Eine aktuelle Untersuchung für Süditalien zeigt: Organisiertes Verbrechen richtet einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden an und verhärtet die regionalen Unterschiede innerhalb Italiens.
Von Gerald Braunberger
Der Süden Italiens ist sehr viel ärmer als der Norden, auch wenn der Eindruck falsch wäre, es habe niemals Phasen ökonomischer Konvergenz zwischen den unterschiedlichen Regionen gegeben. Wie eine ausführliche und sehr lehrreiche Studie aus der Banca d’Italia zeigt, ließen sich seit der Republikgründung, also seit rund 150 Jahren, durchaus auch Annäherungsprozesse konstatieren. Seit einigen Jahrzehnten haben sich die Unterschiede allerdings verfestigt.
Ein Grund hierfür ist in der Ausbreitung des organisierten Verbrechens in Süditalien seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu suchen, deren wirtschaftliche Folgen eine andere aktuelle Untersuchung aus der Banca d’Italia analysiert. Das organisierte Verbrechen hatte sich seit dem 19. Jahrhundert in drei südlichen Regionen etabliert: als Mafia in Sizilien, als Camorra in Kampanien (die Region um Neapel) und als ‘Ndrangheta in Kalabrien (die Region an der “Stiefelspitze”). Der Südosten Italiens blieb von dieser Landplage hingegen lange verschont und entwickelte sich wirtschaftlich besser als Sizilien, Kampanien und Kalabrien.
Dies änderte sich in den siebziger Jahre als Folge einer neuen Route im für das organisierte Verbrechen sehr lukrativen Zigarettenschmuggel von Afrika nach Europa. Lange Zeit wurden die Zigaretten auf der sogenannten “Thyrrenischen Route” von Tanger über Sizilien und Neapel nach Marseille transportiert. Nach der Schließung des Freihafens im nordafrikanischen Tanger verlagerte sich der Transport weiter in den Osten auf die sogenannte “Adriatische Route” über Zypern, die Türkei, Albanien und Jugoslawien. Um diese Route zu kontrollieren, mussten die italienischen Kriminellen ihren Einfluss auf den östlichen Teil Süditaliens ausdehen: auf die Regionen Apulien (an der Küste gelegen) und Basilicata (zwischen Apulien, Kalabrien und Kampanien gelegen). Dies gelang in den siebziger Jahren mit erheblichen Folgen für Apulien und Basilicata:
– Die Zahl der Tötungsdelikte vervielfachte sich.
– Über einen Zeitraum von 30 Jahren ergibt eine Simulation eine wirtschaftliche Einbuße von 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf.
– BIP-Angaben können angesichts einer bedeutenden Schattenwirtschaft trügerisch sein. Allerdings bestätigen Analysen des Energieverbrauchs (der die offizielle Wirtschaft und die Schattenwirtschaft gemeinsam abbildet) den erheblichen wirtschaftlichen Schaden der organisierten Kriminalität.
– Besonders stark leiden die privaten Investitionen, an deren Stelle mehr staatliche Investitionen treten.
– Das ist schlecht für die Gesamtwirtschaft, weil die Rendite staatlicher Investitionen unter der Rendite privater Investitionen liegt. Dagegen ist diese Entwicklung gut für die organisierte Kriminalität, die einen erheblichen Teil der öffentlichen Gelder in die eigenen Taschen lenkt.
– Die Korruption zwischen organisierter Kriminalität und Lokalpolitik nimmt zu, was zum Phänomen der “eroberten Demokratie” (captured democracy) führt, wie der in diesem Blog mehrfach erwähnte Ökonom Daron Acemoglu diese Ausprägung eines ineffizienten Staates nennt.