Die Finanzminister planen eine internationale Mindeststeuer für Unternehmen. Das ist ein Irrweg.
Als Paul seine Bäckerei renovierte und glänzende Theken kaufte, hob er den Preis für Brötchen von 40 auf 50 Cent an. Die Kunden kauften von nun an beim Bäcker um die Ecke. Dort waren die Brötchen billiger, und sie schmeckten auch gut. Paul schlug den anderen Bäckern vor, dass auch sie ihre Brötchen für mindestens 50 Cent verkaufen sollten. Dann könnte jeder sein Geschäft renovieren und noch schöne Urlaubsreisen machen, sagte Paul, ohne dass die Kunden davonliefen. Doch die anderen Bäcker lehnten ab. Sie freuten sich, dass Pauls Kunden jetzt zu ihnen kamen. Glücklich waren die Kunden, die leckere Brötchen zum niedrigen Preis genießen konnten.
Amerikas Finanzministerin Janet Yellen tritt derzeit wie der Bäcker Paul auf. Die Regierung in Washington will in großem Stil die Infrastruktur renovieren und investieren. Einen Teil der vielen Milliarden sollen die Unternehmen durch höhere Steuern bezahlen. Damit die Unternehmen nicht davonlaufen, schlägt Yellen anderen Regierungen eine Mindestbesteuerung vor. Im Unterschied zu den Bäckerkollegen von Paul sind viele Finanzministerkollegen von Yellen begeistert. Aus Deutschland, aus Kontinentaleuropa und aus Japan kommt Zustimmung. Weltweit müssen Unternehmen sich nun auf höhere Steuern einstellen. Sie können nur hoffen, dass es für das Geld auch bessere Infrastruktur und nicht nur Beamtenbürokratien gibt.
Unternehmen sind Menschen!
Doch der Kundenkreis von Yellen und Co. ist größer als die Unternehmen. Genau genommen gehören Unternehmen gar nicht zu den Kunden der Politiker, weil sie nicht wählen. Kunden der Regierungen sind die Wähler, die als Verbraucher die Produkte der Unternehmen kaufen. Sie werden einen Teil der höheren Gewinnsteuern mit höheren Preisen bezahlen müssen. Zu Yellens Kunden gehören auch Arbeiter und Angestellte, die in den Unternehmen arbeiten oder eine Stelle suchen. Sie werden die höheren Steuern mit weniger Arbeitsplätzen bezahlen, weil höhere Gewinnsteuern wirtschaftliche Dynamik dämpfen. Unternehmen sind Menschen! Wer Steuern auf Unternehmen erhöht, trifft nicht eine abstrakte Einheit. Er schadet den Menschen, die in den Unternehmen arbeiten oder die Geld für Investitionen zur Verfügung stellen.
In der aufgeregten Debatte über Unternehmen, die sich im internationalen Standort- und Steuerwettbewerb scheinbar ihrem fairen Anteil an der Besteuerung entziehen, geht dieser Zusammenhang oft verloren. Geklagt wird lieber, dass der Unterbietungswettbewerb der Staaten dazu führe, dass Unternehmen immer weniger Steuern bezahlten. Doch was ist schlecht daran, wenn eine geringere Steuerlast zu mehr Arbeitsplätzen und zu höherem wirtschaftlichen Wachstum führt?
Niemand anderes als die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die im Auftrag ihrer Mitgliedstaaten den Kampf gegen unfairen Steuerwettbewerb anführt, erkennt den Zusammenhang an. Das offenere Umfeld der vergangenen Jahrzehnte habe viele positive Auswirkungen auf die Steuersysteme gehabt, einschließlich niedrigerer Steuersätze und einer Verbreiterung der Steuerbasis, schrieb die OECD 2001. „Über eine Verringerung der Steuersätze insgesamt hinaus kann ein wettbewerbliches Umfeld mehr Effizienz der staatlichen Ausgaben fördern.“ Gemeint ist: Regierungen können nur noch weniger Geld verschwenden und Sonderwünsche einzelner Gruppen bedienen, wenn sie ihre Steuersätze nicht nach Gutdünken, sondern nur im Wettbewerb festlegen können.
Wettbewerb an die Spitze
Es ist damit einseitig, wenn nicht gänzlich irreführend, den Steuerwettbewerb als Abwärtsspirale zu verteufeln. Im Gegenteil ist es ein Wettbewerb, der wie in der Konkurrenz der Bäcker bessere und billigere Brötchen hervorbringt. Der verstorbene Wirtschaftsnobelpreisträger Gary Becker beschrieb das wie folgt: „Wettbewerb zwischen Nationen bringt der Tendenz nach eher ein Rennen an die Spitze als nach unten hervor, weil es die Möglichkeiten der machtvollen und unersättlichen Gruppen und Politiker in jedem Land begrenzt, ihren Willen zu Lasten der großen Mehrheit ihrer Bevölkerung durchzusetzen.“
Wie kommt die OECD dazu, im Auftrag ihrer Brötchengeber einen schädlichen Steuerwettbewerb auszurufen? In der grundlegenden Studie von 1998 nennt die OECD sechs Gründe. Doch alle sechs Gründe sind eigentlich Argumente für den Steuerwettbewerb. Da schreibt die OECD, dass der Steuerwettbewerb Investitionsströme verzerre, die Integrität und Fairness von Steuerstrukturen untergrabe, die Regeltreue aller Steuerzahler entmutige und die Kosten der Steuererhebung für Verwaltung und Steuerzahler erhöhe. All das gilt aber erst recht, wenn Regierungen hinter Schutzwällen noch höhere Steuern eintreiben und austüfteln können. Die internationale Mindeststeuer ist ein solcher Schutzwall.
Da beklagt die OECD, dass der Steuerwettbewerb zu unerwünschten Verschiebungen führe, weil Teile der Steuerlast auf weniger mobile Steuerbemessungsgrundlagen wie Arbeit, Eigentum oder Konsum verlagert würden. Das aber ist genau der erwünschte Effekt des Steuerwettbewerbs, dass nämlich Kapital weniger und Konsum mehr besteuert wird, um das Wachstum anzuregen. Zu den positiven Folgen gehört auch, dass die Wähler als Arbeitnehmer direkt spüren, wie teuer die Sozialleistungen und sonstigen Wünsche sind, die sie oder andere an den Staat richten.
Ausweichen auf den Mond?
Nicht zuletzt ärgert die OECD, dass der Steuerwettbewerb „das gewünschte Niveau und die Mischung von Steuern und öffentlichen Ausgaben neu formt“. Aber ist das ein Nachteil? Ein richtiges Steuersystem für alle gibt es nicht. „Es gibt keinen besonderen Grund, warum zwei Länder das gleiche Niveau und die gleiche Struktur der Besteuerung haben sollen”, schreibt die OECD.
Im theoretisch-demokratischen Idealfall legt jedes Land Steuern und Ausgaben nach dem Mehrheitswillen der Bürger fest. Doch der Wille der Mehrheit steht immer in Gefahr, in die Tyrannei der Mehrheit umzuschlagen und einzelne Gruppen – die Reichen, die Unternehmen, die Bunten, die Bösen – fiskalisch auszubeuten. Ein bewährtes Mittel dagegen ist die Möglichkeit der Abwanderung. Die Steuerflucht ist eine solche Form der Abwanderung, die durch eine Mindeststeuer eingeschränkt wird. Dann gilt, wie es der verstorbene Kölner Ökonom Christian Watrin nur halb im Scherz auf die Spitze trieb: „Wenn Sie eine Weltregierung haben, können Sie nur noch auf den Mond ausweichen.“ Aber wer will oder kann das schon?
Literatur
Gary Becker (1998): „What’s Wrong with a Centralized Europe? Plenty.” Business Week, 29. Juni.
OECD (1998): Harmful Tax Competition.
OECD (2001): The OECD’s Project on Harmful Tax Competition: The 2001 Progress Report.
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