Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die Bankbilanz als Krisenindikator

Ökonomen suchen seit langem zuverlässige Frühindikatoren für schwere Finanzkrisen. Ein genauer Blick auf die Passivseite der Bankbilanz hilft, wenn nicht in allen, so doch in vielen Fällen.

Die Zukunft kann niemand genau vorhersagen. Aber es wäre nicht schlecht, zumindest einigermaßen zuverlässige Frühwarnsysteme für schwere Finanzkrisen zu entwickeln. Dies ist keine neue Beschäftigung für Ökonomen und Finanzmarktteilnehmer: Eine Untersuchung aus dem Jahre 1998 listet immerhin 105 verschiedene Indikatoren auf, die bis dahin, mit meist ernüchterndem Ergebnis, auf ihre Tauglichkeit überprüft worden waren. Die im Jahre 2007 ausgebrochene Krise hat die Bemühungen in der Fachwelt verstärkt, bessere Frühindikatoren zu entwickeln.

In den Blick sind vor allem drei wirtschaftliche Größen geraten: Finanzmarktpreise, die Entwicklung der Kredittätigkeit und die Finanzierung des Bankgeschäfts, sprich die Passivseite der Bankbilanz. Der koreanische Ökonom Hyun Song Shin, derzeit Finanzprofessor an der Princeton University und designierter Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), hat in mehreren Arbeiten gezeigt, dass vor allem der Blick auf die Passivseite der Bankbilanz lohnt. Ein interessantes Arbeitspapier ist im Dezember 2013 vom IWF veröffentlicht worden.

Die Passivseite einer Bank besteht zu einem geringen Teil aus Eigenkapital und zu einem sehr großen Teil aus Fremdkapital. Shins These lautet, dass es sich lohnt, die Zusammensetzung des Fremdkapitals über den Zeitablauf zu beobachten. Traditionell besteht das Fremdkapital vieler Banken überwiegend aus Einlagen von privaten Haushalten. Formal sind die meisten Einlagen kurzfristig, so dass die Kunden ihr Geld schnell abziehen könnten. In der Praxis aber stellen viele Kunden ihrer Bank oder Sparkasse die Einlagen langfristig zur Verfügung: Von den 5 Billionen Euro Geldvermögen der Deutschen entfallen alleine 2 Billionen Euro auf Bargeld und niedrig verzinsliche Einlagen bei Banken und Versicherungen.

Neben diesen einigermaßen zuverlässig zur Verfügung stehenden Einlagen haben zum Beispiel europäische Banken im vergangenen Jahrzehnt weiteres Fremdkapital durch eine oft kurzfristige Verschuldung bei anderen Finanzhäusern aufgenommen. So haben in den Jahren vor der Krise spanische Banken hohe Kredite bei deutschen Banken aufgenommen. Viele europäische Banken, darunter nicht zuletzt französische Häuser, konnten über Jahre für viele Milliarden Dollar kurzfristige Wertpapiere an amerikanische Geldmarktfonds verkaufen. Und nicht zuletzt deutsche Banken hatten über in Irland ansässige Tochtergesellschaften (“Conduits”) kurzfristige Wertpapiere ausgegeben, mit denen sie Käufe langfristiger amerikanischer Wertpapiere finanzierten, in denen sich fragwürdige Immobilienkredite befanden. Die meist kurzfristigen Verschuldungen in Form von Krediten und Wertpapieren bei anderen Finanzhäuser sind weitaus weniger stabil und zuverlässig als die meist langfristig zur Verfügung stehenden Einlagen von Privatkunden.

Shin hat die auf Euro lautenden grenzüberschreitenden Forderungen und Verbindlichkeiten der im Euroraum ansässigen Banken dargestellt. Die Verbindlichkeiten bestanden ganz überwiegend aus wenig stabilen kurzfristigen Verschuldungen der Banken, mit denen sie ihr internationales Geschäft finanzierten. Diese kurzfristigen, weniger zuverlässigen Finanzierungen der Banken sind in den Jahren vor Krisenausbruch sehr stark gestiegen, während die zuverlässigeren Einlagen von Privatkunden sehr viel langsamer gewachsen sind. Nach Krisenausbruch standen den Banken die weniger zuverlässigen kurzfristig aufgenommenen Gelder nur noch eingeschränkt zur Verfügung, was zur Verschärfung der Krise wesentlich beitrug.

Ein starkes Wachstum der weniger zuverlässigen und kurzfristigen Verschuldung der Banken im Vergleich zur den zuverlässigeren Kundeneinlagen ist nicht nur in Europa einer schweren Finanzkrise vorangegangen. Vielmehr lässt sich ein solches Muster in der Finanzgeschichte häufiger zeigen. Shin demonstriert aber auch, dass es unterschiedliche Formen der kurzfristigen, weniger zuverlässigen Verschuldung von Banken bei anderen Finanzhäusern gibt. So verschulden sich in den Vereinigten Staaten die Banken wenig im Ausland, während in Schwellenländern eine Auslandsverschuldung der Banken häufiger zu beobachten ist, die dann zusätzlich mit Wechselkursrisiken einher gehen kann. 1)

Im Vergleich zur Passivseite der Bankbilanz taugen andere gerne zitierte Wirtschaftsgrößen weniger zur frühzeitigen Identifizierung von Gefahren für die Finanzstabilität. Enttäuschend schneiden unter anderem Preise an Finanzmärkten ab. Shin zeigt dies anhand der Preise für Kreditausfallderivate (CDS) auf Anleihen der amerikanischen Investmentbanken Bear Stearns und Lehman Brothers. Bear Stearns musste im Frühjahr mit finanzieller Hilfe der Notenbank Fed von der Großbank J.P. Morgan aufgefangen werden; Lehman Brothers ging im Herbst 2008 unter. Die CDS-Preise stiegen ab Sommer 2007 deutlich, erreichten aber jeweils erst unmittelbar vor der existenzgefährdenden Lage der beiden Bank große Höhen. Vor allem zeigten die Preise in den Jahren vor der Krise keinerlei Zeichen von Beunruhigung bei den Investoren; in einem Vergleich des Zeitraums der Jahre 2004 bis 2006 fielen die CDS-Preise sogar ein wenig.

Nun mag man entgegenhalten, dass die Märkte für Kreditausfallderivate auf Anleihen zweier mittelgroßer Investmentbanken klein gewesen seien. Ein Blick auf einen für die Finanzwelt repräsentativen Markt zeigt jedoch kein anderes Ergebnis. Als wichtigster Indikator für Spannungen in der Finanzwelt gilt der an der Terminbörse in Chicago ermittelte Vix-Index: Er zeigt die von Anlegern erwartete Volatilität am amerikanischen Aktienmarkt an. Aber auch der Vix sendete in den Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise keine damals erkennbaren Krisensignale aus. (Wobei man den Vix nach heutiger Kenntnislage aber mit einigem Erfolg hätte nutzen können, um eine expansive Geschäftspolitik der Banken zu prognostizieren – worauf wiederum unter anderem Shin hingewiesen hat. 2)).  “The first approach (based on market prices) seems most appropriate for obtaining indicators of concurrent market conditions but unlikely to be useful as early warning indicators with  enoughtime for meaningful remedial action”, schlussfolgert Shin.

Ein wachsende Interesse hat seit Ausbruch der jüngsten Krise auch das Kreditvolumen als Indikator für  Spannungen an den Finanzmärkten gefunden. Die Begründung lautet, dass vielen Krisen eine starke Ausweitung des Kreditvolumens vorausgegangen sei. (Aus der Fülle der dazu existierenden Literatur sei auf eine bekannte Arbeit von Schularick/Taylor verwiesen.) Gemessen wird dies oft am Verhältnis des Kreditvolumens zum Bruttoinlandsprodukts (BIP) eines Landes. Dieses Verhältnis  ist ein oft nicht schlechter, aber auch kein unbedingt zuverlässiger Indikator. Shin zeigt dies am Beispiel Großbritanniens, in dem er das aktuelle Verhältnis von Kredit zu BIP mit einem langfristigen Trend vergleicht.

Die Grafik belegt, dass erst kurz vor Ausbruch der Krise ein überdurchschnittliches hohes Verhältnis von Kredit zu BIP festgestellt werden kann, das nach Ausbruch der Krise noch wuchs. Das Kreditvolumen kann zum Beispiel in einer Krise noch wachsen, weil Unternehmen, die in Schwierigkeiten geraten, auf Kreditlinien zugreifen, die ihnen noch in der guten Zeit vor der Krise zugesagt worden waren. Als vorlaufender Indikator eignet sich der Kredit damit bestenfalls eingeschränkt, wie Shin feststellt: “The credit to GDP gap measure is a distinct improvement from the first as an early warning indicator, with a good pedigree from the work of BIS economists and has been explored extensively as part of the Basel III bank capital rules. Yet, some authors have expressed doubts about its usefulness as a real time measure, or as a measure that yields a threshold that can be applied uniformly across countries.”

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1) Die Betrachtung der Passivseite der Banken steht auch im Mittelpunkt der monetaristischen Geldmengenlehre; verbreitete Geldmengenkonzepte wie M1, M2 und M3 bestehen überwiegend aus Bankeinlagen von Privathaushalten und Unternehmen. Shins betreibt auch eine Art Geldmengenbetrachtung, aber in seiner Analyse spielen die von Banken und anderen Finanzhäusern kurzfristig bereitgestellten Mittel eine wesentliche Rolle, die für die Monetaristen uninteressant waren. (Zur Erklärungskraft traditioneller Geldmengenkonzepte für die Entstehung der aktuellen Krise haben Assenmacher/Gerlach vor wenigen Tagen auf der AEA-Tagung ein Papier vorgelegt.)

2) Um künftige Spannungen anzuzeigen, hätte der Vix vor der Krise steigen müssen. Er war aber im Gegenteil sehr niedrig – und es gibt, wie Bruno/Shin gezeigt haben, einen Zusammenhang zwischen einem sehr niedrigen Vix und einer hohen Risikobereitschaft der Banken.

Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Version eines Artikels, der am 7. Januar 2014 im Finanzmarkt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist.