Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Warum Frauen weniger verdienen

Mütter opfern ihre Karriere der Familie. Das liegt auch an den Arbeitszeiten.

Von Jürgen Kaube

 

Es gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, der in den vergangenen Jahrzehnten einen solchen Wandel durchgemacht hat wie die Familie. Das gilt für die Vielfalt ihrer Formen: eheloses Zusammenleben stand vor Kurzem ebenso noch unter starken moralischen Vorbehalten wie Alleinerziehung oder homosexuelle Ehen. Das gilt auch für die Trivialisierung ihrer Auflösung: Scheidungen und Wiederverheiratungen können inzwischen geradezu erwartet werden. Von Alfred Herrhausen hieß es einst, er sei der erste Vorstand der Deutschen Bank gewesen, der diese Position 1977 trotz einer zweiten Ehe halten konnte.
 
Weibliche Berufstätigkeit wiederum, die vor sechzig Jahren noch der Genehmigung des Ehemanns bedurfte, ist zum Normalfall geworden. Erwarben in den Vereinigten Staaten 1960 noch 1,6-mal mehr Männer als Frauen einen Hochschulabschluss, so hat sich das Verhältnis umgekehrt. Heute haben 45 Prozent der 25 Jahre alten Frauen ein Diplom, aber nur 36 Prozent der Männer gleichen Alters.
Alles scheint möglich, weil das Geschlecht einer Person nicht mehr für informativ gehalten wird, wenn es um ihre gesellschaftliche Position geht. Das lenkt den Blick auf bleibende Ungleichheiten. Vor allem der sogenannte Gender-Pay-Gap wird viel diskutiert: die ungleiche Bezahlung männlicher und weiblicher Berufsarbeit. In den Jahren um 1970 verdiente eine Frau nur 59 Cent von jedem Dollar, der an Männer bezahlt wurde. Diese Differenz ging in den 80er- und 90er-Jahren zurück, ohne ganz zu verschwinden. Besonders im Bereich der Berufe mit akademischer Qualifikation ist sie nach wie vor erheblich.
Oft ist dabei zu hören, ungleich werde nur ungleiche Arbeit bezahlt, weswegen sich vor allem die geringeren weiblichen Studentenzahlen in Ingenieurfächern oder bei den Informatikern im Durchschnittseinkommen auswirke. Hätten Frauen und Männer hingegen denselben Beruf, schwinde der Gehaltsabstand.
 
Beides ist falsch. Untersuchungen der amerikanischen Ökonomin Claudia Goldin zufolge gehen zwei Drittel des bestehenden “Pay-Gaps” auf Tätigkeiten in denselben Berufsfeldern zurück: männliche Ärzte, Manager, Anwälte, Programmierer verdienen mehr als ihre weiblichen Kollegen. Anwältinnen beispielsweise erzielen durchschnittlich auf jeden Dollar der Männer nur 78 Cent. Aber nicht für dieselbe Arbeit und nicht sofort. Vielmehr ist die erste Berufsphase nach dem College- Abschluss von größerer Gleichheit der Einkommen geprägt. Erst zehn Jahre später beginnen sich die Gehälter auseinanderzuentwickeln, und zwar bei akademisch ausgebildeten Personen noch stärker als im gesamten Arbeitsmarkt.
 
Der Grund dafür liegt in der Aufteilung familiärer Arbeit. Sobald Paare heiraten und Kinder bekommen, bleiben Frauen stärker auf Positionen, die ihnen die Vereinbarkeit des Berufs mit den Anforderungen der Erziehung und des Sichkümmerns erlauben. Ihre männlichen Kollegen hingegen lassen sich von der Berufsarbeit aufzehren. Goldin spricht von “greedy jobs”, “gefräßigen Stellen”, die größtenteils von Männern ergriffen werden, Jobs mit vielen Überstunden, Extraeinsätzen, Bereitschafts- und Wochenenddiensten.
 
In solchen Jobs wird die Mehrbelastung typischerweise überproportional entgolten. Anwälte, die statt dreißig Stunden in der Woche sechzig Stunden arbeiten, verdienen durchschnittlich ein Viertel mehr je Arbeitsstunde. Männer opfern also Zeit mit der Familie, Frauen opfern ihr Fortkommen im Beruf. Nach 15 Jahren Berufstätigkeit geht ein Viertel aller amerikanischen Anwältinnen in Teilzeitarbeit über, 16 Prozent verlassen den Beruf ganz. Bei den Männern sind es jeweils nur zwei Prozent. Nach 15 Jahren Berufstätigkeit ist die Hälfte aller weiblichen Anwälte Partner in ihrer Kanzlei geworden, aber 70 Prozent aller Männer. Nach 15 Jahren Berufstätigkeit arbeiten 80 Prozent aller männlichen Anwälte mehr als 45 Stunden in der Woche, aber nur 55 Prozent aller weiblichen. Anders formuliert: Die Überstunden und Wochenenddienste der Frauen fallen im Haushalt an. Im selben Berufsfeld entstehen so ungleiche Karrierechancen.
 
Auch in medizinischen Berufen kann Goldin dieses Muster nachweisen. Je höher die Wochenarbeitszeit in einer ärztlichen Disziplin ist, desto geringer ist – mit Ausnahme der Gynäkologie – der Anteil weiblicher Ärzte in ihr. Zwei Drittel der jungen Hautärzte (48 Stunden durchschnittliche Wochenarbeitszeit) sind Frauen, aber nur 44 Prozent der Internisten (59 Stunden Wochenarbeitszeit). Zugleich arbeiten weibliche Ärzte in allen Disziplinen etwa zehn Stunden weniger in der Woche als männliche. Dass weibliche Ärzte überdies 10 Prozent mehr Zeit auf die einzelnen Patienten verwenden als ihre männlichen Kollegen, trägt zusätzlich zum “Pay-Gap” bei.
 
Goldins Fazit: Diese Ungleichheit hat wenig mit Diskriminierung am Arbeitsplatz zu tun, aber viel mit der Struktur der Arbeitszeitverteilung. “Up or out” lautet das Motto. Man steigt im vierten Lebensjahrzehnt auf – oder verlässt die Firma in Richtung einer weniger anstrengenden Berufsausübung.
Das belohnt eine im Grunde altmodische Spezialisierung der Geschlechter. Solange die Entlohnung Mehrarbeit überproportional honoriert, erzielt ein Paar ein höheres Familieneinkommen, wenn die Frau zugunsten der Hausarbeit zurücktritt. Jedenfalls dann, wenn die Übernahme der Hausarbeit und Kindererziehung durch den männlichen Partner aus den üblichen Gründen nicht erwogen wird.
Die überproportionale Entlohnung der “Workaholics” wiederum wird mit ihrer Unersetzlichkeit – beispielsweise für den Klienten – begründet. In dem Maße, in dem Arbeitsaufgaben von einer Person zu einer anderen transferiert werden können, reduziert sich umgekehrt der “Pay-Gap”. Insofern wäre der Umfang, in dem in einem Berufsfeld Teamarbeit verrichtet wird, ein Hinweis auf weniger ungleich verteilte Karrierechancen.
 
Schließlich spielt es auch eine Rolle, dass die Entscheidung über den wichtigsten Karrieresprung in vielen Organisationen – seien es Firmen, Krankenhäuser oder Universitäten – so spät fällt. Würden die Leute schon in ihren frühen Dreißigern Professoren oder Partner oder Oberärzte, dann könnten Frauen Ende zwanzig hart darauf zuarbeiten und sich danach stärker um die Familie kümmern. Die Verlängerung aller Ausbildungszeiten hingegen führt, zusammen mit den langen Anlaufphasen zum Karrieresprung, oft dazu, dass die Überstunden genau in derjenigen Lebensphase abverlangt werden, in der die Kinder klein sind, wodurch das biographische Dilemma erst entsteht.
 
 
Literatur:
Claudia Goldin: Career and Family. Women’s century-long journey toward equity. Princeton University Press 2021.