Viele Menschen haben wegen der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank Angst vor hoher Inflation. Allerdings ist von hoher Inflation nichts zu sehen, stattdessen wird aktuell eher über die Möglichkeit einer Deflation geredet. Für Traditionalisten mag dies verrückt klingen. Einige amerikanische Ökonomen vertreten jedoch die Ansicht, dass hinter dem vermeintlichen Wahnsinn Methode steckt und wir völlig neu über den Zusammenhang von Geldpolitik und Inflation denken müssen. Ein Blick in ein topaktuelles Forschungslabor.
Jenseits des Großen Teichs nennt man sie die “Neo-Fisherites”. Damit ist weder eine extraterrestrische Population noch eine religiöse irdische Sekte gemeint, sondern Ökonomen, die eine Antwort auf die Frage finden wollen, warum eine sehr expansive Geldpolitik in den vergangenen Jahren keine Beschleunigung der Inflation erzeugt hat. In früheren Jahrzehnten in Japan und heute in der Eurozone ist eher von drohender Deflation die Rede. Die “Neo-Fisherites”, die sich nicht alle einem ideologischen Lager zurechnen lassen und auch keine geschlossene Gruppe bilden, sind mit den bisherigen Antworten auf die Kombination von expansiver Geldpolitik und sehr niedriger Inflation nicht zufrieden. Sie haben eine provozierende Antwort.
Bevor wir zu den “Neo-Fisherites” kommen- was sind die bisher gebräuchlichen Antworten?
Erstens: Die Inflation komme auf jeden Fall, wenn nicht jetzt, dann aber garantiert später. Das kann sein oder auch nicht sein. Es handelt sich um nicht mehr als Wahrsagerei.
Zweitens: Die Inflation sei schon längst da, aber sie zeige sich nicht in steigenden Güterpreisen, sondern in Spekulationsblasen auf Finanz- und Immobilienmärkten. Das kann sein oder auch nicht sein. Spekulationsblasen erkennt man erst, wenn sie platzen. Vorher lässt sich ihre Existenz behaupten, aber nicht zwingend beweisen.
Drittens: In einer durch fehlende gesamtwirtschaftliche Nachfrage gekennzeichneten Wirtschaftskrise sei expansive Geldpolitik weitgehend wirkungslos, weil das Geld aus Vorsichtsgründen gehalten, aber nicht ausgegeben werde. Diese Idee der “Liquiditätsfalle” wird von keynesianischen Ökonomen wie Paul Krugman vertreten. Das kann sein oder auch nicht sein. Nicht alle Ökonomen betrachten Wirtschaftskrisen als ein Problem mangelnder gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. (Und fairerweise muss man auch sagen, dass Krugman nicht jede Wirtschaftskrise als nachfrageinduziert betrachtet.)
Viertens: Die Geldpolitik sei in Wirklichkeit überhaupt nicht expansiv. Das ist die Position der sogenannten Marktmonetaristen. Sie treten dafür ein, dass die Zentralbank über die Zusicherung einer höheren Inflationsrate die Haushalte zu mehr Konsumausgaben und die Unternehmen zu mehr Investitionen veranlasst. Das kann sein oder auch nicht sein. Die meisten Ökonomen sind keine Marktmonetaristen.
Die “Neo-Fisherites” gehen sehr viel radikaler vor. Sie sagen, man müsse das traditionelle Denken über Geldpolitik abstreifen und ins Gegenteil verkehren. Zumindest auf längere Sicht gelte Folgendes: Sinkende Leitzinsen führen nicht zu steigenden, sondern zu fallenden Inflationsraten. Und steigende Leitzinsen führten nicht zu fallenden, sondern zu steigenden Inflationsraten!
Wie kommt man dazu? Schlag nach bei Irving Fisher, dem bedeutendsten amerikanischen Ökonomen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Fisher hat sich ausgiebig mit Zins- und Kapitaltheorie befasst und mit ihm verbindet sich die sogenannte “Fisher-Gleichung”, die einen eigentlich einfachen Zusammenhang ausdrückt:
Der Realzins entspricht dem Nominalzins abzüglich der (erwarteten) Inflationsrate.
Die “Fisher-Gleichung” ist eine reine Definitionsgleichung und keine ökonomische Theorie. Entscheidend ist nun: Der Realzins ist jener Zins, der sich aus dem langfristigen Spar- und langfristigen Investitionsverhalten einer Wirtschaft ergibt. Er wird nach Ansicht der meisten gebräuchlichen ökonomischen Theorien von der Geldpolitik allenfalls kurzfristig, aber nicht langfristig beeinflusst. Dieser Aussage würden vermutlich mindestens 90 Prozent aller Ökonomen zustimmen. Beeinflussen kann die Geldpolitik nur einen zudem kurzfristigen Nominalzins; man gebraucht dafür oft den Begriff Leitzins.
Schauen wir uns unter diesen Annahmen noch einmal die “Fisher-Gleichung” an und nehmen wir den Realzins als mehr oder weniger konstant an. In diesem Falle sagt uns simple Mathematik, dass ein steigender Leitzins mit steigender Inflationsrate und ein fallender Leitzins mit einer fallenden Inflationsrate einhergehen muss.
Natürlich brauchen die “Neo-Fisherites” mehr als eine derart simple Argumentation, um die Masse der Ökonomen zu überzeugen. Wer sich für ihre Positionen und die an ihnen geäußerte Kritik interessiert, findet im Internet viel Material. Wir nennen an dieser Stelle für einen Einstieg mehrere Links. Der bekannteste “Neo-Fisherite” ist der Chicago-Ökonom John Cochrane, von dem auch die originelle Idee stammt, die Zentralbank solle nicht einen Leitzins oder eine Geldmenge steuern, sondern die Renditedifferenz (“Spread”) zwischen normalen und inflationsgeschützten mehrjährigen Anleihen. Eine gute Zusammenfassung bietet Noah Smith, der auch Links zu den Anfängen der Debatte anführt. Kritik gibt es von David Glasner.
Mal sehen, was daraus entsteht….
[…] Entsteht Inflation nicht durch sinkende, sondern durch steigende Leitzinsen? […]
@faz-gb: Klar nützen niedrige Zinsen allen Nutzern; doch rechnet man den
Hauskauf (vergleichbare Immobilie nach Ausstattung und Lage) durch mit Preisen und Zinsen von 2005 gegen 2014 ist die Differenz völlig zu vernachlässigen!
Kapitalangebot und Kapitalnachfrage bestimmen das Zinsniveau
Der Grund für den von Ihnen genannten Zusammenhang sind dann aber die gestiegenen Immobilienpreise. Demnach profitieren von niedrigen Zinsen insbesondere auch Besitzer von Assets (also nicht ausschließlich der Staat). Da Grundstücke bzw. Land nicht ohne weiteres vermehrt werden kann, steigt der Preis für dieses Gut. Bei Maschinen ist dies anders, wenn deren Preis steigt, werden einfach mehr nachproduziert.
Entscheidend bei der Frage des optimalen Zinsniveaus ist aber, dass die Konjunktur von niedrigen Zinsen profitiert.
Jeder der meint, dass die Zinsen von der EZB zu niedrig gesetzt werden, kann sich schließlich verschulden und selbst als Investor auftreten. Die dadurch entstehende Nachfrage kann die Konjunktur gut gebrauchen.
Die Tatsache, dass trotz der niedrigen Zinsen immer noch alle sparen möchten statt selber zu investieren, ist ein deutliches Zeichen, dass die Zinsen nicht zu niedrig sind.
Es gibt kein Grundrecht auf positive Realrendite. Wenn man jemandem Geld leihen möchte und dafür einen Zins verlangt, muss man jemanden finden, der bereit ist sich zu verschulden und diesen Zins zu bezahlen.
Das ist zur Zeit nicht der Fall, es gibt mehr Sparer als “Leiher” auf dem Kapitalmarkt – bzw. das Kapitalangebot übersteigt immer noch die Kapitalnachfrage (Kennzeichen einer Rezession).
Normalerweise glaubt in einer wachsenden Wirtschaft “jeder”, dass das Einkommen der nächsten Periode größer wird als das gegenwärtige, und es daher leichter wird einen Kredit abzubezahlen. Daher ist der Realzins in einer Wirtschaft mit Wachstumspotential in der Regel positiv (Goldene Regel der Akkumulation: i ≥ g; wobei g die erwartete Wachstumsrate für die nächste Periode darstellt). Bei negativer Stimmung und Unsicherheit möchte sich aber trotzdem niemand verschulden, und folglich kann der Gleichgewichtsrealzins negativ werden. Die negative Erwartung wird zu einer Selbsterfüllenden-Prophezeihung.
Zur Kritik an der Goldenen Regel der Akkumulation könnte ich jetzt noch schreiben, dass eine marginale Größe (der Zins) mit einer durschnittlichen Größe (Wachstum) verglichen wird, und man da eigentlich Äpfel mit Birnen vergleicht (die man nur deshalb auf einen Nenner bringen kann, weil man konstante Skalenerträge annimmt). Aber das führt hier zu weit; die Grundtendenz bleibt erhalten – tendenziell ist bei erwartetem Wachstum der Zins höher.
Die Inflation ist da
Sie wird nur im Moment durch den niedrigen Ölpreis verdeckt.
Auf den Ölpreis haben unser Blitzbirnen aber gar keinen Einfluss und wenn der Preis irgendwann wieder steigt bekommen wir die Hyperinflation.
Nach ersten Schätzungen betrug im November 2014 die Inflationsrate im Euroraum 0,3 Prozent. Rechnet man Energie (dazu zählt Öl) heraus, errechnet sich eine Inflationsrate von 0,6 Prozent. Die Idee, dass es ohne den Ölpreis bereits eine bedeutende Inflation gäbe, ist abwegig.
Die Lehren der Geschichte
David Laidler hat sich die Geschichte der “Fisher-Gleichung” angesehen. Hier ist der Link:
https://economics.uwo.ca/people/laidler_docs/TheFisherRelation.pdf
Niedrige Zinsen als Innovationsbremse
Sind Zinsen nicht auch ein entscheidender Katalysator für Innovationen? Außerdem fehlt ohne Zinsdruck ein wichtiger Faktor, um ineffiziente Teilnehmer aus dem Spiel zu nehmen. Und solange die Aktienmärkte durch billiges Geld geflutet sind, findet auch dort keine sinnvolle “Auslese” mehr statt. Auf den Punkt gebracht: Niedrigzins erstickt Kapitalismus.
Tatsache ist, dass die niedrigen Zinsen ausschliesslich den Regierenden in allen
Ländern (insbesondere südeuropäischen Staaten) hilft; allen Politikern ist, das wird uns jeden Tag vor Augen geführt, das Volk, also wir, völlig egal! Nur kurz vor Wahlen steigt man kurz vom Podest, gaukelt uns etwas vor, und wenn sie unsere Stimmen haben, geht das Spiel wieder von vorne los! Sicher getragen wird dieses System in Deutschland hauptsächlich vom Beamtentum, das von der Politik umschmeichelt wird (private Krankenversicherung nur zur Hälfte vom Beamten getragen der Rest wird von Beihilfe gezahlt, günstigere Versicherungstarife, höhere Pensionsbezüge etc.)!
Niedrige Zinsen nützen ALLEN Schuldnern. Darunter auch privaten Bauherren, und von denen gibt es in Deutschland ziemlich viele. Gruß gb.
In einem Jahr ...
… werden Leute mit dem Nobel-Preis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet, die den absolut informierten und stets nur an seiner Gewinnmaximierung interessierten Menschen postulieren. Un ein paar Jahre später wird der Nobel-Preis an Leute verliehen, die das exakte Gegenteil behaupten.
Mehr muss über die Wirtschafts”wissenschaften” nicht gesagt werden.
Ich würde das Anders zusammenfassen:-))
Theologie, Astrologie und Wirtschaftwissenschaften gehören weil alle mit “Glauben” arbeiten in einen Fachbereich;.))
Ricardianische Betrachtung
Wenn man die Sache strickt ricardianisch betrachtet, stellt eine Zinssenkung auch keinen Anreiz dar mehr zu investieren, solange alle Konkurrenzen auch günstigere Konditionen (also die niedrigeren Zinsen) bekommen.
Denn dies bedeutet ja, dass die Preise, die man für die (mit Hilfe der Investitionsgüter) produzierten Produkte erzielen kann, ebenfalls sinken (schließlich sind die Kapitalkosten der Konkurrenten ebenfalls gesunken).
Auf der Kapitalangebotsseite sieht es ähnlich aus. Ein niedriger Zins ist nicht unbedingt ein Anreiz weniger zu sparen – es kann sogar ein Anreiz sein mehr zu sparen, denn wenn man im Alter einen gewissen Lebensstandard halten möchte, muss man bei niedrigen Zinsen mehr gespart haben, als bei einem hohen Zinsniveau.
Ein Generationenvertrag oder eine keynesianische Staatsverschuldung kann in diesem Zusammenhang durchaus für dynamische Effizienz sorgen. (Vgl. auch den berühmten Aufsatz von Paul Samuelson über sein Mehrgenerationen Modell.)
Schnellschuss daneben
Ich muss hier leider etwas zurückrudern. Wenn der relative Preis eines (kapitalintensiv produzierten) Gutes sinkt, steigt dessen Nachfrage. Wenn die Kapitalkosten sinken, lohnt es sich also trotz eines sinkenden Preises des betrachteten Gutes mehr von diesem Produkt zu produzieren und folgich lohnt es sich auch zu investieren, damit man diese zusätzliche Produktion leisten kann. Bei Abwesenheit einer Liquiditätsfalle bewirkt sogar das absolute Sinken des Preises des betrateten Produktes, dass die Nachfrage nach diesem Produkt steigt. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich da nochmal genauer darüber nachdenken muss.
Bei funktionierendem Wettbewerb entsteht Inflation durch Anstieg der Faktorpreise
Dass Paul Volcker die Inflation erfolgreich durch höhere Zinsen bekämpft hat, ist unbestritten, aber unsere Wirtschaft befindet sich heute in einer anderen Situation.
Bei funktionierendem Wettbewerb entsteht Inflation dann, wenn die Faktorpreise – also der Preis für Arbeit (Lohn) und der Preis für Kapital (Zinsen) steigen.
Mittlerweile gibt die Notenbank nicht nur die kurzfristigen Zinsen vor, sondern auch die mittelfristigen (Banken können sich über die dicke Bertha mittlerweile für 4 Jahre bei der EZB refinanzieren). Durch höhere Kapitalkosten kann die Inflation also nicht entstehen.
Die hohe Arbeitslosigkeit im Euroroaum (nicht in Dtl.) signalisieren eine geringe Knappheit des Faktors Arbeit. Dies verhindert, dass die Löhne steigen. Woher soll also die Inflation kommen?
Wenn die Zinsen niedriger sind, als die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals will jeder Investieren. Möglicherweise sind die Zinsen aber noch nicht niedrig genug um ein Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkt zu gewährleisten (wir haben ein Kapitalangebotsüberschuss). Das hängt auch damit zusammen, dass die Menschen z. B. durch die Existenz des Bargeldes nicht gezwungen sind, ihr Erspartes (nachfragewirksam) zu investieren (Stichwort Liquiditätsfalle).
Kurzfristig ist nicht langfristig
Eine Kollegin stellt die naheliegende Frage, wie “Neo-Fisherites” die Politik Paul Volckers erklären wollen, der Anfang der achtziger Jahre an der Spitze der Fed mit steigenden Leitzinsen die Inflationsrate deutlich gesenkt hat. Die Antwort lautet vermutlich, dass der traditionelle Zusammenhang, wonach steigende Leitzinsen mit fallender Inflation einher gehen, auf kurze Sicht durchaus gelten kann, sich aber die Wirkung langfristig umgekehrt. John Cochrane schreibt: “If you have a system with this kind of short run dynamics, you can get inflation where you want it faster by pushing the short run dynamics around, rather than pegging interest rates and just waiting for the long run to arrive. Lower rates, which pushes inflation up in the short run, then follow inflation up, with a quick burst of high rates to stop inflation, then back to normal.”