Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Bücherkiste (16): Ökologische Krisen

Thomas Unnerstall hat ein Buch für Menschen mit Interesse an Fakten geschrieben. Er sagt: Ja, die Energiewende ist unausweichlich. Aber viele andere vermeintliche ökologische Krisen sind aufgebauscht. Eine Rezension.

 
In Thomas Unnerstalls neuem Buch werden weder Katastrophenprediger noch Verharmloser eine Bestätigung für ihre oft kruden Thesen zum Klimawandel und anderen ökologischen Themen finden. Wer sich für Fakten statt für Fiktionen interessiert, entdeckt in Thomas Unnerstalls neuem, mit mehr als 70 Grafiken und ergänzenden Literaturhinweisen angereicherten Buch einen empfehlenswerten Einstieg in eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Der Autor ist vom Fach: Der promovierte Physiker hat nach einem beruflichen Einstieg im Umweltministerium in Stuttgart 15 Jahre als Manager in regionalen Energieversorgungsunternehmen gearbeitet. Seit einigen Jahren ist er als Buchautor sowie international als Berater tätig.
 
In einer nüchternen, faktengesättigten Sprache begründet Unnerstall seine Kernthese: Ja, der Klimawandel erfordert nach seiner Ansicht ein energisches Gegensteuern durch den Verzicht auf die Nutzung fossiler Energieträger in den kommenden 30 Jahren. Unnerstall hält dies nicht nur für dringend notwendig, sondern auch für realistisch, ohne hierfür grundlegende Änderungen der Wirtschafts- und Lebensweisen in den westlichen Ländern einzufordern. “Wenn der Westen seinen Strom aus Sonne und Wind gewinnt, auf E-Mobilität umsteigt und Heizungen, Flugzeuge, Industrieprozesse mit CO2-neutralen Energieträgern betreibt, dann ist sein hoher Energieverbrauch ganz unproblematisch”, schreibt der Verfasser: “Insbesondere ist ein solches Energiesystem nachhaltig, denn die verfügbaren Ressourcen an erneuerbaren Energien werden nur zu einem kleinen Bruchteil genutzt.” Um ökologisch nachhaltig zu werden, müsse der Westen nicht sein Wirtschaftssystem oder sein Konsumverhalten grundlegend ändern, sondern nur sein Energiesystem.
 
Aber was ist mit den ökologischen Belastungen wie dem Artensterben, den Brandrodungen, der Überfischung und dem Plastik in den Weltmeeren? Unnerstalls für viele Leser vielleicht verblüffende Antwort lautet: “Auch wenn die Ökosysteme der Erde deutliche Spuren menschlicher Aktivität zeigen, erwachsen daraus keine substantiellen Beeinträchtigungen der Lebensbedingungen künftiger Generationen.” Denn die “natürlichen Ressourcen des Planeten reichen bei Weitem aus, um die biologischen Lebensgrundlagen für die nachfolgenden Generationen – Nahrungsmittel und Trinkwasser – ohne Einschränkungen zu gewährleisten”.
 
Der Ressourcenverbrauch der Menschheit mit Blick auf Ackerland, Weideflächen, Fischgründen und Wald sei völlig in Ordnung, denn er liege bei knapp 70 Prozent der vorhandenen Ressourcen des Planeten, schreibt Unnerstall. Auch wenn im Jahre 2050 fast 10 Milliarden Menschen leben sollten, würden sie nur 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen. Und das Artensterben? Ja, das gibt es, aber selbst bei Fortführung aktueller Trends wird nach Unnerstalls Überzeugung “der ungeheure Reichtum von Tier- und Pflanzenarten auf unserem Planeten im 21. Jahrhundert nur wenig geschmälert”.
 
Dem menschlichen Wirtschaften sieht der Verfasser bis mindestens zum Jahr 2100 mit Blick auf die Energievorräte und die mineralischen Rohstoffe keine relevanten Grenzen gesetzt. “Trotz anhaltendem Wirtschaftswachstum, trotz weiter steigendem Lebensstandard und Konsum sinkt in den westlichen Ländern der Ressourcenverbrauch”, betont der Autor. Die heutige Generation im Westen lebe (in ökologischer Hinsicht) nicht auf Kosten nachfolgender Generationen und auch nicht auf Kosten anderer Weltregionen.
 
“Wir brauchen keine ,große Transformation’ von Wirtschaft und Gesellschaft, keine langwierigen und spaltenden Verzichtsdiskussionen, wir müssen nicht über Sinn und Unsinn des Autoverkehrs streiten”, betont der Autor. “Wir müssen nur die fossilen Energieträger bis 2040 weitestgehend durch regenerative Energieträger ersetzen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dafür haben wir die nötigen Technologien und wir können es uns leisten.” Eine Verantwortung des Westens gegenüber den ärmeren Ländern sieht Unnerstall durchaus, nur fordert er vom Westen keinen Verzicht, sondern technische und finanzielle Hilfen, die den ärmeren Ländern den Abschied von fossilen Energieträgern erleichtern.
 
Das klingt gut, doch: Eine rasche Energiewende könnte sich als politisch schwieriger, gesellschaftlich umstrittener, technisch anspruchsvoller und als ökonomisch weitaus herausfordernder erweisen, als Unnerstall postuliert. Diese Zweifel entwerten aber nicht seine Kernaussage, dass in der öffentlichen Diskussion eine Neigung existiert, die ökologischen Herausforderungen jenseits der Treibhausgasemissionen häufig zu dramatisieren.
 
Der klare Aufbau des Buches erleichtert den Zugang zu der nicht immer sehr einfachen Materie. Nachdem Unnerstall zu den Themen Weltbevölkerung, Landnutzung, Nahrungsmittel und Trinkwasser die Grundlagen geschaffen hat, wendet er sich im nächsten Teil der Energie und den Rohstoffen zu. Anschließend behandelt er ökologische Brennpunkte wie den ökologischen Fußabdruck, das Artensterben und die Biodiversität, den Waldverlust, den Plastikmüll und die toten Zonen in den Meeren sowie die Schadstoffe in der Umwelt.
 
Sehr zu loben sind die Bewertungen und Zusammenfassungen am Ende jedes Abschnitts. Falsch wäre der Eindruck, Unnerstall zeichne ein übertrieben schönes Bild der Verhältnisse. Aber viele unbestreitbar vorhandenen Probleme sind lokaler oder regionaler, jedoch nicht globaler Natur. Das ist schlimm, rechtfertigt aber nicht den gerade im Westen kursierenden Katastrophismus.


Dieser Artikel ist am 31. Mai 2021 im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.