Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Inflation in Kriegszeiten

Der Krieg mag den Gaspreis treiben. Für die Bekämpfung der Inflation bleibt die Geldpolitik verantwortlich.

 

Der schreckliche Krieg, den Russland ohne jede Not gegen die Ukraine begonnen hat, wird nicht nur aus der politischen und der militärischen Per­spektive, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht analysiert. Eine Frage, mit der sich zahlreiche Ökonomen befassten, kaum nachdem die Kanonen zu donnern angefangen hatten, lautete: Würde eine kriegsbedingte Verteuerung von Rohstoffen, in erster Linie von Gas, die Wirtschaft in Westeuropa treffen?

Solche Berechnungen ließen sich mit gutem Grunde als wenig seriös bezeichnen. Andererseits sollten sich Vorwürfe nicht nur an Ökonomen richten, die ein Angebot an leicht hinterfragbaren Pro­gnosen unterbreiten. Dem Angebot steht auch eine Nachfrage gegenüber: Denn je unsicherer die Zukunft erscheint, umso mehr giert die Öffentlichkeit nach Pro­gnosen für diese unsichere Zukunft. Das klingt zwar nicht sehr logisch, aber so ist der Mensch nun einmal.

Aus dem Strauß von Simulationsrechnungen seien beispielhaft Kalkulationen des Instituts der deutschen Wirtschaft genannt. Vor Kriegsausbruch ging man allgemein von einem Rückgang der Gaspreise gegenüber ihrem historisch hohen Stand vom vierten Quartal 2021 aus. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat nun angenommen, als Folge des Krieges im Osten verharre der Gaspreis auf seinem Stand von Ende 2021. Dann errechnet sich für Deutschland nach dem Institut eine Inflationsrate von 4,3 Prozent in diesem Jahr und von 4,5 Prozent im kommenden Jahr.

Gegenüber den bisherigen Inflationsschätzungen etwa der Deutschen Bundesbank von 3,6 Prozent im laufenden und von 2,2 Prozent im kommenden Jahr wäre dies eine signifikante Verschlechterung. Nähme man statt eines unveränderten sogar einen noch höheren Gaspreis an, wäre in diesem Jahr in Deutschland sogar eine Inflationsrate von gut 6 Prozent denkbar. Das klingt krass.

Wie sähe ein optimales Vorgehen gegen einen solchen Anstieg der Inflationsrate aus? Vor allem linke Ökonomen, die von der Finanzierung staatlicher Investitionsausgaben zu Niedrigzinsen im Zweifel durch Anleihekäufe von Zentralbanken träumen, wenden sich entschieden gegen die Vorstellung, in einem solchen Falle solle die Geldpolitik mit einer Einstellung von Anleihekäufen und höheren Leitzinsen gegen die Inflation vorgehen.

Wahr und unter Ökonomen wohl unumstritten ist: Eine Zentralbank kann nicht unmittelbar die Verteuerung einzelner Güter verhindern. Falls Moskau den Westeuropäern den Gashahn abstellen sollte, wäre die Europäische Zentralbank gegen die Verteuerung des Gaspreises machtlos. Das stimmt schon. Aber es ist auch nur ein Teil der Geschichte.

Bevor wir zur Geldpolitik zurückkehren, sollen erst alternative Möglichkeiten zur Bekämpfung der Teuerung behandelt werden. Eine Option ist ein alter Hut, der schon früher nichts getaugt hat, aber jetzt wieder als besonders geistreiche Idee präsentiert wird, weil vielleicht gerade für linke Ökonomen die Erfahrung gilt, dass jede Generation sogar die offensichtlichsten Fehler ihrer Vorväter erst einmal wiederholen muss. Der alte Hut sind staatliche Preiskon­trollen. Und die Fairness gebietet zuzugeben, dass es, zum Beispiel vor ziemlich genau einem halben Jahrhundert in den Vereinigten Staaten, Zeiten gegeben hat, in denen dieses Instrument nicht nur von linken Ökonomen befürwortet wurde.

Trotzdem sind staatliche Preiskontrollen, wiewohl auf den ersten Blick Ausdruck eines fürsorglichen Staates, eine schreckliche Idee. Preise zeigen Knappheiten an; wenn ein Preis sehr stark steigt, spricht dies für eine Knappheit des Gutes, in diesem Falle von Gas. Der steigende Preis belastet zunächst die Konsumenten und beschert dem Förderer hohe Extragewinne. Aber er schafft auch Anreize, nach Alternativen zu Gas Ausschau zu halten.

Dieser Prozess würde durch eine staatliche Preiskontrolle, die zudem willkürlich sein mag, verhindert. Die mit freier Preisbildung verbundenen Anreize für bessere Konsummöglichkeiten zählen zu den größten, von Laien üblicherweise unterschätzten und von Kritikern gerne verschwiegenen Stärken einer Marktwirtschaft.

Ein Staat verfügt aber über Alternativen. Anstatt Preise zu manipulieren, kann er den unter hohen Preisen leidenden Menschen finanziell zur Seite springen. Eine Option besteht in der Senkung oder Abschaffung von Steuern und Abgaben, die zahlreichen Menschen zugutekommen. So will die Bundesregierung die mit der Stromrechnung erhobene Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien im Sommer abschaffen. Alternativ kann ein Staat auch unter höheren Preisen besonders leidende Personen besonders unterstützen. Denkbar sind steuerliche Vergünstigungen, wie die Pauschale für Fernpendler, die erhöht werden soll.

Unmittelbar wirksam sind direkte Transfers zugunsten Bedürftiger. So sollen in Deutschland Bezieher von Hartz IV und Empfänger der Grundsicherung im Alter jeweils 100 Euro erhalten. Das Sammelsurium der Maßnahmen im aktuellen deutschen Paket erklärt sich aus den unterschiedlichen politischen Präferenzen der drei Koalitionspartner.

Die Bundesregierung steht nicht allein. Frankreich hatte schon im Herbst 2021 angesichts der hohen Energiepreise jedem Bürger einen Ausgleich von 100 Euro zugesagt. In Italien hat die Regierung Draghi Anfang Februar ein Programm zur Abfederung der hohen Energiepreise angekündigt. Diese Beispiele zeigen auch: Das beliebte Narrativ, außer den hysterischen Deutschen rege sich niemand gegen Preissteigerungen auf, trifft nicht zu. Inflation erweist sich in vielen Ländern als ein Problem, und sie trifft üblicherweise vor allem die Menschen mit kleinen Einkommen und bescheidenen Vermögen.

Doch diese Staatseingriffe versuchen nur, schädliche Folgen der Inflation für besonders betroffene Menschen zu lindern. Sie bekämpfen nicht die Inflation selbst. Diese Aufgabe bleibt der Zentralbank; dafür wurden Zentralbanken vor Jahrzehnten in eine Unabhängigkeit von Regierungen entsandt. Verteuerungen einzelner Güter sind nach aller Erfahrung nicht geeignet, dauerhafte Inflationsprozesse in Gang zu bringen. Hierzu bedarf es einer kräftigen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage – und gegen deren unerwünschte Auswirkungen auf das Preisniveau kann sich eine Zentralbank wenden, indem sie durch Zinserhöhungen das wirtschaftliche Wachstum und damit den Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage dämpft.

Verfolgt eine Zentralbank ihr Ziel einer niedrigen Inflationsrate glaubwürdig, kann sie auch Gewerkschaften davon abhalten, in Erwartung dauerhaft hoher Inflationsraten kräftige Lohnerhöhungen zu fordern und auf diese Weise die gefürchteten Lohn-Preis-Spiralen in Gang zu setzen. Auch wenn der Gaspreis wegen des unseligen Kriegs in Osteuropa steigen sollte, trägt die Europäische Zentralbank weiterhin die Verantwortung für die mittelfristige Inflationsentwicklung in der Eurozone. Das weiß sie aber auch.