Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Geld, Kredit, Inflation und Spekulationsblasen – Eine Replik auf Patrick Bernaus "Geldschwemme"

Wie hängen Geldpolitik und Finanzmärkte zusammen? Patrick Bernau hat mit seinem Beitrag "Die große Geldschwemme" ein sehr wichtiges und aktuelles Thema angerissen. Gerald Braunberger würde den einen oder anderen Akzent anders setzen. Er sieht die Gefahren einer großen Geldmenge ähnlich wie Bernau, hält aber die unmittelbaren Gefahren für andere.

Von Gerald Braunberger

Die aktuelle Krise hat viele vorher als unantastbar erscheinende ökonomische Weisheiten in Frage gestellt. Das gilt nicht zuletzt für die Zusammenhänge zwischen der Geldpolitik und den Finanzmärkten. Mein geschätzter Kollege Patrick Bernau hat daher mit seinem Beitrag “Die große Geldschwemme” ein sehr wichtiges und aktuelles Thema angerissen. Ich stimme seinen Ausführungen im Grundsatz zu, würde aber doch gerne den einen oder anderen Akzent etwas anders setzen. Ich sehe die Gefahren einer großen Geldmenge ähnlich wie er, halte aber die unmittelbaren Gefahren für andere. Vorausgeschickt sei, dass ich auf diesem Gebiet derzeit keine endgültigen Antworten sehe: In Theorie wie in Praxis sieht es recht unübersichtlich aus.

Geldscheine - Foto: Getty Images / AFP1. Es ist nach wie vor – jedenfalls in den meisten Fällen – außerordentlich schwierig, eine Blase zu identifizieren, solange sie nicht geplatzt ist. Nicht jede starke Preissteigerung an einem Vermögensmarkt ist per se als Blase zu bezeichnen. Ich halte eine extreme theoretische Auffassung, wonach Blasen in der Praxis gar nicht vorkommen können, weil Finanzmärkte so gut wie immer (informations-)effizient und die Teilnehmer rational seien, in der Praxis zwar nicht für haltbar. Aber man darf auch nicht denken, dass sich jetzt andauernd Preise irrational bilden. Meistens werden sie durchaus durch fundamentale Faktoren getrieben, wie sich nachweisen lässt. Keynes hat in der “General Theory” eine nicht abwegige Position vertreten: „Wir sollten nicht den Schluss ziehen, dass alles von Wellen irrationaler Psychologie abhängt. Wir erinnern lediglich daran, dass wir als rationale Wesen so gut wie möglich zwischen verschiedenen Handlungsalternativen unterscheiden. Wir berechnen, so gut wir können, aber oft entsteht unser Handeln auch unter dem Eindruck von Launen oder Gefühlen.” Dass Geldpolitik gelegentliche Spekulationswellen beflügeln kann, ist unbestritten – aber richtig ist wohl auch, dass solche Wellen nicht nur zustande kommen, weil Geld vorhanden ist. Das Ganze ist und bleibt eine Baustelle mit der Möglichkeit ungeplanter Anbauten. (Hier eine sehr gute Zusammenfassung der Materie durch Markus Brunnermeier.)

2. Was gesamtwirtschaftliche Entwicklungen betrifft, zeigen Forschungen, dass starke Vermögenspreisänderungen vor allem dann gefährlich sein können, wenn sie durch ein starkes Kreditwachstum begleitet waren – weil sehr umfangreiche Wertberichtgungen in der anschießenden Krise die Solidität des Bankensystems gefährden können. So war die Preisblase am Aktienmarkt während der New Economy nach ihrem Platzen zwar ärgerlich für die Aktionäre und sie wirkte sich auch auf die Konjunktur aus, aber sie gefährdete nicht das Finanzsystem, weil sie nicht kreditinduziert war. Die Natur einer Blase ist auch wichtig für die Frage, wie die Geldpolitik antworten sollte.

3. Im Augenblick läuft eine Debatte, ob man monetäre Expansion eher am Wachstum von Geld-oder Kreditaggregaten untersuchen soll. Schularick/Taylor haben gezeigt, dass sich in der Nachkriegszeit Geld- und Kreditmengen voneinander entkoppelt haben und die Kreditmengen sehr viel stärker gewachsen sind. Das ist unter anderem das Ergebnis von Finanzinnovationen gewesen. Adrian/Shin haben entsprechende Untersuchungen aufgrund des Wachstums von Bankbilanzen betrieben – auch hier kommen die Warnsignale in erster Linie (aber nicht nur) aus der Aktivseite der Bilanz, also aus dem Kreditgeschäft. Das soll jetzt nicht heißen, dass Geldmengen irrelevant wären, aber Kreditmengen besitzen vielleicht eine zusätzliche Aussagekraft. (Es sei am Rande daran erinnert, dass die Bedeutung des Kredits von längst verblichenen Ökonomen selbstverständlich gesehen wurde – so von Mitgliedern der Österreichischen Schule ebenso wie von dem Keynesianer Hyman Minsky. Es waren zuerst die Monetaristen, die mit der einseitigen Betonung der Passivseite der Bankbilanz (Geld) die Bedeutung der Aktivseite der Bankbilanz (Kredit) verschütteten. Die danach folgende Generation verschüttete nach dem Kredit – die Arbeiten Bernankes zum “credit view” haben daran wenig geändert – dann auch noch das Geld. Heute muss das alles mühsam rekonstruiert und erneuert werden.)

4. Bei Geldmengen muss man unterscheiden zwischen der Geldbasis und breit definierten Geldmengen. In der aktuellen Krise spricht im Euroraum jedenfalls viel dafür, dass wir uns in einer Art Liquiditätsfalle befinden: Die Geldbasis wächst stark. M3 wächst seit geraumer Zeit nur mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 2 und 3 Prozent – kein Wunder, weil die Kredittätigkeit schwach ist.

5. Man darf aus der Veränderung relativer Preise nicht automatisch auf gefährliche Blasen schließen. Die deutschen Anleiherenditen sind sicherlich historisch sehr niedrig, aber ein Investor hat seit Jahresbeginn damit rund 6 Prozent Gewinn gemacht. Das scheint mir nicht völlig extrem. Außerdem sind die gestiegenen Preise von Bundesanleihen sehr wahrscheinlich das Ergebnis von Umschichtungen aus den Anleihemärkten der Peripherieländer, wo die Renditen entsprechend gestiegen sind. Das Preisniveau der Euro-Staatsanleihen zeigt insgesamt jedenfalls keine Anzeichen einer Blase – die meisten Kurse sind im Jahresverlauf gefallen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, inwieweit die sehr niedrigen Renditen amerikanischer Staatsanleihen fundamental begründbar sind, wenn man sich überlegt, dass die drei mit weitem Abstand größten Besitzer solcher Staatsanleihen – die Fed, China und Japan – diese Papiere möglicherweise nicht (nur) kaufen, weil sie sie als Bestand eines optimalen Managements von Vermögen betrachten (für die Fed gilt dies definitiv nicht).

6. Auch die gestiegenen Immobilienpreise in Deutschland sehe ich nicht als Vorboten einer gefährlichen Blase. Auch hier dürfte es sich überwiegend um Veränderungen relativer Preise durch Umschichtungen handeln: Nicht nur sind im Jahresverlauf die meisten Staatsanleihenkurse im Euroraum gefallen, sondern auch die meisten Aktienkurse. (Dass Kurse einzelner Unternehmen stark gestiegen sind, hat demgegenüber keine Bedeutung – die marktbreiten Indizes sind tief in den roten Zahlen.)

7. Immobilienpreisblasen sind in den meisten Fällen fraglos gefährlich – weil Immobilienprojekte meist zu einem hohen Teil kreditfinanziert sind. Nur zeigt sowohl das Kreditwachstum im Euroraum wie auch die Notwendigkeit eines Deleveraging der Banken an, dass hier auf absehbare Zeit nicht viel zu befürchten sei dürfte. Die jüngst gestiegenen Preise für Wohnimmobilien in deutschen Metropolen sind nur ein kleiner Teil des deutschen Immobilienmarktes, und überwiegend dürften sie nicht in hohem Maße kreditfinanziert sein (von Finanzierungen durch Steuersparmodelle einmal abgesehen.)

8. Viel wichtiger ist ein anderer Punkt, auf den unter anderem Hendrik Maekeler hier im Blog hingewiesen hat: Die laxe monetäre Politik in den großen Industrienationen könnte zu Inflationsdruck in den Schwellenländern beitragen. Shin hat anhand der Untersuchung internationaler Banken gezeigt, wie sich die expansive amerikanische Geldpolitik in die Welt verbreitet. Der starke Aufwertungsdruck, der viele Schwellenländerwährungen in den vergangenen Jahren erfasst hat, sowie die Entwicklung von Rohstoffpreisen deutet ebenfalls in diese Richtung. (Bei den Rohstoffpreisen muss man aufpassen: Auch hier spricht viel für eine hauptsächlich fundamental begründete Verteuerung, aber die Geldpolitik könnte zu einem “Überschießen” beigetragen haben. Aber so einfach lässt sich das bisher nicht nachweisen.)

9. Das führt zu einer interessanten Konsequenz für die Geldpolitik: Wenn der Export expansiver Geldpolitik in den Industrienationen durch höhere Rohstoff- und Energiepreise reimportiert wird, hängt das vor allem in Amerika geschätzte Konzept der Kerninflation (das Effekte aus Rohstoff- und Energiepreisänderungen herausrechnet, weil das angeblich Daten seien, auf die nationale Geldpolitik keinen Einfluss hat) in der Luft. Zumindest früher kannten Ökonomen noch das Konzept importierter Inflation.

10. Dass in den Industrienationen der Zusammenhang zwischen Geldmengen und Güterpreisinflation in den vergangenen Jahrzehnten sehr instabil geworden ist, lässt sich nicht bestreiten. Deshalb ist der simple Monetarismus Friedmanscher Prägung ja außer Mode gekommen. Im Zusammenhang mit Vermögenspreisinflationen lässt sich ein Zusammenhang mit monetären Größen (Kredit oder Geld) aber nicht bestreiten. Es gibt heute nach meiner Kenntnis keine Modelle, die dies zusammenführen. Vorläufig scheint mir eine Strategie hilfreich, wie sie etwa Shin und Wieland vertreten: Was die Güterpreisinflation betrifft, ist das Inflation Targeting als Grundlage gar nicht so schlecht. Aber man sollte es dabei nicht belassen. Gleichzeitig sollte man aber die Entwicklung monetärer Aggregate verfolgen und dann wachsam sein, wenn sie sehr schnell zu wachsen beginnen, weil dies den Anfang einer Vermögenspreisinflation (oder auch einer Verbraucherpreisinflation oder beides) anzeigen kann. Im Ergebnis landet man dann bei der Feststellung, dass die von Ökonomen früher sehr gescholtene Zwei-Säulen-Strategie der EZB möglicherweise das einzige brauchbare geldpolitische Grundkonzept ist, das heute vorliegt. (Ob die EZB dieses Konzept in der Praxis immer sinnvoll angewendet hat, ist eine andere Frage.)

 

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