Genauer hingucken – darum geht es für die Volkswirtschaft derzeit. Zu theorielastige Forschung ist scharf in die Kritik gekommen, nicht nur von Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern auch innerhalb der Ökonomik – von “Ideologie” sprechen Kritiker gerne. Auftrieb haben die Forscher, die mehr von den Daten aus der Wirklichkeit zu ihren Schlüssen kommen wollen. Sie arbeiten mit ökonomischen Experimente im Labor – aber auch mit Daten aus der Politik. “Evidenzbasierte Wirtschaftspolitik” lautete der Titel der diesjährigen Tagung des Vereins für Socialpolitik: Die Ökonomen wollen sich dafür stark machen, dass die Folgen neuer Gesetze häufiger an der Wirklichkeit überprüft werden.
Dafür fordern die Ökonomen mehr Datenzugang – auch zu Informationen, die heute noch dem Datenschutz unterliegen. Das sei nötig, um Politik und Wirtschaft gut zu untersuchen. In Amerika sei die Forschung über gute Abrechnungsmodelle für Ärzte und Krankenhäuser zum Beispiel nur deshalb möglich gewesen, weil die Wissenschaftler individualisierte Daten von Krankenkassen-Mitgliedern bekommen hätten, sagt Bernd Fitzenberger, der das Kernprogramm der Tagung organisiert hat. In Deutschland sei so etwas heute nicht vorstellbar. Er findet: “Bestimmte Dogmen im Datenschutz müssen sich ändern.”
Doch das wird nicht unbedingt leicht. Denn im Moment entwickeln sich die Regeln eher hin zu mehr Datenschutz. Die Europäische Union erarbeitet gerade ihre neue Datenschutz-Verordnung – und Wissenschaftler sorgen sich inzwischen darum, in Vergessenheit zu geraten. Vielleicht dürfen sie am Ende weniger mit Daten machen als vorher. Betroffen wären dann gerade die empirischen Wissenschaftler, die nicht Theorien untersuchen, sondern die Realität – und zwar nicht nur Ökonomen, sondern auch Soziologen, Psychologen, Mediziner und Forscher aus anderen Disziplinen.
Die Sorgen wachsen. “Die Neuregelung auf supranationaler Ebene bedeutet, dass die derzeitige Stellung der Wissenschaft im Datenschutzrecht abermals gesichert werden muss”, heißt es in einer Stellungnahme des Rates für Sozial- und Wirtschaftsdaten.
Bisher sind Wissenschaftler schon von einigen Datenschutz-Bestimmungen ausgenommen. Zum Beispiel können sie sich sicher sein, dass die Daten, die sie von Menschen erhoben haben, auch dauerhaft gespeichert bleiben dürfen – die Teilnehmer können es sich nicht einfach so anders überlegen und ihre Daten Jahre später löschen lassen. Speziell für sensible Krankheitsdaten ist das wichtig. Bisher dürfen wenigstens Mediziner ihre Patienten – nach deren Zustimmung – über Jahre begleiten, dabei durchaus sensible Daten über deren Gesundheitszustand erheben, und sie können sich sicher sein, dass sie diese Daten dann auch verwerten dürfen.
Doch dass das so bleibt, ist noch nicht ausgemacht. Im Moment ist offen, wie die Datenschutzverordnung konkretisiert wird. “Eine Löschpflicht für Forschungsdaten wäre ein Horror-Szenario”, sagt Gert Wagner aus dem Vorstand des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. “Die Bundesregierung arbeitet an Vorschlägen zur Verbesserung der Grundverordnung” – aber: “Man baut besser vor, um keine bösen Überraschungen zu erleben.”
Köstlich...
Selbst vom INhalt abgesehen ein guter Lacher.
Da kommt ein “Wirtschaftsblog” und klärt uns auft:
“Realitätsnahe Forschung? Oder Datenschutz?”
Denn beides geht nicht zusammen….
Für wie dumm hält man die Leser hier?
Der “Wirtschaftsblog” erklärt es jedem der es verstehen will. Es ist keinesegs die “Realitätsnahe Forschung” die zugleich mit dem Datenschutz nicht so recht klappen will, es sind die Profite die unter dem Datenschutz zu laeiden haben…
[…] Fazit: Realitätsnahe Forschung? Oder Datenschutz? […]
Datenschutzverordnungsentwurf ist bisher ungeeignet
Aus vielerlei Gründen is der bisherige DSVO-Entwurf bisher ungeeignet. Deswegen wurde er ja auch im Rat der EU abgelehnt vor der Wahl des neuen EU-Parlaments. Zu sehr wurde auf deutsche Tradition aus den 1980ern abgehoben, zu wenig auf Big Data und neue Erscheinungen im Internet. Auch mit zu viel irrationaler Aversion gegen Facebook, so dass man globale Probleme EU-regional lösen wollte (absurd).
Neulich war ich in England zu einer Schulung des Open Data Institutes. Das britische NHS hat neulich erheblich Bestände aus dem Medizinsystem freigegeben, was evtl. auch zu viel war. Aber auch bei den Briten wächst das Datenschutz-Bewusstsein (trotz Totalüberwachung durch GCHQ). So wurde bei einer nationalen Untersuchung des Verschreibungsverhaltens (Generika vs. Originalmedikamente) darauf geachtet, dass die Zellengröße für die Statistik nicht nur zur Anonymisierung der Patienten sondern auch der Ärzte hinreichend groß war. Details kann man in meinem Bericht über die Schulung finden:
https://wk-blog.wolfgang-ksoll.de/2014/07/07/open-data-institute-odi-open-data-in-a-day/
Es ist aber nicht nur die Wissenschaft, sondern viele andere Bereiche auch (auch fehlt der Staat z.B. das BKA völlig in der EU-DSVO-E), wo wir Datenschutz neu denken müssen, anders als in den 1980ern. Ein Umdenken sollte sein, dass nicht die Illusion weiter tradiert wird, dass der Einzelne seine Daten schützen könne, sondern dass wir die rechtswidrige Verwendung bei den Betreibern besser kontrollieren und ggf. strafrechtlich ahnden. Platt: wenn bei Facebook oder der NSA jemand Straftaten begeht, muss der ins Gefängnis und nicht 8 Mrd Menschen irgendwas klicken.