Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Babyknick statt Babyboom

Das bringt uns das Jahr 2021 – trotz oder vielmehr wegen Corona.

 
Die Menschen rücken in schwierigen Zeiten näher aneinander. So auch während der Corona-Pandemie. Man verbringt mehr Zeit zu Hause, hat mehr Zeit für Zweisamkeit. Aber führt das auch zu mehr Schwangerschaften? Und zu mehr Geburten im Jahr 2021? Es wäre eine schöne Nebenwirkung der Pandemie – und historisch betrachtet, könnte man durchaus annehmen, dass es tatsächlich so kommt. Denn in der Vergangenheit stiegen nach großen Krisen die Geburtenraten häufig an.
 
Ob es auch diesmal so ist, muss sich noch zeigen. Die Geburtenzahlen für das jetzt zu Ende gehende Jahr lassen keinen aussagekräftigen Rückschluss zu. Und anders als in manchen anderen Ländern werden Schwangerschaften hierzulande von keiner offiziellen Statistik erfasst. Der erste Lockdown im Frühjahr begann am 16. März. Babys, die in dieser frühen Corona-Phase gezeugt wurden, sind frühestens Anfang Dezember zur Welt gekommen. Man muss sich also noch ein bisschen gedulden, um absolute Gewissheit zu bekommen.
Wer sich aber mit einer Tendenz begnügt, kann auf ein paar andere Kenngrößen schauen, mit denen man eine Prognose wagen kann.
 
Denn die statistischen Landesämter führen zwar nicht Buch über Schwangere, die Frauenärzte dagegen schon. Sie behandeln die Frauen in ihren Praxen und rechnen am Ende jedes Quartals mit den Kassenärztlichen Vereinigungen ihre Leistungen ab. Und was diese Abrechnungen der niedergelassenen Ärzte bislang verraten, lässt die Hoffnung auf einen Babyboom schwinden. Die F.A.S. hat dazu die 17 Kassenärztlichen Vereinigungen im Land befragt; demnach wurden nach bisherigem Datenstand in keinem Bundesland seit Ausbruch der Pandemie nennenswert mehr Schwangere behandelt als im Jahr zuvor.
 
Im Gegenteil. In einer Reihe von bevölkerungsstarken Bundesländern wurde sogar ein deutlicher Rückgang registriert. In Baden-Württemberg zum Beispiel kamen von Juli bis September 97 000 Schwangere in die Praxen – gegenüber 106 000 im selben Zeitraum 2019. Auch in Nordrhein-Westfalen wurden den Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe jeweils rund 9000 Schwangere weniger in Behandlung gemeldet als im Jahr zuvor. In Bayern blieben die Zahlen vergleichsweise konstant bei rund 102 000. Auch in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Hessen waren in diesem Jahr nach bisherigem Datenstand klar weniger Schwangere bei niedergelassenen Ärzten in Behandlung.
Zu viel wollen weder die Kassenärztlichen Vereinigungen noch die Frauenärzte in diese Zahlen interpretieren. Aufgrund der Pandemie ist die Anzahl der Arztbesuche generell deutlich zurückgegangen. Es könnte also durchaus mehr Schwangere geben, als die Zahlen suggerieren.
 
Mit einem Anstieg der Geburtenzahlen 2021 rechnen die Fachleute trotzdem nicht. “90 Prozent aller Schwangerschaften, die in Deutschland ausgetragen werden, entstehen nach Erfahrung der frauenärztlichen Praxen geplant”, sagt Christian Albring, Präsident des Bundesverbands der Frauenärzte und niedergelassener Frauenarzt in Hannover. “Eine eventuelle Zunahme sexueller Gemeinsamkeit von Paaren in Lockdown-Zeiten würde sich also nur dann in einer Zunahme von Schwangerschaften äußern, wenn in dieser Phase auch der Kinderwunsch stärker würde.”
 
Genau das hält Martin Bujard, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsentwicklung, zwar im Prinzip für durchaus realistisch: “In der Corona-Zeit entdecken viele die Familie neu. Paare haben mehr Zeit füreinander. Da kann es schon sein, dass ein Kinderwunsch konkreter wird.” Allerdings, sagt der Wissenschaftler, gebe es auch einen gegenläufigen Effekt: “Gesundheitliche Sorgen und ökonomische Existenzängste können dazu führen, dass ein Kinderwunsch erst mal verschoben wird.” Die Frage sei letzten Endes, welcher dieser Mechanismen überwiege.
 
Für Industrieländer wie Deutschland erwarten die Demographen, dass erst einmal der negative Effekt überwiegt und es erst einmal zu einem Knick in der Geburtenstatistik kommt. Der Grund: Die Unsicherheit ist gerade so groß, dass viele Paare ihren Kinderwunsch um ein paar Monate oder wenige Jahre aufschieben. In Japan zum Beispiel, wo die nationale Statistikbehörde alle Schwangerschaften offiziell erfasst, ist dieser Knick schon jetzt in den Zahlen zu sehen. Und zwar deutlich. In den Monaten Mai, Juni und Juli gab es demnach 11,4 Prozent weniger Schwangerschaften als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Sobald die Corona-Pandemie aber unter Kontrolle ist, könnte die neue Besinnung auf die Familie dem Kinderkriegen durchaus einen kleinen Schub verleihen, der sich womöglich auch eine Weile halten wird.
 
Ganz anders bewerten Fachleute indes die Lage in den Entwicklungsländern: Weil der Zugang zu Verhütungsmitteln in vielen ärmeren Regionen der Welt infolge der Pandemie stark eingeschränkt ist, dürften dort im nächsten Jahr deutlich mehr Babys als sonst das Licht der Welt erblicken.