Die Börsenkurse schlagen immer heftiger aus. Aber die Ausschläge geschehen vor allem kurzfristig – wer die Börse länger betrachtet, sieht keine größeren Schwankungen.
Von Patrick Bernau
Als ich zum letzten Mal eine halbfertigen These hier im Blog zur Diskussion gestellt habe, habe ich großen Spaß gehabt und viel gelernt. Deshalb kommt heute eine neue halbfertige These von mir:
Kann es sein, dass Spekulanten die Märkte eher stabilisieren als destabilisieren?
Ich meine damit auch die Hochfrequenz-Trader, also die Computer, die in Millisekunden automatisch Aktien kaufen und verkaufen.
Der Ausgangspunkt ist die Beobachtung, die Thomas Strobl bei unseren Kollegen vom Feuilleton der F.A.Z. machte: Die täglichen Ausschläge an den Börsen wachsen. Im Börsendeutsch: Die Volatilität steigt. Viele Leute glauben, das läge an den Hochfrequenz-Händlern, die so viele Aktien kaufen und verkaufen. Dahinter steckt ein alter, beliebter Schluss: Wo viele Leute handeln, müssen die Ausschläge größer werden.
Das ist ein beliebter Schluss, zumal häufig gerade dann viel Handel passiert, wenn die Ausschläge groß sind. Dabei heißt das an sich noch gar nichts, denn an der Börse werden viele Leute gerade dann aktiv, wenn es neue Nachrichten gibt – der eigentliche Grund der Kursausschläge ist dann nicht die große Aktivität, sondern die Nachricht. Welchen Einfluss der Handel hat, ist trotzdem noch unklar.
(Ich habe die prozentualen Ausschläge genommen. Die sind das bessere Maß. Warum sie das sind, erkläre ich in einem Extra-Artikel.)
Ich habe noch eine andere These darüber, wo die Ausschläge herkommen. Die ist recht simpel: In allen Bereichen wird das Leben schneller. Dank Internet & Co. fließen Nachrichten schneller um die Welt, Menschen auf unterschiedlichen Erdteilen kommunizieren leichter miteinander, die Forschung beschleunigt sich. Warum sollten da die Börsenkurse nicht auch innerhalb eines Tages so ausschlagen wie früher innerhalb von dreien?
Ich glaube inzwischen, dass das die bessere Erklärung ist. Denn ich habe mir angesehen, wie sich die längerfristigen Kursausschläge entwickelt haben. Also nicht nur die täglichen Schwankungen, sondern auch die monatlichen und die jährlichen.
Wenn die Hochfrequenz-Händler an den Ausschlägen schuld sind, müsste die Börse in den längeren Abständen noch zittriger werden als in den kurzen. Es ist nämlich weitgehend unstrittig, dass ein großes Handelsvolumen die kurzfristigen Ausschläge eher senkt (den Mechanismus dahinter erkläre ich lieber extra). Die Angst vor Hochfrequenz-Händlern kommt ja daher, dass die Computer verrückt spielen könnten: Das sehen wir sowieso. Oder die vielen Trendfolger könnten eher die großen, langfristigen Trends verstärken. Das müsste man also in den längerfristigen Schwankungen sehen.
Wenn aber der schnelle Nachrichtenfluss an den Ausschlägen schuld ist, müssten die Kurse auf längere Sicht im gleichen Maß wackeliger werden wie auf kurze Sicht. Dass sich die Welt beschleunigt, gilt kurz- wie langfristig.
Also habe ich den F.A.Z.-Index ausgewertet, denn der geht zurück bis 1961. Betrachtet habe ich die tatsächlichen Schwankungen, nicht etwa die erwarteten, die in klassischen Volatilitäts-Indizes abgebildet werden. Hier sind also die monatlichen Schwankungen seit 1961. Die rote Linie, zu der die rechte Achse gehört, zeigt den Durchschnitt der jeweils letzten 20 Monate.
Und das sind die Schwankungen im jeweils vergangenen Jahr, gemessen jeden Monat seit 1962 (als Linie auf der rechten Achse der Durchschnitt der jeweils letzten 20 Monate):
Diese beiden Grafiken sehen für mich so aus, als seien die längerfristigen Schwankungen vor allem in den vergangenen Jahren nicht stärker gewachsen als die kurzfristigen Ausschläge. Für Aktionäre ist das erst mal beruhigend. Ihr Vermögen ist in Aktien heute nicht viel unsicherer als früher.
Die andere Folgerung ist: Der viele Handel steigert die längerfristige Volatilität zumindest nicht stärker als die kurzfristige – dass die Kurse so ausschlagen, liegt also eher am Nachrichtenfluss. Mutmaßlich wäre die Volatilität noch viel höher, wenn es nicht so viele Händler an der Börse gäbe.
Oder es gibt noch einen ganz anderen Faktor, den ich übersehen habe. Was meinen die geneigten Leser?
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