“Central banks are often accused of being obsessed with inflation. This is untrue. If they are obsessed with anything, it is with fiscal policy.”
Mervyn King, scheidender Gouverneur der Bank of England
Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat sich in einem Vortrag auf einer deutsch-französischen Ökonomenkonferenz in Paris mit der Notwendigkeit einer Konsolidierung der Finanzpolitik befasst. Weidmanns Position, für eine langfristige und glaubwürdige Reduzierung der Staatsverschuldung einzutreten, ist ebensowenig neu wie seine Zweifel an Forderungen
mancher Politiker und Ökonomen, in Anbetracht der schwachen Wirtschaft im Euroraum mit der finanzpolitischen Konsolidierung zumindest vorübergehend deutlich nachzulassen.
Interessant ist hingegen die prominente Rolle, die in seinen Ausführungen die Fiskaltheorie des Preisniveaus (FTP) einnimmt, in der die Finanzpolitik die Geldpolitik dominiert (“Fiskalische Dominanz”). Wir haben in FAZIT die Fiskaltheorie des Preisniveaus mehrfach ausführlich behandelt, auch wenn sie bisher in Fachkreisen bei vielen Vertretern als zumindest ein wenig obskur gilt. Wenn sich ein prominenter Entscheidungsträger wie Weidmann in der Öffentlichkeit der FTP annimmt, ist aber damit zu rechnen, dass sie künftig häufiger diskutiert wird. Wir zeichnen daher ihre Grundgedanken noch einmal nach und verweisen ansonsten auf unsere früheren Beiträge: *)
Die FTP postuliert, dass eine hohe Staatsverschuldung Inflation hervorrufen kann, auch ohne dass die Zentralbank Staatsanleihen gegen Geldschöpfung ankauft.
Normalerweise werden Staatsschulden vollständig zurückgezahlt. In diesem Falle entspricht der Wert der Staatsschulden dem abdiskontierten Wert der künftigen Steuerzahlungen, mit denen die Staatsschulden getilgt werden. Nehmen wir nun einmal an, die Staatsschulden werden aus der Sicht der Menschen so hoch, dass ihnen eine künftige vollständige Tilgung aus Steuerzahlungen unwahrscheinlich vorkommt – sei es, dass eine Wirtschaftskrise die erwarteten Steuerzahlungen schmälert; sei es, die Menschen glauben, die Politik werde die notwendigen Steuererhöhungen nicht bewerkstelligen.
Soll ein Staatsbankrott ausgeschlossen bleiben, gibt es nur eine Möglichkeit, die Lücke zu schließen: Die Inflationsrate muss steigen. Weidmann drückt es so aus: “Technically, fiscal dominance refers to a regime where monetary policy ensures the solvency of the government. The traditional roles are reversed: monetary policy stabilises real government debt while inflation is determined by the needs of fiscal policy.” Oder in den Worten des amerikanischen Ökonomen Michael Woodford: “Fiscal dominance manifests itself through pressure on the central bank to use monetary policy to maintain the market value of government debt.”
Der Mechanismus, der zur Inflation führt, ist ein Vermögenseffekt: Da der Wert der Staatsschulden im Falle erwarteter unzureichender Steuereinnahmen größer ist als der Wert der abdiskontierten künftigen Steuereinnahmen, sorgt dieser positive Vermögenseffekt für eine steigende Nachfrage der Wirtschaftsteilnehmer, der die Inflation steigen lässt. Kommen nun Erwartungen weiter steigender Inflationsraten hinzu, bewirken diese über eine noch höhere Nachfrage weiter steigende Inflationsraten, weil die Zentralbank in ihrem Bemühen, den Realwert der Staatsschulden zu kontrollieren, nicht auch noch die Inflation kontrollieren kann. Weidmann zitiert die Schlussfolgerung der FTP: “A regime of fiscal dominance is characterised by higher inflation and probably also more volatile inflation. Monetary policy is no longer able to control the inflation rate, and therefore welfare losses will occur.”
Nun könnte man dieser Argumentation entgegen halten: “Das ist ja vielleicht alles gut und schön, aber was hat das mit unserer heutigen Welt zu tun? Die Inflationserwartungen im Euroraum sind außergewöhnlich niedrig **); eine solche Krise steht somit offenbar gar nicht auf der Tagesordnung.” Hier halten die Anhänger der FTP entgegen, dass sich der inflationsfördernde Nachfrageeffekt wegen der Vorausschau der Menschen schon viel früher als die tatsächlich drohende Überschuldung einstellen kann. Dann wird ein plötzliches Auftauchen von Inflation möglich – eine Art Überraschungsinflation. Bianchi/Melosi beschreiben in ihrem Papier, wie das Vertrauen in die Finanzpolitik und die Geldpolitik über viele Jahre still und und unbemerkt erodieren kann, bis sich der Vertrauensverlust dann innerhalb kurzer Zeit in hoher Inflation manifestiert.
Um solche unliebsamen Überraschungen zu vermeiden, bedarf es nach Ansicht Weidmanns und der Anhänger der FTP eben einer überzeugenden Konsolidierung der Staatsfinanzen und einem dadurch begünstigten Vertrauen in den Willen der Geldpolitik, sich zuvörderst der Geldwertstabilität zu widmen.
Soweit die Darstellung der FTP. Man kann hier aus meiner Sicht bei aller Wertschätzung des Ansatzes mindestens drei Einschränkungen/Bedenken formulieren:
1. Die Theorie bedarf vermutlich noch einiger Ausarbeitung und empirischer Überprüfung. Bis heute hat sie sich nicht wirklich in der Branche durchgesetzt (und dafür gibt es Gründe) – aber das mag noch kommen. Insofern sollte man jedenfalls auf sie schauen.
2. Das Konzept der Überraschungsinflation bedarf eines sorgfältigen Umgangs. Man kann damit ansonsten schnell sich selbst und andere besoffen reden. Ein Beispiel ist der amerikanische Ökonom John Cochrane, der auf der Basis der FTP im Jahre 2009 in Washingtoner Anhörungen einen “Run” auf amerikanische Staatspapiere und eine hohe Inflationsrate prognostiziert hatte. Man mag von der amerikanischen Geld- und Finanzpolitik der vergangenen Jahre halten, was man will, aber es hat seitdem weder einen Run auf die Staatspapiere noch hohe Inflationsraten gegeben. Nicht nur Paul Krugman hat sich über Cochrane lustig gemacht.
3. Anhänger der These, eine weitaus expansivere Geldpolitik könne in der aktuellen Krise die Konjunktur beleben, mögen versuchen, Weidmanns Argumentation gegen den Bundesbankpräsidenten zu kehren, indem sie sinngemäß sagen: “Wenn eine Zentralbank Angst vor der staatlichen Überschuldung hat, sollte sie durch eine expansivere Geldpolitik die Konjunktur anregen und damit die Gefahr fiskalischer Dominanz verringern.” Diese Denkweise lebt zwar von der Annahme, dass die Geldpolitik noch viel expansiver werden müsste, und ist durchaus umstritten ***), aber es gibt in der Ökonomenwelt zweifellos Anhänger dieser Denkweise. So würde nach unserer Kenntnis z.B. Nouriel Roubini so argumentieren.
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*) Bisherige Beiträge zur Fiskalteorie des Preisniveaus in FAZIT:
– eine ausführliche Darstellung der FTP. Darin wird auch das Papier von Bianchi/Melosi zu den “schlafenden Schocks” behandelt, das jetzt auch auf der Pariser Konferenz vorgetragen wurde und das auch in Weidmanns Manuskript auftaucht
– “Geldpolitik im Teufelskreis”; die F.A.Z.-Seite von Markus Brunnermeier und mir, in der die FTP als Inflationsszenario auftaucht
– Erwähnt habe ich die FTP auch in meinem Überblick über die Brauchbarkeit der üblichen Inflationserklärungen
**) Die Inflationserwartungen sind im Euroraum derzeit wirklich niedrig. Der Chef-Volkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, schreibt in seinem aktuellen Wochenbericht: “Die Investoren haben den Abwärtstrend der Inflation aufgegriffen und die Erwartungen für den Anstieg der Verbraucherpreise (ohne Tabak) in den kommenden zwölf Monaten gemessen an Inflationsswaps auf nur 1,0% gesenkt. Das erscheint uns übertrieben mit Blick auf unsere Prognose, dass die Inflation in den kommenden Quartalen um 1½% schwanken wird. Auf der anderen Seite begrenzt unsere Prognose die von unseren Strategen erwartete Aufwärtskorrektur der Inflationserwartungen.”
***) Ein Keynesianer im Geiste von Keynes würde mit Verweis auf eine Liquiditätsfalle eine eingeschränkte Wirksamkeit der Geldpolitik diagnostizieren und wie Paul Krugman für expansive Finanzpolitik plädieren. Ein Anhänger der Schule von den “finanziellen Friktionen” würde darauf achten, Banken und Finanzmärkte von Hemmnissen zu befreien und leistungsfähiger zu machen. Ein “Austrian” würde sich vermutlich gleichermaßen gegen expansive Geld- und Finanzpolitik aussprechen.