Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Fondsgesellschaften und Versicherer sind so gefährlich wie Banken

Bis zum Jahr 2008 haben westliche Banken Schwellenländer mit Kredit versorgt. Dann kamen Großanleger wie Fonds und Versicherungen und kauften Anleihen aus der Region. Nun ist die Krise da - und es droht ein Teufelskreis. Besondere Beachtung verdienen Unternehmen, die sich wie Banken verhalten. Genauere Aufschlüsse verspricht ein globaler Liquiditätsindikator.

Die Währungen einiger Schwellenländer befinden sich seit kurzer Zeit wieder unter einem starken Abwertungsdruck, ebenso wie die Kurse für Aktien und Anleihen aus diesen Ländern zur Baisse neigen. Im Mai vergangenen Jahres war es an den Finanzmärkten von Schwellenländern bereits zu Turbulenzen gekommen – was einen FAZIT-Beitrag über “Sudden Stops” motivierte – , doch hatte sich die Lage im Herbst 2013 wieder vorübergehend beruhigt. Allerdings waren die Sorgen besonders über die sogenannten “Fragile Five” (Brasilien, Südafrika, Indien, Türkei und Indonesien) nicht völlig verschwunden. *)

 

Der drohende Teufelskreis

Nunmehr ist wieder eine Krise ausgebrochen. Ein großes Problem ist: Die augenblicklichen Trends können sich verstärken und einen höchst gefährlichen Teufelskreis in Gang setzen, der so aussieht:

1. In einem ersten Schritt verkaufen westliche Großanleger wie Fondsgesellschaften und Versicherungen Anleihen von Schwellenländern, die sie in den vergangenen Jahren als scheinbar attraktive Anlage erworben hatten. Der Grund können Zweifel an einer gedeihlichen Wirtschaftsentwicklung sein oder Reallokationen unter der Annahme einer allmählichen Straffung der amerikanischen Geldpolitik.

2. Als Folge dieser Anleihenverkäufe wird die Renditekurve in den Schwellenländern steiler, denn die langfristige Finanzierung von Staaten und Unternehmen wird – in Dollar wie in lokaler Währung – teurer.

3. Die Abwertung der Schwellenländerwährungen setzt im weiteren die dortigen Unternehmen unter Druck, die Erlöse in ihrer nationalen Währung erhalten, in den vergangenen Jahren aber viele Anleihen in harten westlichen Währungen aufgelegt haben.

4. Diese Unternehmen müssen ihre Investitionen beschneiden, was zu einem rückläufigen Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern führt.

5. Die finanziell in Nöte geratenden Unternehmen können sich in der Folge veranlasst sehen, ihre Guthaben bei den Banken in den Schwellenländern zu reduzieren, was wiederum die Banken unter Druck setzt.

6. Als Reaktion auf die schlechtere wirtschaftliche Lage in den Schwellenländern verkaufen die Großanleger aus dem Westen weitere Anleihen und der Teufelskreis setzt sich da fort, wo er begonnen hatte.

 

Die zwei Phasen der globalen Liquidität

Dieser Teufelskreis wurde im Herbst vergangenen Jahres auf einer Tagung von dem koreanischen Ökonomen Hyun Song Shin beschrieben, der derzeit an der Princeton University lehrt und im Frühjahr als Chefökonom zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) nach Basel wechselt. Shins wichtigste Botschaft lautet: Wenn es um die Folgen globaler Kapitalbewegungen für die Schwellenländer geht, sind Fondsgesellschaften und Versicherer ebenso systemelevant wie Banken. Dies ist eine auf den ersten Blick verstörende Botschaft, da Banken zwar als potentielle Quelle von Gefahren für die Finanzstabilität zwar bekannt sind, Fondsgesellschaften und Versicherer als langfristig orientierte Anleger hingegen als weitgehend unbedenklich gelten.

Der Ausgangspunkt von Shins Analyse ist eine lockere Geldpolitik in den Industrienationen vor Ausbruch der Finanzkrise. Sie ermutigte in den Jahren 2003 bis 2008 international tätige Banken, darunter nicht wenige führende europäische Banken, sich in den Vereinigten Staaten billig in Dollar zu verschulden und einen Teil dieser Mittel an Banken und Unternehmen in den Schwellenländern als Kredit weiterzuleiten. Shin bezeichnet dies als „erste Phase der globalen Liquidität“. Diese erste Phase ist in den Jahren nach dem Ausbruch der Finanzkrise zu Ende gegangen, weil viele internationale Banken, die sich in den Boom-Jahren hoch verschuldet hatten, ihr Geschäft reduzieren müssen. (Shin hat sich mit diesem Thema unter anderem in seiner Mundell-Fleming-Lecture befasst, hier ist der Text und hier sind Grafiken.  Die erste Phase der globalen Liquidität ist auch Thema einer aktuellen Arbeit von Bruno/Shin: Hier ist der Text und hier sind Grafiken.)

An die Stelle der Banken sind aber nun große westliche Kapitalanleger wie Fondsgesellschaften und Versicherer getreten. Angesichts der durch die lockere Geldpolitik sehr niedrigen Zinsen in den Industrienationen haben sie in den vergangenen Jahren in Schwellenländern nach attraktiven Anlagen gesucht; angelockt durch höhere Renditen und längerfristig (vermeintlich) guten wirtschaftlichen Wachstumschancen dieser Länder. Shin bezeichnet die daraus folgenden Kapitalbewegungen als „zweite Phase der Liquidität“.

Auf diese neuen Kapitalgeber, die anders als die Banken nicht an der Kreditvergabe, sondern vor allem am Kauf von Anleihen interessiert sind, haben die Banken und Unternehmen in den Schwellenländern prompt reagiert. Dies zeigt sich in der nachfolgenden Grafik. Sie demonstriert, wie in den vergangenen Jahren Banken und Unternehmen aus den Schwellenländern ihre Aufnahme neuer Kredite im Ausland reduziert haben. Im Gegenzug haben sie deutlich mehr Anleihen ausgegeben als zuvor.

Das erhebliche Wachstum des Marktes für Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern verdeutlicht auch die folgende Grafik, die das Volumen ausstehender Anleihen zeigt:

 

Die Bedeutung ausländischer Tochtergesellschaften

Ein Teil dieser Unternehmensanleihen wird durch Tochtergesellschaften im Ausland aufgelegt. Eine Grafik zeigt dies für Brasilien. Das Volumen der von in Brasilien ansässigen Banken und Unternehmen aufgelegten Anleihen ist zwar auch gestiegen, aber sehr deutlich haben vor allem die Anleiheemissionen von im Ausland befindlichen Tochtergesellschaften zugenommen.

Noch drastischer fiele ein Vergleich für China aus, wo viele Anleihen über ausländische Finanzplätze – zu denen im Falle Chinas auch Hongkong gerechnet würde – begeben werden. Die im Ausland verkauften Anleihen werden üblicherweise in Dollar aufgelegt. Von Anfang 2010 bis Mitte 2013 wurden an den internationalen Anleihemärkten Anleihen aus den Schwellenländern im Wert von rund einer Billion Dollar plaziert. (Sehr lesenswert ist auch ein Beitrag von Philip Turner von der BIZ, der die Finanzierungspraxis von Unternehmen aus Schwellenländern untersucht.). Hier ist eine grafische Darstellung aller Unternehmensanleihen aus Schwellenländern:

Ein brasilianisches Unternehmen, das über eine Tochtergesellschaft in London eine Dollaranleihe auflegt, betrachtet diese Anleihe natürlich als Verbindlichkeit. In einer gesamtwirtschaftlichen Länderstatistik würde diese Anleihe aber nicht als brasilianischer Kapitalimport aus den Vereinigten Staaten betrachtet, sondern als britischer Kapitalimport aus den Vereinigten Staaten, weil der Emittent in London ansässig ist. Daraus folgt eine weitere wichtige Erkenntnis: Aussagen über die Auslandsverschuldung eines Landes sagen nicht alles über die Auslandsverschuldung der Unternehmen eines Landes.

 

Unternehmen als Finanzintermediäre

Unternehmen aus Schwellenländern haben nach Shins Analyse im Westen Dollaranleihen begeben, die erhaltenen Dollar dann in Landeswährung umgetauscht und als Termingeld bei einer Bank in ihrem Heimatland angelegt. Eine solche Transaktion, in der Fachsprache “Carry Trade” genannt, kann dann sehr lukrativ sein, wenn sich die Schwellenländerwährung gegenüber dem Dollar aufwertet. Ein solcher “Carry Trade” kann von Unternehmen aber auch zu Absicherungszwecken vorgenommen werden. Er wird jedoch zu einer finanziellen Belastung für das Unternehmen, wenn, wie derzeit, die Währungen aus Schwellenländern gegenüber dem Dollar stark abwerten. Der wesentliche Punkt ist hier, dass Unternehmen, die international durch Anleiheemission Geld aufnehmen, das sie in ihrem Heimatland als Einlage bei Banken parken, de facto wie Finanzintermediäre handeln. Kurzum: Die Finanzierungspraxis von Unternehmen aus Schwellenländern ist ein Aspekt, der bei der Beurteilung der aktuellen Krise nicht unterschätzt werden sollte.

 

Ein Indikator für globale Liquidität

Nachdem Shin die Unternehmen in den Mittelpunkt seiner Analyse gerückt hat, baut er auf dieser Erkenntnis einen Indikator, der die globale Versorgung mit Liquidität messen soll. (Der IWF hat in diesen Tagen ein Arbeitspapier von Shin und Mitarbeitern zu diesem Thema veröffentlicht.) Konkret geht es darum, die Einlagen von Unternehmen bei Banken für jedes Land zu erfassen, in Dollar umzurechnen und zu summieren. Somit entsteht eine spezifische Form einer “Welt-Geldmenge”, die aber im Unterschied zu den alten Geldmengenkonzepten der Monetaristen alleine auf Bankeinlagen von Unternehmen abstellt. Erfasst werden alle Unternehmen, die nicht in der Finanzbranche tätig sind; in der englischsprachigen Fachliteratur gibt es für diese Unternehmen die Abkürzung NFC. Zur Motivation dieser Analyse schreiben Shin & Co.:

“Our main hypothesis is that the money aggregate associated with the claims of NFCs on the banking sector is closely correlated with financial conditions facing firms operating across borders, and hence will be correlated with global economic activity.”

Ein Blick auf Shins Globale-Liquidität-Indikator (GL) zeigt, wie sehr die Liquidität mit der Konjunktur atmet, aber auch mit Wechselkursschwankungen des Dollar:

“Notice how the GL measure displays a highly procyclical pattern, tracking the upswing before the global financial crisis, the sharp decline with the onset of the global financial crisis and then the subsequent recovery afterwards. When we contrast our global liquidity aggregate with the global broad money (M2) aggregate, we see that the time series signature of the two aggregates are quite different…The sharp decline in the global liquidity measure during the 2008 financial crisis is explained in part by the rapid appreciation of the U.S. dollar that coincided with the deleveraging pressures that hit borrowers around the world. In turn, the bounce-back in the global liquidity measure reflects the appreciation of EM currencies in the aftermath of the crisis.”

Insgesamt scheint sich der Liquiditätsindikator auch gut für Analysen der Finanzstabilität zu eignen:

“The results reported in this paper suggest that some specialized bank liability may have information value as an indicator of economic activity, and that their information value derives from their sensitivity to the global environment in credit availability. When properly adapted and refined, we may expect versions of monetary aggregates to play an indicativerole in two respects.

– First, as the liability side aggregate of bank balance sheets, we may gain useful insights into the credit conditions patterns in the economy.

– Second, to the extent that financial stability is tied to the procyclicality of the banking sector, the study of monetary aggregates may open the door to a more systemic approach to the vulnerability of an economy to financial crises and its susceptibility to reversals of capital flows.”

 

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*) Der Begriff “Fragile Five” wurde nach meiner Kenntnis von Ökonomen der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley geprägt.

Eine kürzere Version dieses Beitrags ist am 28. Januar 2014 im Finanzmarkt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.