Die volkswirtschaftliche Politikberatung ist wieder einmal in einer Krise. Schon beim Treffen der Nobelpreisträger vergangenen August in Lindau hatte die Bundeskanzlerin der Ökonomenzunft mangelnde Prognosesicherheit, Praxisferne und eine unverständliche Sprache vorgeworfen. Nach Übergabe des Jahresgutachtens 2014/2015 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung attackierte die Politik die Wirtschaftsweisen harsch. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi stellte die wissenschaftliche Kompetenz des Sachverständigenrates in Frage. Zuvor hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit Blick auf Ökonomen von den Gefahren einer “Wirtschaftstheologie” gesprochen. Umgekehrt klagen Volkswirte immer wieder, auf ihre Erkenntnisse werde zu wenig gehört. Liegt dies in der Tat an der mangelnden wissenschaftlichen Kompetenz politikberatender Ökonomen? Oder wird einfach mehr auf andere Wissenschaftler gehört, etwa Juristen oder Soziologen? Beides lässt sich empirisch nicht erhärten, so dass wir zu einem anderen Schluss gelangen: Die Unzufriedenheit mit der ökonomischen Politikberatung liegt an einem ungünstigen institutionellen Design der Beratung.
Um den Einfluss von Ökonomen in Forschung, Politik und Medien zu erfassen, wurde von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gemeinsam mit Econwatch, der Universität Düsseldorf und Media Tenor International ein Ökonomen-Ranking entwickelt, das auf der Rezeption von Ökonomen in diesen drei Bereichen beruht und 2014 zum zweiten Mal veröffentlicht wurde. 2013 lag Lars Feld (Walter Eucken Institut, Sachverständigenrat) an der Spitze; 2014 war es Hans-Werner Sinn (ifo Institut).
Im Wesentlichen werden in beiden Jahren die Top-10 von denselben Ökonomen besetzt. Mittelt man die Ränge über die beiden Jahre, dann stehen Marcel Fratzscher (DIW Berlin), Hans-Werner Sinn und Lars Feld ganz oben. Auch bei Veränderung der Gewichte sind die Ergebnisse erstaunlich robust: Senkt man das Gewicht der Forschungsleistung im F.A.Z.-Ranking von 50 auf 33 oder 25 Prozent, bleiben Sinn und Fratzscher auf den ersten beiden Rängen. Daneben sind auch Lars Feld, Clemens Fuest (ZEW Mannheim) und Christoph Schmidt (RWI Essen, Sachverständigenrat) bei allen Berechnungsmethoden unter den Top-10. Die Ergebnisse zeigen, dass Beratungsinstitutionen durchaus wirken: Zwei der einflussreichsten zehn Ökonomen sind Mitglieder des Sachverständigenrates und sechs sind an einem Leibniz-Institut tätig.
Aber auch Wissenschaftler anderer Disziplinen beraten die Politik und sind in den Medien präsent. Bei der Politik-Umfrage zum Ökonomenranking wurde 2014 nicht nur nach den einflussreichen Ökonomen gefragt, sondern auch nach Nichtökonomen. Hier stehen der Historiker Herfried Münkler (HU Berlin) und die Soziologin Jutta Allmendinger (WZB Berlin) an der Spitze, gefolgt vom Rechts- und Politikwissenschaftler Fritz Scharpf (MPI Köln) und dem verstorbenen Soziologen Ralf Dahrendorf (LSE London, WZB Berlin).
Nur zwei Nicht-Ökonomen unter den meistgenannten Wissenschaftlern
Im Hinblick auf die öffentliche Sichtbarkeit zeigt eine Analyse von Media Tenor International, dass es mit dem Astronauten Alexander Gerst (Rang 2) und der Demoskopin Renate Köcher (Rang 9) lediglich zwei Nichtökonomen unter die Top-10 der meistgenannten Wissenschaftler in deutschen Meinungsführermedien schaffen, während Fratzscher, Fuest und Sinn dazugehören. Beschränkt man die Beachtung auf Nichtökonomen, sind neben Gerst und Köcher in den Top-10 insbesondere Politikwissenschaftler wie Franz Walter (Universität Göttingen) und Volker Perthes (Stiftung Wissenschaft und Politik) oder Staatsrechtler wie Hans-Jürgen Papier (LMU München) und Hans-Herbert von Arnim (Universität Speyer) vertreten. Im Vergleich verschaffen sich Ökonomen deutlich mehr Gehör: Sprechen Wissenschaftler in den Medien, so sind dies in knapp zwei Dritteln (63 Prozent) der Fälle Ökonomen. Lediglich ein gutes Drittel (37 Prozent) entfällt auf andere Disziplinen.
Das F.A.Z.-Ökonomen-Ranking zeigt, dass es durchaus Ökonomen gibt, die sowohl in der Forschung, als auch in Politik und Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Andere Wissenschaftler spielen weniger eine Rolle. Jedoch ist der Einfluss von Wissenschaftlern insgesamt eher gering: In den Medien machen ihre Aussagen nur etwa zwei Prozent aller Personen-Quellen aus. Voraussetzung für eine stärkere Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, dass relevante Forschungsergebnisse – wie von Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Lindau-Rede zu Recht betont – in verständliche Sprache übersetzt werden. Auch könnte ein von der Regierung berufener “Council of Economic Advisers” die Regierung nach ihren Zielvorstellungen beraten. Der Sachverständigenrat könnte sich dann auf die Beratung der Öffentlichkeit konzentrieren. Dann würde sich die Bundesregierung zwar vermutlich deutlich öfter über den Sachverständigenrat ärgern. Zugleich würde die Regierung aber auch zielgerichtet beraten. So könnte volkswirtschaftliche Expertise deutlich effektiver genutzt werden.
Justus Haucap (Twitter: @haucap) ist Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) und Präsident von Econwatch (Twitter: EconwatchTW), Gesellschaft für Politikanalyse. Tobias Thomas ist Forschungsdirektor von Media Tenor International und Vorsitzender von Econwatch. Gert G. Wagner ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der TU Berlin und Vorstandsmitglied des DIW.
Eine längere Fassung ist im “Wirtschaftsdienst” erschienen.