Sparprogramme schaden der Konjunktur viel stärker als gedacht, hat der Internationale Währungsfonds ausgerechnet. Vor einigen Wochen haben Chefökonom Olivier Blanchard und Ökonom Daniel Leigh im Weltwirtschaftsausblick kurz die Ergebnisse einer Rechnung vorgestellt, der zufolge die Wirtschaftsleistung durch die Sparprogramme in der Eurokrise doppelt bis dreimal so stark beeinträchtigt worden ist wie vorhergesagt. Damit hat sich der IWF auch selbst korrigiert. Jeder Euro an Haushaltskonsolidierung hätte nicht – wie meist ungefähr angenommen – 50 Cent vom BIP gekostet, sondern eher 90 Cent bis 1,70 Euro (“Multiplikator” nennen Ökonomen diesen Wert).
Inzwischen haben die beiden im ersten IWF-Manuskript des neuen Jahres ihre Rechnungen ausführlicher vorgestellt und bestätigt. Bei der Financial Times hat der Kollege Alan Beattie den Schluss gezogen, dass der IWF trotz der neuen Rechnungen seine Sparpolitik nicht grundsätzlich ändern wird – er bezeichnet das als “Das Lockern eins fiskalischen Dogmas im Stil des Vatikans [des zweiten Vatikanischen Konzils]”. Aber hätte er denn einen Grund dazu?
Dazu müssen wir uns kurz vergegenwärtigen, was die Rechnungen genau zeigen:
a) Die Erwartung von Sparprogrammen hat kurzfristig negative Auswirkungen auf die Konjunktur, und zwar stärker als angenommen. Wer einen Staatshaushalt plant, muss mit weniger Steuereinnahmen rechnen, als er das 2008 oder 2009 getan hätte. (Die Prognosen für 2011 und 2012 waren schon erheblich besser; die Prognostiker hatten ihre Modelle offenbar schon angepasst.) Es geht übrigens vor allem um die Erwartung, auch wenn Blanchard und Leigh einen kurzen Robustheits-Test auf die tatsächliche Verwirklichung von Sparprogrammen machen.
b) In einer schweren Rezession ist die Staatstätigkeit wichtiger als im Aufschwung, mutmaßlich weil die Wirtschaft von selbst nicht so ausgelastet ist. (Keine Überraschung. Keynes hatte immer zuvorderst an Zeiten von Krisen und Rezession gedacht.)
c) Wenn Sparprogramme erwartet werden, leidet die Nachfrage. (Keine Überraschung.) Die Nachfrage nach Investitionsgütern wird stärker getroffen als der Konsum, auch weil sie von vornherein stärker schwankt.
Das große Problem ist dann der Basiseffekt. Wenn mit dem Sparpaket die Wirtschaftsleistung zu schnell schrumpft, wächst die Schuldenquote – möglicherweise schneller, als man spart. Zum Beispiel in Griechenland, dem Land mit der größten Herausforderung beim Sparen, weil Defizit und Schuldenstand sehr hoch waren.
Das Primärdefizit Griechenlands sank von 10,4 Prozent des BIP im Jahr 2009 auf 4,6 Prozent im Jahr 2010. Im folgenden Rezessionsjahr vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2010 stieg Griechenlands Schuldenquote von 145 Prozent auf 165 Prozent, nur 10,5 Prozentpunkte davon stammten aus dem Gesamthaushaltsdefizit. Daraus lässt sich überschlagen: Zwar hat Griechenland sechs Prozentpunkte an Haushaltsdefizit eingespart, doch die Schuldenquote ist allein wegen des Basiseffekts um zehn Prozentpunkte gewachsen, sechs bis zehn Prozentpunkte des Basiseffekts könnten durch das Sparprogramm entstanden sein – da lohnt sich das Sparen kaum noch.
Es hilft übrigens kaum, langsamer zu sparen. Kurz überschlagen, stellt sich heraus: Wie groß das Sparprogramm ist, ist kaum relevant. Das Problem wird umso größer, je höher der Multiplikator ist (also je tiefer ein Land in der Rezession steckt) – und je höher der Schuldenstand zu Beginn ist. Wäre Griechenland mit einer Schuldenquote von 50 Prozent des BIP in die selbe Krise gekommen, hätte ein Sparpaket gleicher Größe (bei neuem, hohem Multiplikator) den Schuldenstand gesenkt. Aber viel mehr hätte es nicht sein dürfen, schon 60 Prozent wären zu viel gewesen.
Angesichts dessen liegt die Forderung nahe, eben gar nicht zu sparen. Aber das kann keine Lösung sein, zumal in der Eurokrise. Das ist ja keine einfache Konjunkturkrise, sondern sie hat als einen wesentlichen Grund eben die Zweifel an der Bonität von Ländern wegen hoher Schulden. Wie soll ein Land auf Dauer Kredit bekommen, das sagt: “Wir müssen uns Geld leihen, weil wir uns das Sparen nicht mehr leisten können”?
Am Ende bleibt ein Dilemma. Ohne Druck sparen viele Regierungen nicht – siehe Italien -, unter Druck aber funktioniert es vielleicht nicht mehr.
Die Folgerung ist damit vor allem: Hohe Schuldenstände sind noch gefährlicher als gedacht. Staaten müssen sparen, solange sie können.
ps: Das heißt aus meiner Sicht nicht, dass man in weniger schweren Rezessionen nicht sparen sollte. Bei kleinerem Multiplikator lohnen sich Sparprogramme auch bei höheren Schuldenquoten. Aber ex-ante weiß man nicht, wie schlimm die nächste Rezession wird.
Foto: AP
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