Als Bundestagsabgeordnete liegt mein zu versteuerndes Einkommen unter 80.000 Euro. Vergleiche ich meine effektive Steuerlast mit meinem Bruttoeinkommen, zahle ich weniger als 25 Prozent Einkommensteuer, selbst ohne Einberechnung der steuerfreien Kostenpauschale. Bin ich arm? Nein. Durch hohe Spendenabzüge drücke ich meine Steuerlast um über acht Prozent. Ich kann aber nur deshalb viel spenden, weil ich viel verdiene. Patrick Bernau hat eine Studie von Stefan Bach, Giacomo Corneo und Viktor Steiner über das Verhältnis von Steueranteil zum Gesamteinkommen so interpretiert, dass Ärmere relativ mehr von der Steuer absetzen könnten als Reiche. Dem widerspreche ich.
Das Existenzminimum ist kein Steuersparmodell
Was ich unbedingt zum Leben brauche, darf mir der Staat nicht wegnehmen. Das Existenzminium bleibt steuerfrei für mich und meine unterhaltsberechtigte Familie. Das Verfassungsgericht hat klar gestellt, was in der Einkommensteuer alles dazu gehört: Der Grundfreibetrag allein genügt nicht. Hinzu kommen Abzüge aus Werbungskosten oder Betriebsausgaben, also notwendige Ausgaben zur Sicherung der Arbeit, zudem Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen, sowie der Kinderfreibetrag, der Erziehungsfreibetrag und der Altersentlastungsfreibetrag. Nur der darüber liegende Anteil des Einkommens darf besteuert werden. Dieses sogenannte „subjektive Nettoprinzip“ genießt Verfassungsrang. Das hat mit „Steuersparen“ nichts zu tun.
Für Arbeitnehmer und Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen ist die Steuer unausweichlich. Wie soll sich eine Angestellte ihren monatlichen Steuerabzügen entziehen? Aber: Wer viel verdient, kann Spielräume nutzen, von denen Normalverdiener nur träumen können. In den 1990er Jahren hatten wir Abschreibungsmodelle, die z.B. Immobilieninvestitionen massiv subventionierten. Wer hat davon profitiert? Bis zum Sommer 2013 gab es das „Goldfinger“-Modell, das wir im Vermittlungsausschuss gemeinsam mit den rot-grünen Ländern endlich beenden konnten. Dabei war es möglich, Gewinne aus bestimmten Finanzgeschäften steuerfrei zu kassieren. Wieder die Frage: Wer hat davon profitiert? Ein weiteres Beispiel liefert die mehrfache Erstattung einmal gezahlter Kapitalertragsteuer, das sogenannte „Cum-Ex“-Modell. Die Liste lässt sich fortsetzen. Diese Modelle zeigen eine Gemeinsamkeit: sie nutzen nur den hohen Einkommen. Das bei weitem größte Sparmodell wurde aber erst nach 2005 eingeführt: die Abgeltungsteuer. Mit 25 Prozent auf Kapitalerträge zahlen Millionäre damit einen geringeren Steuersatz als Lehrer auf ihr Gehalt.
Heute wird das einkommensstärkste Zehntel aller Haushalte im Verhältnis zu seinem Gesamteinkommen mit nur 24 Prozent durch die Einkommensteuer belastet. Was soll diese Zahl anderes bedeuten, als dass gerade die Reichsten sehr wohl die Gestaltungsspielräume und Steuersubventionen nutzen, die in der Einkommensteuer bestehen. Das Existenzminimum hat bei Ärmeren einen viel größeren Anteil an ihrem Einkommen als bei Reichen. Doch Freibeträge, die allen zustehen, sind etwas grundsätzlich anderes als Steuertricks, die Gesetzeslücken ausnutzen.
Lisa Paus (@LisaPaus) ist Obfrau der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Finanzausschuss.