterscheidung dreier Motive, warum Menschen Geld halten, also “liquide” bleiben wollen: das Transaktionsmotiv, das Vorsichtsmotiv und das Spekulationsmotiv. Und während für die Geldnachfrage aus dem Transaktions- und Vorsichtsmotiv vor allem die wirtschaftliche Lage und die Höhe des Einkommens (“mainly a resultant of the general activity of the economic system and of the level of money-income”)  entscheidend ist, spielt für die Geldnachfrage aus dem Spekulationsmotiv der Zinssatz eine wichtige Rolle (“… experience indicates that the aggregate demand  for money to satisfy the speculative-motive usually shows a continuous response to gradual changes in the rate of interest, i.e. there is a continuous curve relating changes in the demand for money to satisfy the speculative motive and changes in the rate of interest as given by changes in the prices of bonds and debts of various maturities.”)

Hier geht es also um die Rolle des Geldes als Mittel zur Wertaufbewahrung, nicht um die Rolle des Geldes als Zahlungsmittel. Die Analyse des Geldes als Wertaufbewahrungsmittel besaß in Cambridge eine lange Tradition; aber im Werk von Keynes erhält sie eine bis dahin unbekannte Dimension. Denn die Bedeutung des Spekulationsmotivs für die Nachfrage nach Geld kann bei Keynes nicht unterschätzt werden: “But it is by playing on the speculative-motive that monetary management (or, in the absence  of management, chance changes in the quantity of money) ist brought to bear on the economic system.”

Aber was bestimmt die Nachfrage nach Spekulationskasse? Wir befinden uns in einem Modell, in dem die Anleger die Auswahl zwischen zwei Kapitalanlagen besitzen: dem Geld, das liquide ist, aber nicht verzinst wird, und langfristigen Zinspapieren, zum Beispiel ewig laufenden Staatsanleihen. Zur Vereinfachung wird angenommen, dass die Anleger ihr Vermögen entweder nur in Geld oder nur in Zinspapieren halten. Die Entscheidungen der Anleger werden für die gesamte Wirtschaftsentwicklung wichtig, weil der langfristige Zins – und nicht der kurzfristige Zins der Zentralbank – in Keynes‘ Modell eine wichtige Größe für die Nachfrage nach Investitionen darstellt.

Vereinfacht ausgedrückt werden die Menschen als Alternative zum Geld keine Zinspapiere halten, wenn sie als Folge erwarteter Steigerungen der Marktzinssätze Kursverluste mit ihren Zinspapieren befürchten müssen. Ob Anleger zum aktuellen Zinsniveau anlegen, hängt somit weniger von der absoluten Höhe des Zinses (abgekürzt r für rate) ab, sondern von der Erwartung zukünftiger Zinsen:  “… what matters [for the determination of the demand for money] is not the absolute level of r but the degree of its divergence from what is considered a fairly safe level of r, having regard to those calculations of probability which are being relied on.” Und weil Erwartungen eine wichtige Rolle für das Verhalten der Menschen spielen, gilt:“It is evident, then, that the rate  of interest is a highly psychological  phenomenon.” 

Je weiter sich der Zins vom erwarteten Zins (“fairly safe level of r”) entfernt, umso höher wird die Neigung der Menschen, aus dem Spekulationsmotiv heraus Liquidität zu halten. Dann aber wird im Extremfall ein Punkt möglich,  an dem Geldpolitik durch Zinssenkungen unwirksam wird, weil die Bereitschaft, Anleihen zu halten, für die meisten Anleger verschwindet und die Geldnachfrage aus dem Spekulationsmotiv extrem groß ist: “There is the possibility that […] after the rate of interest has fallen to a certain level, liquidity-preference can become virtually absolute in the sense that almost everyone prefers cash to holding a debt which yields so low a rate of interest. In this event the monetary authority would have lost effective control over the rate of interest.” Ein zusätzliches Geldangebot der Zentralbank würde nicht zu Käufen von Zinspapieren und damit zu weiter sinkenden Marktzinsen führen, weil das Geld aus dem Spekulationsmotiv lieber gehalten würde. Die Geldpolitik wird in dieser Situation unwirksam, weil Vermögensbesitzer Kursverluste aus dem Erwerb von Zinspapieren befürchten, die höher ausfallen als die Ausschüttungen aus den Kupons.

Aber wie realistisch ist ein solches Szenario? Keynes äußert sich sehr zurückhaltend: “But while this limiting case might become practically important in future, I know of no example of it hitherto.” 

Nun wird es mit Blick auf heutige Debatten interessant. Warum hatte es bis dahin noch keine solche Situation gegeben? Keynes meinte, weil die Staaten bis dahin auf die umfangreiche Ausgabe langfristiger Wertpapiere verzichtet hatten: “Indeed, owing to the unwillingness of most monetary authorities to deal boldly in debts of long term, there has not been much opportunity for a test.” Das Argument ist offenkundig: Je länger die Laufzeit einer Anleihe, umso größer sind die Kursverluste in einer Situation steigender Marktzinsen. Mit der Bedeutung langfristiger Anleihen in der Staatsverschuldung würde demnach die Gefahr eines Käuferstreiks am Anleihemarkt drohen bzw. die Gefahr einer sehr hohen Liquiditätshaltung – ein Punkt, der angesichts der Neigung von Staaten, mehr langlaufende Anleihen auszugeben (und der Forderung mancher Ökonomen, dies noch viel extremer zu betreiben), heute von Interesse erscheint.

Andererseits, und das relativiert Keynes mehr als 80 Jahre alte Position heute, haben Anleger nicht nur die Alternative zwischen Geld und langlaufenden Anleihen. Sie können ihr Vermögen auch in Aktien, Fondsanteilen, Immobilien und anderen Assets anlegen. Eine Fixierung auf Staatsanleihen als einziger Alternative zur Geldhaltung wäre heute nicht angemessen.

Und was schließt Keynes aus einer Situation, in der die Geldpolitik impotent wird? Expansive Finanzpolitik gestattet eine  Alternative:  “Moreover, if such a situation were to arise, it would mean that the public authority itself could borrow through the banking system on an unlimited scale at a nominal rate of interest.”




Die Liquiditätsfalle in der frühen Nachkriegszeit

Was Keynes in der General Theory beschreibt, ist eine Situation, für die sich in der Lehrbuchliteratur der frühen Nachkriegszeit die Bezeichnung “Liquiditätsfalle” eingebürgert hat – zumeist im Rahmen einer Analyse des bekannten IS/LM-Modells. Der spätere Nobelpreisträger John Hicks trug zur Verbreitung dieses Begriffs bei, obgleich Keynes ihn nie benutzte. Die Lehrbuchliteratur der nachfolgenden Jahrzehnte folgte Hicks.

So liest man in dem bekannten Lehrbuch Otmar Issings zur Geldnachfrage aus dem Spekulationsmotiv: “Nach Keynes wird nun die Zinselastizität dieser Geldnachfrage unendlich groß, wenn der Zins so tief liegt, dass alle Wirtschaftssubjekte diese Zinshöhe als eine Art ‘absolute Untergrenze ansehen; in der Erwartung, dass der Zins in der Zukunft nur steigen kann und damit die Kurse nur sinken können, kaufen die Wirtschaftssubjekte keine Wertpapiere. Weil in dieser Situation alles von der Notenbank geschaffene Geld in der Spekulationskasse ‘verschwinden’ würde, spricht man von der Keynesschen Liquiditätsfalle.” 

Peter Spahn erklärt den Effekt in seinem Lehrbuch über Geldpolitik so: “Im Extremfall, in der Liquiditätsfalle auf dem Kapitalmarkt, ist aber auch kein Effekt auf den langfristigen Zins mehr zu erreichen: Der Zinseffekt der Notenbank beruht darauf, dass sie den Altbesitzern der Papiere höhere Preise bieten muss, damit diese zum Verkauf bereit sind. Bei einer reichlichen Liquiditätsausstattung der Wirtschaftssubjekte kann der Zinssatz jedoch so niedrig sein, dass sich eine Anlage überschüssiger Finanzmittel nicht lohnt, entweder angesichts von Transaktionskosten oder weil eine Zinssteigerung erwartet wird. Da eine Geldanlage als unvorteilhaft erscheint, werden freiwerdende Beträge bar gehalten. Wertpapierkäufe der Notenbank haben keine Kurssteigerung auf dem Kapitalmarkt zur Folge… Eine expansive Geldpolitik hat demnach keine Wirkung mehr auf den Zins.”

Die Frage nach der Zinsabhängigkeit der Geldnachfrage und den Einsatzmöglichkeiten von Geld- und Finanzpolitik wurde vor allem in den sechziger und siebziger Jahren zwischen Keynesianern und Monetaristen erbittert diskutiert. Anfang der neunziger Jahre fassten Duwendag/Ketterer/Kösters/Pohl/Simmert in ihrem Lehrbuch über Geldpolitik den Stand der empirischen Forschung wie folgt zusammen: “Es liegen bisher keinerlei Anzeichen dafür vor, dass es eine Liquiditätsfalle gegeben hat… Allerdings kommen alle Autoren mit Ausnahme Milton Friedmans zu dem Ergebnis, dass der Zinssatz einen signifikanten Einfluss auf die Geldnachfrage ausübt.”

Auch mehrere Jahrzehnte nach Keynes schien die Liquiditätsfalle eher ein theoretischen Kuriosum als ein plausibles Szenario zu sein. Es mehrten sich die Lehrbücher, in denen sie im Sachindex gar nicht mehr gefunden werden kann – das galt schon für ein für ein älteres Lehrbuch der Geldtheorie wie das Werk Emil-Maria Claassens. Zudem hielten viele Ökonomen eine rein monetäre Bestimmung des Zinses auf der Basis von Keynes‘ Theorie zur Liquiditätspräferenz für etwas leichtgewichtig. Doch dann begann mit Blick auf ein fernöstliches Land das Interesse an der Liquiditätsfalle wieder zu steigen. Doch bevor wir darauf schauen, wollen wir mit dem Fahrstuhl der Geschichte zunächst einmal in die Vergangenheit fahren, um der Frage nachzuspüren: Wenn Keynes nicht der erste Ökonom war, der den Begriff Liquiditätsfalle benutzte: Wer war es dann?

 

Dennis Robertson und die Bananenparabel

Der erste Ökonom, der nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand den Begriff “Liquiditätsfalle” benutzt hat, war Dennis H. Robertson, ein langjähriger Kollege und Freund von Keynes in Cambridge. Robertson und Keynes hatten sich indes im Zuge der Debatten über die “General Theory” ein Stück weit entfremdet und Robertson war an die London School of Economics gewechselt. Hier verwendete er den Begriff erstmals im Jahre 1939 in Vorlesungen und 1940 dann in einer Veröffentlichung. Allerdings bezieht Robertson den Begriff nicht auf die Analyse in der “General Theory”, sondern auf die sogenannte Bananenparabel, die sich in Keynes’ “Abhandlung vom Gelde” (Treatise on Money) aus dem Jahre 1930 fand. Und das bedeutet: Robertson benutzte den Begriff nicht so wie die spätere Lehrbuchliteratur, die sich auf Keynes’ “General Theory” bezog. Das heißt: Es wird ein wenig kompliziert. (Wir orientieren uns im Folgenden vor allem an einer von Ingo Barens, einem der größten Keynes-Experten, vor zwei Jahren vorgelegten Arbeit. (Robertson’s “Liquidity Trap” as an Answer to Keynes’s “Banana Parable”, or: did the General Theory really have to be written?)

In seiner Parabel analysiert Keynes eine sehr einfache Volkswirtschaft, die ausschließlich verderbliche Güter herstellt, zum Beispiel Bananen. In der Ausgangssituation befindet sich die Wirtschaft in einem Vollbeschäftigungsgleichgewicht. Dann setzt eine Kampagne ein, die private Haushalte zu einer höheren Ersparnis verleiten soll. Die Menschen geben nun weniger Geld aus und legen mehr Geld zurück. Was passiert? Da die Güter (Bananen) verderblich sind, werden die Unternehmer versuchen, ihre Produkte so schnell wie möglich und auch unter Inkaufnahme niedrigerer Preise zu verkaufen, was Verluste (windfall losses) verursacht.

Keynes betrachtete nun zwei Situationen:

– Die Unternehmer ändern ihre Investitionspläne nicht, aber sie müssen zudem ihre Verluste finanzieren – sei es durch Banken, sei es durch die Ausgabe von Wertpapieren. Die Höhe der zu finanzierenden Verluste entspricht der zusätzlichen Ersparnis der privaten Haushalte. Daher ändert sich durch die zusätzliche Ersparnis nicht der Zins. Die Situation ist aber auf die Dauer nicht haltbar.

– Daher werden die Unternehmer sich früher oder später entschließen müssen, ihre Verluste zu reduzieren, indem sie ihre Produktion von Bananen zurückfahren. Wenn dann die privaten Haushalte aber fortfahren, ihre Ersparnis zu erhöhen, entsteht, wie Keynes das in einer Präsentation vor dem Macmillan Committee schilderte, ein “völliger Horror”, weil sich rückläufige Produktion und zusätzliche Ersparnis immer weiter fortzusetzen drohen: “… there will be  no position of equilibrium until either (a) all production ceases and the entire population starves to death; or (b) the thrift campaign is called off or peters out as a result of the growing poverty; or (c) investment is stimulated by some means or another so that its cost no longer lags behind the rate of saving”.

Es geht hier nicht darum, die offensichtlichen Schwächen dieser Analyse zu behandeln, deren Sinn darin besteht zu zeigen, dass, anders als damals gedacht, Sparen nicht immer eine Tugend sein muss. Die Bananenparabel ist aus dogmengeschichtlicher Sicht faszinierend, weil sie zeigt, wie Keynes unter dem Eindruck der ausbrechenden Weltwirtschaftskrise schon kurz nach der Veröffentlichung seines im Jahre 1930 veröffentlichten “Treatise in Money” Überlegungen aufnimmt, die ihn über mehrere Jahre zur 1936 veröffentlichten “General Theory” führten.

Uns interessiert an dieser Stelle aber, wie Robertson zum Begriff Liquiditätsfalle gelangte; im Jahre 1939 sprach er erstmals davon. In einer Auseinandersetzung mit der Bananenparabel möchte er überprüfen, ob der von Keynes geschilderte “völlige Horror” einer Abwärtsspirale aus Produktionskürzungen der Unternehmen und zusätzlicher Ersparnis der privaten Haushalte wirklich droht oder ob Veränderungen des Zinses nicht, wie man es im Geiste traditionellen Denkens annehmen sollte, das Problem beseitigen werden.

Robertson unternimmt ein Gedankenexperiment, in dem er sich entschließt, 100 Pfund, die er bisher für den Kauf von Kleidung verwendet hat, für den Kauf von Wertpapieren zu  verwenden. Mit anderen Worten: Er konsumiert weniger und spart mehr: “Suppose that I decide to spend £100 of my income on securities, instead of as hitherto on fine clothes. My action destroys £100 of the income of my tailor and his employees and depletes their money balances by £100. It also raises the price of securities, i.e. lowers the rate of interest”. In der traditionellen Theorie sorgt dieser Zinsrückgang dann für ein neues Gleichgewicht, aber für Robertson existiert dennoch ein Problem, weil der Rückgang des Zinses manche andere, aber im Unterschied zu Keynes in der “General Theory” eben nicht alle Anleger“either the professional dealers that compose themarket or outside persons“–  dazu veranlasst, Wertpapiere zu verkaufen und lieber Geld zu halten, das dann nicht den Arbeits- und Gütermärkten zur Verfügung steht. Robertson schließt:“Thus owing to the existence of this siding or trap, my act of thrift does not succeed, as “classical” theory asserts that it will, in creating incomes and money balances for builders and engineers equal to those which it has destroyed for tailors. The net result of the whole proceeding is a fall in the rate of interest and an increase, perhaps, in capital outlay, but a net decrease in the total of money incomes and (probably) of employment.” 

An anderer Stelle bezeichnet Robertson diesen Mechanismus als “Liquiditätsfalle für Ersparnisse”, aber er misst diesem Effekt keine besondere Bedeutung zu. Vor allem: Geldpolitik ist in diesem Modell nicht völlig unwirksam; expansive Geldpolitik kann sogar helfen, den Schaden durch Liquiditätshaltung zu begrenzen. Die von Keynes beschriebene Abwärtsspirale ist nicht zwingend. Robertson nutzt diese Erkenntnis, um sich in harten Worten gegen die Schlüsse seines alten Freundes Keynes aus dessen Bananenparabel zu wenden: “We need no longer attempt to believe in a crazy world in which, at some exceedingly elusive point of ‘full employment’, the opposite of all that we have hitherto been saying suddenly becomes true. We have returned to a rational world…” 

Auf die Lehrbuchdarstellungen angewendet: Wollte man Robertsons und Keynes’ Analysen der Liquiditätsfalle im IS/LM-Diagramm vergleichen, würde in Keynes’ Beispiel die IS-Kurve die LM-Kurve in deren horizontalen Teil schneiden, während bei Robertson die IS-Kurve die LM-Kurve in deren ansteigenden Teil schneidet. In gewisser Weise rehabilitiert Robertson die Bildung von Ersparnissen, weil ihr Effekt auch in einer Krise nicht so verheerend sein muss wie in Keynes’ Bananenparabel angenommen. Näher mit Robertsons Modell wollen wir uns hier nicht befassen; es ging uns um die Frage, wer den Begriff Liquiditätsfalle zuerst benutzt hat.




Japan, Paul Krugman und Olivier Blanchard

Im Jahre 1998 erschien ein Aufsatz Paul Krugmans mit dem Aufsehen erregenden Titel: „It’s Baaack: Japan’s Slump and the Return of the Liquidity Trap“. Darin vertritt Krugman die These, die japanische Wirtschaft sei in eine durch die demografische Entwicklung begünstigte Rezession gefallen, zu deren Bekämpfung die Geldpolitik nicht über die nötige Schlagkraft verfüge. Bemerkenswert ist, dass Krugman schon damals die Prognose äußerte, wegen einer ähnlichen demografischen Entwicklung würde auch Europa in eine vergleichbare Situation kommen.

Aber wie definiert Krugman eine Liquiditätsfalle? Hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen: “The Liquidity Trap – that awkward condition in which monetary policy loses its grip because the nominal interest rate is essentially zero, in which the quantity of money becomes irrelevant because money and bonds are essentially perfect substitutes-played a central role in the early years of macroeconomics as a discipline. John Hicks, in introducing both the IS-LM model and the liquidity trap, identified the assumption that monetary policy is ineffective, rather than the assumed downward inflexibility of prices, as the central difference between Mr. Keynes and the classics.”

Eine ähnliche Beschreibung finden wir in Olivier Blanchards bekannten Lehrbuch zur Makroökonomik; hier zitiert aus der im Finanzkrisenjahr 2009 erschienenen Auflage:

“In short, once the nominal interest rate is equal to zero, expansionary monetary policy becomes powerless. Or to use the words of Keynes, who was the first to point to the problem, the increase in money falls into a liquidity trap: People are willing to hold more money (more liquidity) at the same nominal interest rate.”

Zudem schreibt Blanchard, wie zuvor schon Krugman:

“Keynes referred to a situation in which agents are indifferent between holding money and purchasing bonds because, at the zero bound of the nominal rate of interest, holding money instead of bonds does not incur any opportunity cost in terms of interest forgone.”


Leider enthalten, wie wieder Ingo Barens gezeigt hat, die Aussagen Krugmans und Blanchards mehrere Irrtümer:

–  Der Begriff Liquiditätsfalle stammt nicht von Keynes. Er hat ihn auch nie benutzt.

–  Wichtiger: Keynes hat das Konzept der Liquiditätsfalle in keiner Weise mit einer Nullzinsgrenze für die Geldpolitik verbunden! In Keynes‘ Analyse kommt es bei positiven Zinssätzen zur Liquiditätsfalle; überdies ist bei ihm der langfristige Zins entscheidend und nicht der kurzfristige Zins der Zentralbank. (Im Unterschied zur modernen Lehre nimmt Keynes nicht einfach die Erwartungstheorie des Zinses an.)

–  Ganz schief ist die Behauptung, Keynes sei der erste Ökonom gewesen, der auf die Probleme der Geldpolitik an der Nullzinsgrenze hingewiesen habe. Erstens hat sich Keynes nicht mit Problemen der Geldpolitik an der Nullzinsgrenze befasst. Sehr wohl hat es aber schon vor Keynes Ökonomen gegeben, die das Thema erkannt hatten, darunter Knut Wicksell und Arthur Cecil Pigou.

–  Und weil Keynes‘ Konzept der Liquiditätsfalls bei positiven Zinsen stattfindet, ist auch die Behauptung schief, Keynes habe eine Situation betrachtet, in der Anleger an der Nullzinsgrenze indifferent gegenüber Geld und Zinspapieren seien. 

Tatsächlich liegen hier zwei sehr verschiedene Konzepte einer Liquiditätsfalle vor.

In der modernen, sich selbst als keynesianisch bezeichnende Wahrnehmung der Makroökonomik stellt die Liquiditätsfalle ein Problem der Geldpolitik an der Nullzinsgrenze dar, weil eine Senkung des kurzfristigen Leitzinses auch dann nicht möglich wäre, wenn man ihn brauchte. Mit einer solchen Leitzinssenkung verbinden sich im Modell Erwartungen der Wirtschaftssubjekte auf eine höhere Inflationsrate und eine Belebung der Wirtschaft, die eine Zunahme des privaten Konsums und der Investitionen zur Folge haben. Anders als bei Keynes steht hier nicht der langfristige Zins im Mittelpunkt, Unsicherheit über die Zukunft spielt keine Rolle und es wird auch keine Geldnachfrage aus dem Spekulationsmotiv diskutiert. Überhaupt spielen hier Geldmengen keinerlei Rolle.

Es handelt sich um ein anderes Konzept einer Liquiditätsfalle, über dessen theoretische und empirische Tauglichkeit seit Jahren diskutiert wird. Denn der These, die Geldpolitik sei an der Nullzinsgrenze unwirksam, wird mit dem Argument widersprochen, außer dem kurzfristigen Notenbankzins habe eine Zentralbank andere Instrumente wie Anleihekäufe und Forward Guidance. Einen Überblick gibt eine von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich veröffentlichte Arbeit, in der die Autoren bezweifeln, dass an der Nullzinsgrenze das moderne Konzept der Liquiditätsfalle anwendbar ist. Sie sehen auch dann immer noch eine Wirksamkeit der Geldpolitik: “To answer the question of whether the liquidity trap exists, our results clearly show that monetary policy has remained effective in a low rate environment. In the case of the Euro area, Japan and the United Staes, a short-term interest rate of zero or below has not, at least up until now, translated into a “Hicks-type liquidity trap.” 

 

 

Hans-Werner Sinns Liquiditätsfalle

Mit dem modernen Konzept der Liquiditätsfalle, das sich als keynesianisch versteht, auch wenn es wenig mit Keynes zu tun hat, könnte man die Bücher schließen, wenn nicht Hans-Werner Sinn vor einiger Zeit das Konzept der Liquiditätsfalle entdeckt hätte, um nach dem Thema Target- 2 nun das Thema Inflation in der Öffentlichkeit zu spielen. Genauer hat er dies vor kurzem in seiner traditionellen Weihnachtsvorlesung in München behandelt. 

Sinns Ausgangspunkt ist die erhebliche Zunahme der Zentralbankgeldmenge in der Eurozone, die von 900 Milliarden Euro im Jahre 2008 auf zuletzt 4,6 Billionen Euro gestiegen ist und im Sommer 2021 mindestens 6 Billionen Euro betragen könnte. Sinn spricht zwar permanent von der in Gang gekommenen Druckerpresse, die Zettel produziere, aber wer aufmerksam zuhört, erfährt schließlich, dass der weitaus größte Teil dieses Geldes Guthaben der Geschäftsbanken bei der EZB sind – zu deren Herstellung man im physischen Sinne natürlich keine Druckerpresse brauchte. Dann geht Sinn der Frage nach, warum aus dieser „Geldflut“ (noch) keine Inflation entstanden sei – weil der früher gelehrte simple Zusammenhang, wonach eine Zunahme der Zentralbankgeldmenge zwingend zur Inflation führe, nicht stimme. Als Kronzeugen für diese These führt Sinn John Maynard Keynes und dessen Erklärung der Konjunkturzyklen mittels der Liquiditätsfalle an, die Sinn als „große Leistung“ bezeichnet.

Wie beschreibt Sinn diese Liquiditätsfalle? Ein Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage falle weg, weil es „Geldhorte“ gäbe, in die ein Teil der Ersparnis fließe. Aber warum wird gehortet? Wichtig ist, dass Sinn seine Liquiditätsfalle anhand der Zentralbankgeldmenge definieren will, also anhand der Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank und des von der Zentralbank ausgegebenen Bargelds.

Sinn nennt als Argument den Nullzins: Wenn der Zins bei Null liege, bleibe das Geld liegen und es werde nicht ausgegeben. Das gelte nicht nur für Privatpersonen, die das Geld unter Matratzen und in Schießfächern horteten, sondern auch für Geschäftsbanken, die ihr Geld auf den Konten bei der Zentralbank einfach stehen ließen. So würden die Zusammenhänge „in jedem Lehrbuch keynesianischer Natur dargelegt“; es sei eine „korrekte keynesianische Interpretation des Konjunkturzyklus“. Genau messen ließen sich diese Horte nicht, aber man könne sie zumindest erahnen, wenn man das sehr starke Wachstum der Zentralbankgeldmenge mit dem deutlich geringeren Wachstum einer breiteren Geldmenge (Sinn verwendet M1) vergleiche.

Wer die bisherigen Darlegungen zur Entwicklung des Denkens über die Liquiditätsfalle verfolgt hat, wird über Sinns Behandlung des Themas, gelinde gesagt, erstaunt sein. Wir beschränken uns auf wenige Punkte:

–   Sinns Liquiditätsfalle ist definitiv nicht das, was Keynes beschreibt und was in der frühen Nachkriegszeit über Jahrzehnte als Liquiditätsfalle verstanden wurde: Weil die Vermögensbesitzer aus Angst vor Vermögensverlusten keine langfristigen Anlagen kaufen, halten sie bei Keynes aus dem Spekulationsmotiv Geld, das nicht zu der Senkung des Zinses beiträgt, den die Wirtschaft brauchte.  Keynes‘ Bild ist aber wohl nicht mit den starken Anstiegen von Vermögenspreisen in unserer Zeit vereinbar – viele Leute halten gerade keine Spekulationskasse, sondern kaufen Vermögensgüter und es gibt halt auch andere Vermögensgüter als die von Keynes angeführten langlaufenden Anleihen. Zweitens kann bei Keynes die Zentralbank auch durch Ankäufe von Wertpapieren nicht mehr den langfristigen Zins senken – Sinn aber beklagt, dass die EZB mit ihren Wertpapierkäufen die Zinsen von Anleihen unter anderem aus Südeuropa drücke. Drittens lässt sich Sinns Beschränkung auf die Zentralbankgeldmenge als Analyseobjekt nicht auf Keynes und die frühen Keynesianer anwenden, da dort Wirtschaftssubjekte Spekulationskasse auch auf Bankkonten halten. Viertens findet sich der von Sinn angeführte Nullzins weder bei Keynes noch bei den frühen Keynesianern.

–   Sinns Liquiditätsfalle ist aber auch nicht die moderne keynesianische Version der Liquiditätsfalle à la Blanchard und Krugman, die den Nullzins sehr wohl thematisiert. In der modernen Variante der Liquiditätsfalle hemmt der Nullzins die Geldpolitik, weil sie ihr zinspolitisches Pulver am kurzen Laufzeitende verschossen hat. Die Nullzinsargumentation der modernen Schule beruht statt auf der Betrachtung monetärer Größen wie der Zentralbankgeldmenge stark auf Erwartungseffekten, die Sinn an dieser Stelle nicht bemüht, obgleich die moderne Makroökonomik ohne Annahmen über Erwartungsbildung undenkbar ist. Es scheint vielmehr, als werfe Sinn einzelne Elemente unterschiedlicher Interpretationen der Liquiditätsfalle zusammen und verrühre diese Elemente mit der ihm eigenen Vorstellung, die Liquiditätsfalle lasse sich nur auf Zentralbankgeld anwenden.

–   Ein Grund, warum Sinn die Erwartungseffekte der modernen Makroökonomik nicht brauchen kann, erscheint offensichtlich. Denn sie würden seine Argumentation beschädigen, dass die EZB in einer Situation, in der expansive Geldpolitik wegen der Liquiditätsfalle nicht wirke, sachfremde und möglicherweise gar nicht legale Motive haben müsse, wenn sie trotzdem expansive Geldpolitik betreibe. Inwieweit die Geldpolitik an der Nullzinsgrenze für den Leitzins dank Anleihekäufen und weiterer Instrumente noch Wirkung entfaltet, ist umstritten. Die Empirie zeigt in ihrer Mehrheit, dass Wertpapierankaufprogramme und andere expansive geldpolitische Maßnahmen in schweren Krisen positive Effekte haben, aber jenseits schwerer Krisen sind ihre Wirkungen viel geringer und das Verhältnis zwischen positiven Wirkungen und negativen Nebenwirkungen wird ungünstiger. Deshalb muss rechtzeitig über einen Exit aus einer solchen Politik nachgedacht werden.

Aber da Corona nun unbestreitbar eine schwere Krise verursacht hat, wäre es verwegen, ausgerechnet in dieser Situation die völlige Unwirksamkeit der Geldpolitik auszurufen, wie Sinn es tut. Ich kenne keinen anderen ernsthaften Ökonomen, der eine solche Ansicht vertritt. Weitgehender Konsens ist vielmehr: Gerade in Krisen kommt der Beeinflussung der Erwartungen durch die Politik eine Rolle zu. (Davon zu trennen ist die auch in der F.A.Z. vertretene Kritik, dass die EZB sich anschickt, ihre sehr expansive Geldpolitik über das vermutete Ende der Krise hinaus fortzusetzen.)

Nun könnte Sinn zwar, wie in seiner Vorlesung angedeutet, sagen: Ich messe die Wirksamkeit am Ziel der EZB, eine Inflationsrate von knapp 2 Prozent zu erreichen, und das erreicht sie nicht. Dann darf er sich aber nicht auf Keynes berufen und dessen Analyse von Konjunkturschwankungen rühmen. In Keynes “General Theory” geht es bei der Analyse der Liquiditätspräferenz um die Fähigkeit der Geldpolitik, gegen eine Rezession/Depression zu kämpfen und nicht um das Erreichen von Inflationszielen.

–  Es wäre es ein Leichtes, eine hohe Liquiditätspräferenz in der Corona-Krise mit Keynes‘ Motiv der Vorsichtskasse zu begründen, die nach Ansicht des Meisters aus Cambridge überwiegend von den laufenden Einkommen und den Konjunkturerwartungen abhängt. Sehr wahrscheinlich halten viele Menschen in der Krise angesichts der Unsicherheit über die Zukunft viel Geld; manche Ausgaben für längerfristige Konsumausgaben sind aufgeschoben worden; Reisen konnten vielfach gar nicht stattfinden. Für eine erhöhte Nachfrage nach Vorsichtskasse wäre in der bisherigen Tradition die Bezeichnung Liquiditätsfalle eher ungewöhnlich und die Analyse wäre auch nicht geeignet, die Schuld für die Verhältnisse der EZB anzuhängen. Sinn verwendet für seine Definition der Liquiditätsfalle die Kassenhaltungsmotive von Keynes jedenfalls nicht – eine beim Versuch einer monetären Erklärung der Liquiditätsfalle merkwürdige Strategie, wenn man sich auf Keynes beruft. Generell gilt: Eine hohe Liquiditätspräferenz ist nicht automatisch gleichzusetzen mit dem Extremfall der Liquiditätsfalle!

Die Liste der Merkwürdigkeiten ließe sich leicht fortsetzen (Etwa: Lässt sich die Haltung von Zentralbankguthaben durch Geschäftsbanken wirklich ebenso als Ersparnis deklarieren wie das Halten von Geld unter Matratzen durch ängstliche Privatleute?)

Wie auch immer: Am Ende des Tages kommt Sinn zu zwei wenig originellen Feststellungen. Erstens sei derzeit mit dem Blick auf den Verbraucherpreisindex keine bedeutende Inflation zu sehen und sie drohe derzeit auch nicht. Das ist keine grundstürzende Erkenntnis. Dann spielt Sinn zwar mit der Vermögenspreisinflation, indem er Preissteigerungen für Wohnraum zeigt. Er stellt fest, dass diese Preise nicht im Verbraucherpreisindex enthalten seien und erwähnt die Möglichkeit, statt dessen die Preise für selbst genutzten Wohneigentum im Verbraucherpreisindex zu erwähnen. Solche Pläne gibt es, wie zuerst in der F.A.Z. berichtet, aber an dieser Stelle setzt Sinn nicht fort. Würde er das Thema weiter ausführen, müsste er zugeben, dass die Berücksichtigung selbst genutzten Wohneigentums nach Simulationen die Verbraucherpreisinflation kaum beeinflussen würde und man auf diese Weise derzeit auch keine hohe Inflationsrate zeigen könnte.

Sinns zweite These lautet, dass man Inflation langfristig nicht prognostizieren könne. Das ist ebenso richtig wie seine Annahme, dass die monetäre Expansion unserer Zeit die Finanzierung von Inflation künftig  erleichtern könnte. In der Frage, wie Inflation künftig entstehen könnte, erweist sich Sinn dann wieder als gar nicht originell: Er sieht die Möglichkeit eines Zuwachses der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nach Corona, mit dem das gesamtwirtschaftliche Angebot eventuell nicht mithält. Das ist die Diskussion, die derzeit international von vielen Leuten geführt wird – ziemlich unaufgeregt, ohne Rückgriffe auf eine selbst definierte Form von Liquiditätsfalle und ohne vage eine Hyperinflation in den Raum zu stellen. Was bleibt, ist der Eindruck, dass Sinn versucht, Keynes für seinen Feldzug gegen die EZB zu instrumentalisieren. Wie wir zu zeigen versucht haben, hat das Konzept der Liquiditätsfalle damit wenig zu tun.