Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Ökonomen verstehen zu wenig von Politik (und unterschätzen Verteilungsthemen)

Ökonomen denken oft nicht langfristig genug. Liberalisierungen können zwar kurzfristig vorteilhaft sein. Doch zwei Ökonomen machen auf eine Folge aufmerksam: Wenn die Einkommensverteilung zu ungleich wird, können die Reichen den Staat unter ihre Kontrolle bekommen. Dann droht nicht nur politischer, sondern auch schwerer ökonomischer Schaden.

© DPAGewerkschaften zu schwächen, kann ungünstige Folgen haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Daron Acemoglu (Massachusetts Institute of Technology) und James Robinson (Harvard) beschäftigen sich seit Jahren mit den Wechselwirkungen politischer und wirtschaftlicher Institutionen und den sich daraus ableitenden Bestimmungsgründen langfristigen Wirtschaftswachstums. Ihre bisherigen Ergebnisse haben sie populärwissenschaftlich in dem Bestseller “Why Nations Fail” zusammengefasst. Acemoglu und Robinson sind führende Vertreter einer “im Entstehen begriffenen modernen Theorie der Wirtschaftsordnung” (Carl Christian von Weizsäcker), die weit über die traditionelle deutsche Ordnungsökonomik hinaus greift.

Der neueste Beitrag von Daron Acemoglu und James Robinson in Thesen:

1. Traditionelle Ökonomen sind darauf trainiert, in der Politikberatung auf Marktineffizienzen wie Externalitäten oder Monopole/Oligopole hinzuweisen und deren Beseitigung anzumahnen, z.B. durch Steueränderungen oder einen anderen Regulierungsrahmen.

2. Das ist alles schön und gut und oft auch richtig, aber was die Ökonomen dabei unterschätzen, sind die eventuellen Rückwirkungen der Politikänderungen auf die Ausrichtung der Politik selbst: “The main message is that sound economic policy should be based on a careful analysis of political economy and should factor in its influence on future political equilibria.”

3. Die Kausalkette geht wie folgt:

– Im ersten Schritt sorgt die Politik für eine marktwirtschaftliche Reform. Diese besitzt aber auch Verteilungswirkungen, die von vielen Ökonomen nicht ausreichend berücksichtigt werden.

– Als Ergebnis der Verteilungswirkungen kommt es zu einer stärkeren Konzentration von Einkommen und Vermögen.

– Die Bevorzugten dieser Verteilungswirkungen erhalten Einfluss auf die Politik und beeinflussen sie in ihrem Sinne. In Amerika spricht man von “crony capitalism”.

– Wenn die Politik vorwiegend die Interessen Weniger vertritt, hat dies nachteilige Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt. Statt dessen müssen möglichst viele Menschen am politischen und wirtschaftlichen Leben teilhaben können. Anders ausgedrückt: Es gibt eine Kausalkette, die von schlechten politischen Institutionen über schlechte wirtschaftliche Institutionen zu geringerer wirtschaftlicher Leistungskraft führt. Das ist die Kernthese von “Why Nations Fail”, des im vergangenen Jahr erschienenen Buches von Acemoglu/Robinson, dessen Thematik wir in FAZIT in mehreren Beiträgen – zum Beispiel hier und hier und hier – behandelt hatten. (Eine deutsche Übersetzung erscheint in rund zwei Wochen im Fischer-Verlag.)

4. Ein paar Beispiele aus dem Arsenal von Acemoglu/Robinson:

– In manchen westlichen Ländern besaßen Gewerkschaften früher einen starken Einfluss auf die Lohnfindung, den sie auch zu, gesamtwirtschaftlich betrachtet, zu hohen Lohnabschlüssen missbraucht haben. Die Reaktion von Ökonomen war, die Zerschlagung des dominierenden Gewerkschaftseinflusses auf die Lohnfindung  zu fordern – was im Sinne der durch falsche Lohnpolitik angerichteten Schäden auch gut begründbar war. Allerdings ist mit der damit verbundenen generellen Schwächung von Gewerkschaften auch eine Machtverschiebung innerhalb von Gesellschaft und Politik einher gegangen, die sich unter anderem in einer stärkeren Konzentration von Einkommen und Vermögen zeigt. (Dieser Prozess vor allem in den angelsächsischen Ländern sehr ausgeprägt, weniger in Kontinentaleuropa, wie die Forschungen von Piketty/Saez belegen, über die wir hier in FAZIT berichtet hatten – mit Grafiken für die Vereinigten Staaten und Deutschland.)

– Als Folge der Weltwirtschaftskrise wurde in den Vereinigten Staaten in den dreißiger Jahren ein streng reguliertes Trennbankensystem etabliert, das auch noch in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg Bestand hatte. Zumindest manche Regulierungen waren aus ökonomischer Sicht absurd und schädlich. So ist es gut verständlich, dass aus marktwirtschaftlicher Sicht Deregulierungen gefordert wurden. Aber wohin führte dieser Prozess? Er führte zu einer sehr starken Ausweitung des Finanzsystems und einer erheblichen Zunahme des politischen Einflusses der Wall Street auf Washington: “While in 1990 the financial sector donated $61 million dollars to political campaigns, by 2006 this was $260 million (the industry which was the next largest donor, health care, gave only $100 million in 2006). Of course, rising wealth and campaign contributions were not the only source of rising political power for the financial industry. There was a revolving door between Wall Street and executive appointments in Washington as well.” Das Ergebnis ist nicht eine einfache und bessere Regulierung der Finanzbranche zum Beispiel durch deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen (siehe unsere Rezension des neuen Buches von Admati/Hellwig), sondern ein Flickenteppich insgesamt möglicherweise sogar eher schädlicher als nützlicher Kleinregulierungen, die jede für sich mühsam den Banken und ihren Lobbyisten abgetrotzt werden müssen.

– Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden in Russland zahlreiche Unternehmen privatisiert. Das war grundsätzlich natürlich eine richtige Politik. Aber es wurde möglichst schnell privatisiert ohne Rücksicht auf die Folgen. Durch die Art und Weise, wie privatisiert wurde, hat man dem Oligarchen-System in Russland Vorschub geleistet, dessen Einfluss auf die russische Politik bis heute erheblich und insgesamt wohl kaum förderlich ist.

 

Was Acemoglu/Robinson hier beschreiben, wird von ihnen als Forschungsfeld verstanden, auf dem viel mehr gearbeitet werde sollte:

“In this essay, we argue not only that economic advice will ignore politics at its peril but also that there are systematic forces that sometimes turn good economics into bad politics, with the latter unfortunately often trumping the economic good. Of course, we are not claiming that economic advice should shy away from identifying market failures and creative solutions to them, nor are we suggesting a blanket bias away from good economic policy. Rather, our argument is that economic analysis needs to identify, theoretically and empirically, conditions under which politics and economics run into conflict, and then evaluate policy proposals taking this conflict and the potential backlashes it creates into account.”