Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Kursprognosen mit Facebook

Sind die Mitglieder des Netzwerks glücklich, steigen die Aktienkurse und die Börsenumsätze.

Von Gerald Braunberger

Facebook ist das bedeutendste soziale Netzwerk auf diesem Planeten, dessen Nutzer in ihren täglichen Einträgen viel über sich selbst und die Stimmung verraten, in der sie sich gerade befinden. Die Stimmungen der Menschen beeinflussen ihr Verhalten in vielerlei Lebenslagen und damit vermutlich auch ihr Verhalten als Kapitalanleger. Ist es daher möglich, aus der Stimmungslage der Facebook-Nutzer auf die Stimmung am Aktienmarkt und damit auf die Kursbildung zu schließen?

Ja, Illustration: Alfons Holtgreve antwortet Yigitcan Karabulut, ein Doktorand am House of Finance der Goethe-Universität in Frankfurt, in einem sehr lesenswerten Arbeitspapier, das bereits auf mehreren Konferenzen vorgestellt wurde. Ob dieser Effekt allerdings so regelmäßig und so groß ist, dass ihn Privatanleger mit Gewinn ausnutzen können, ist eine andere Frage. Vor allzu großen Hoffnungen ist zu warnen.

Die Beeinflussung des Anlageverhaltens der Menschen durch Stimmungen steht zwar im Widerspruch zum bisherigen Hauptstrom in der Finanztheorie, lässt sich aber nicht grundsätzlich abstreiten. Im reinen Modell der Theorie handeln stets rationale und nie emotionale, sozusagen roboterähnliche Menschen an mehr oder weniger perfekten Märkten. Das ist nicht unbedingt ein Abbild der realen Welt. Zumindest kurzfristig wird das Anlageverhalten – so wie das wirtschaftliche Verhalten der Menschen überhaupt – auch immer wieder von Stimmungen beeinflusst.

Daher bemüht sich die empirische Wirtschafts- und Finanzforschung seit Jahrzehnten um den Bau aussagekräftiger Stimmungsindikatoren. Der bekannteste deutsche Stimmungsindikator in der Konjunkturforschung ist der bekannte Ifo-Geschäftsklimaindex, dem Befragungen von Unternehmern und Managern zugrunde liegen. Innerhalb der Kapitalmarktforschung werden häufig Befragungen von Profis (Analysten und Vermögensverwalter) ebenso wie von Privatanlegern veröffentlicht.

Die bisherige Bildung von Stimmungsindikatoren in Wirtschaft und Finanzen unterliegt zwei Beschränkungen: Die Zahl der Befragten ist üblicherweise nicht größer als vierstellig, weil eine Befragung sonst zu unpraktisch und zu teuer würde. Außerdem vergeht zwischen der Erhebung der Daten und ihrer Veröffentlichung Zeit. Damit erscheint die Nutzung von Daten aus sozialen Netzwerken reizvoll, weil die Teilnehmerzahl groß ist und Daten schnell veröffentlicht werden können.

Dies gilt unter anderem für den Glücksindex von Facebook, den sogenannten Gross National Happiness Index (GNH), der täglich auf der Basis der von rund 150 Millionen Nutzern in den Vereinigten Staaten von Amerika gewonnenen Daten erhoben wird. Für Statistiker ähnelt die Datenbasis einem Traum: Sie umfasst in etwa die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung, Frauen und Männer, Alte und Junge, Reiche und Arme.

Facebook ist nicht nur in Amerika ein Massenphänomen. Der durchschnittliche Nutzer besitzt ein Netzwerk von 130 Freunden und verweilt eine gute halbe Stunde am Tag auf den Internetseiten. Auf der Basis einer Zahl von rund 750 Millionen Nutzern in der Welt verbringen rund um den Globus die Menschen in jedem Monat 700 Milliarden Minuten auf Facebook.

Um seinen Glücksindex zu berechnen, betreibt das Unternehmen eine Sprachanalyse seiner Nutzer, für die aus einzelnen Äußerungen positive oder negative Stimmungen abgeleitet werden. Ein Satz wie “Heute war ein guter Tag” gilt als positive Stimmungsäußerung, weil das Wort “gut” auf Zuversicht schließen lässt und alle anderen Wörter (“Heute”, “war”, “ein”, “Tag”) in Bezug auf Stimmungen neutral sind.

Karabulut hat sich nun den Glücksindex und Daten zum amerikanischen Aktienmarkt seit Frühjahr 2008 angesehen und mit modernen empirischen Verfahren auf Zusammenhänge untersucht. Dabei stellte er eine kurzfristige statistisch signifikante Verbindung zwischen dem Glücksindex von Facebook und den amerikanischen Aktienkursen fest. Dies gilt vor allem für die Aktien kleinerer Unternehmen, bei denen der Anteil von Privatanlegern oft höher ist als bei großen Unternehmen. Insofern bestätigt Karabulut Erkenntnisse der vergangenen 20 Jahre, wonach Aktienkurse zumindest kurzfristig auf Stimmungen unter Anlegern reagieren. Es gibt auch kurzfristige Zusammenhänge zwischen dem Glücksindex und dem Handelsvolumen am amerikanischen Aktienmarkt. Diese Kurzfristigkeit und die Kosten, die Privatanleger für Börsengeschäfte zahlen müssen, erschweren allerdings die Nutzung solcher empirischer Zusammenhänge für den normalen Anleger.

Karabuluts Studie ist Teil eines Trends in der Wissenschaft. Der amerikanische Ökonomieprofessor hat ähnliche Untersuchungen für das soziale Netzwerk Twitter und den amerikanischen Aktienmarkt unternommen und ebenfalls Korrelationen festgestellt. Nutzbringend können solche Erkenntnisse vielleicht weniger für Privatanleger sein als für Konjunkturforscher zum Beispiel in Zentralbanken.

Großanleger riechen aber schon Lunte: So will im April in Großbritannien ein neuer Hedgefonds namens Derwent Capital an den Markt gehen und mit der Nutzung von Twitter-Daten jährliche Renditen zwischen 15 und 20 Prozent erzielen. Das Fondsvolumen beträgt zu Beginn 25 Millionen Pfund. Vielleicht wird es ja bald einen Fonds geben, der die Daten von Facebook nutzen möchte.

Interessant sind zudem Erkenntnisse, die das Unternehmen Google bei der Untersuchung der von seinen Kunden hinterlassenen Daten gewonnen hat. Google hat vor Jahren mit Hal Varian einen bekannten Mikroökonomen und Lehrbuchverfasser als Chefökonomen gewonnen. So zeigt sich, dass in den Vereinigten Staaten eine wachsende Zahl von Suchanfragen nach Autos im Folgemonat häufig zu einer wachsenden Zahl von Bestellungen neuer Autos führt. Auffallend erscheint auch, dass überdurchschnittlich viele Menschen kurz nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bei Google nach Pornographie-Seiten Ausschau halten – wobei die Konsequenzen, die derartige Erkenntnisse für Konjunktur- und Aktienmarktanalysen besitzen, vielleicht nicht auf Anhieb offensichtlich sind.

Yigitican Karabulut: Can Facebook Predict Stock Market Activity? Arbeitspapier. Frankfurt 2012. Im Internet: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1919008

 

Der Beitrag ist am 18. März. 2012 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.

 

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