Es gibt keine Regel für einen Austritt aus der Europäischen Währungsunion. Das sorgt für Instabilität.
Von Patrick Welter
Auf immer und ewig! Mit diesem Versprechen traten die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion 1999 in den Bund des gemeinsamen Geldes ein. Der Maastricht-Vertrag, der dem Euroraum zugrunde liegt, sieht ausdrücklich keine Möglichkeit vor, dass ein Euro-Staat wieder austritt. Wie ein unauflösliches Eheversprechen sollte der Verzicht auf eine Auflösungsklausel damals die Ernsthaftigkeit des Willens unterstreichen und den Beginn einer glücklichen Beziehung anzeigen. Heute freilich wirkt das Prinzip des “Einmal Euro, immer Euro” vielen Bürgern in Deutschland als Drohung.
Die Regieru ngen im Euroraum halten unverdrossen an der Unauflöslichkeit der Beziehung fest. In den drei Jahren der Euro-Schuldenkrise sind die Momente selten, in denen gedroht wurde, Griechenland einfach aus dem Euroraum herauszuwerfen. Die Bundeskanzlerin sprach davon einmal im Frühjahr 2010 und dann nie mehr. Die Angst, mit dem Abgang Griechenlands könne es gleich die ganze Währungsunion zerreißen, ist groß, nicht nur in Europa.
Unter dem Druck auch der Vereinigten Staaten und großer Schwellenländer haben die Europäer sich verpflichtet, alles zu unternehmen, damit der Euroraum als Ganzes erhalten bleibe. Zyniker erinnert das Versprechen an die Worte des früheren DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht. “Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten”, sagte Ulbricht im Mai 1961. Zwei Monate später war es dann so weit, und die DDR riegelte West-Berlin ab.
Die politische Vorgabe, Griechenland und andere Krisenstaaten um jeden Preis im Euroraum zu halten, spiegelt sich in vielen wissenschaftlichen Vorschlägen zur Lösung der Euro-Schuldenkrise wider. Den Vorschlägen zu Euroanleihen oder gemeinsamen Schuldenfonds, zur Bankenunion oder zur Fiskalunion ist gemein, dass sie die Krise durch eine weitere Vergemeinschaftung von Politikbereichen im Euroraum lösen wollen. Phantasielos, aber mit viel idealistischem Wunschdenken besteht der Kern dieser zentralistischen Ideen darin, vergleichend Maß zu nehmen am Dollarraum der Vereinigten Staaten und die Europäische Währungsunion dem großen Vorbild nachzubauen.
Klüger scheint es, die Währungsunion schlicht als das zu nehmen, was sie – im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten – ist: ein Bund eigenständiger Nationalstaaten, die sich unter einem gemeinsamen Währungsdach zusammengefunden haben. Die Ökonomen Christian Fahrholz (Jena) und Cezary Wójcik (Warschau) wählen in einer spieltheoretischen Analyse diesen nüchternen Ansatz. Die Stabilität des Euro und des Euroraums ist dabei ein öffentliches Gut, zu dem im Idealfall alle Euro-Staaten mit einer soliden Finanzpolitik und einem gesunden Bankensektor beitragen. Weil die Stabilität der Währungsunion jedem Mitgliedstaat nutzt, hat jede Regierung im Euroraum ein Interesse, dazu auch finanziell einen Beitrag zu leisten – natürlich nur in einem gewissen Ausmaß.
Diese Konstruktion verlockt jeden Mitgliedstaat, die solide Finanzpolitik hintenanzustellen. Mit der Drohung der eigenen Zahlungsunfähigkeit kann jede Regierung im Notfall versuchen, die Zahlungsbereitschaft der anderen auszureizen, man kann auch sagen, die anderen Euro-Staaten zu erpressen. Dabei geht es darum, Kosten einer manchmal doch notwendigen Haushaltssanierung so weit wie möglich auf andere Eurostaaten abzuschieben. Das ist der Fall Griechenland und Portugal und Irland und Spanien und…
Ob und in welchem Ausmaß die Erpressung gelingt, hängt zum einen davon ab, welchen Nutzen Regierungen und ihre Wähler sich von der Stabilität der Währungsunion versprechen. In Deutschland sind das unter anderem die Vorteile, die der Euro den Exporteuren und den im Export tätigen Arbeitern bietet. In dem Maße, in dem diese Vorteile von der Regierung durch Steuern abgeschöpft werden können, bestimmen sie zumindest theoretisch die Zahlungsbereitschaft der Kanzlerin. Das Drohpotential von stabilitätsorientierten Ländern wie Deutschland besteht ihrerseits darin, die Krisenländer nicht herauszupauken und sie in den Default zu schicken. Es ist begrenzt dadurch, dass solch ein Default weitere Euro-Staaten in den Abgrund reißen könnte. Die Kosten eines Defaults, die sich in dauerhaften Risikoaufschlägen in den Zinsen niederschlagen können, begrenzen andererseits die Verhandlungsmacht der Krisenstaaten. Diese Kosten-Nutzen-Kalküle gelten unabhängig davon, ob ein Krisenland aus dem Euroraum herausgeworfen werden kann oder nicht. Mit der Option eines Rauswurfs oder des Austritts aber verändert sich das Verhältnis von Kosten zu Nutzen. Für die Krisenstaaten steigen die Kosten, sollten die Versuche der Erpressung scheitern. Für die stabilitätsorientierten Eurostaaten erhöht sich das Drohpotential.
Mit dem Verzicht auf die Option des Austritts aus dem Euroraum vergeben die Regierungen so eine Chance, unwillige Regierungen zu einer solideren Finanzpolitik zu zwingen. Gerade deshalb sehen die beiden Autoren ihre Forderung nach klaren Austrittsregeln nicht als willkommenes Argument für die Gegner einer großen Euro-Union, sondern als Beitrag zu einer stabileren Währungsunion.
Außen vor bleibt in der Theorie, dass ein Abschied etwa von Euro-Griechenland nicht absehbare Folgen für den Zusammenhalt der Rest-Union nach sich ziehen könnte. Auf der einen Seite dürfte ein Ausschluss Griechenlands die Reformanstrengungen in Spanien oder Italien zwar beflügeln – stärker wohl als jede noch so scharfe Vorgabe aus Brüssel. Auf der anderen Seite steht die Gefahr, dass die Währungsunion insgesamt zerbräche und die Stabilitätsfreunde ihrer Exportvorteile beraubt würden. In diesem Fall kämen auf Deutschland auch gewaltige andere Kosten zu. Die Forderungen der Bundesbank im System der Europäischen Zentralbanken belaufen sich auf rund 600 Milliarden Euro. Sie wären bei einem Ende des Euro wohl hinfällig. Für solch ein Schreckensszenario nach einem Austritt Griechenlands gilt die Weisheit der verstorbenen kölschen Sängerin Trude Herr: “Niemals geht man so ganz.”
Der Beitrag erschien als Sonntagsökonom in der F.A.S. vom 1. Juli. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.
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