Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

“Eine Währung ist kein Spielzeug”

Viele moderne Ökonomen befinden sich auf brüchigem Eis. Denn ihre simplen makroökonomische Modelle zeigen nicht, wie gefährlich es ist, mit dem Wert des Geldes zu spielen. Wer die Gefahren erkennen will, muss die Finanzmärkte studieren – und daraus den Schluss ziehen, dass die Rolle der Geldpolitik in Krisen beschränkt ist. Eine Lehrstunde an der Goethe-Universität mit Guillermo Calvo.

Zwei prominente Ökonomen, die immer einmal wieder als Kandidaten für den Nobelpreis genannt werden, haben am Center for Financial Studies der Frankfurter Goethe-Universität Vorträge gehalten: Guillermo Calvo (Columbia University) und Nobuhiro Kiyotaki (Princeton University). 1) Wir dokumentierten an dieser Stelle den Vortrag Calvos, angereichert um Hinweise aus mehreren seiner Arbeiten (hier und hier) und einige eigene Bemerkungen.

 

Der Ausgangspunkt: Ein Rätsel

Gehen wir ein paar Jahre zurück in die heiße Phase der Finanzkrise in den Vereinigten Staaten nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers. Damals ließen sich zum selben Zeitpunkt zwei Phänomene beobachten: In dem Markt für verbriefte Hypothekendarlehen fehlte es an Liquidität. Viele Anleger wollten um nahezu jeden Preis diese Papiere verkaufen, obwohl sie nicht selten ein herausragendes AAA-Rating besaßen. Doch die Anleger zogen ihre Bonität in Zweifel. Da es praktisch keine Käufer gab, war der Markt für diese Papiere mehr oder weniger illiquide.

Gleichzeitig waren viele Banken, Unternehmen und Privatpersonen bemüht, viel Geld zu halten – überwiegend auf Bankkonten, zum Teil aber auch als Bargeld. Während der Markt für Hypothekendarlehen extrem illiquide war, war der Markt für Geld extrem liquide. Manche Fachleute benutzten für die Zustände am Geldmarkt den Begriff “Liquiditätsfalle”.

Aber warum scheuten die Menschen die immerhin mit realen Gütern wie Häusern hinterlegten verbrieften Hypothekendarlehen, während sie ein Geld – Calvo führte sein Beispiel anhand des Dollar durch – begeistert nachfragten, für das es eigentlich keine offizielle Deckung gibt? Auf diese Frage existieren unterschiedliche Antworten: Gegner des Papiergelds, zum Beispiel viele Freunde des Goldes, sind der Auffassung, dass der wahre Wert der “Zettel” null ist. Dann hört man die Auffassung, dass Papiergeld einen Wert besitzt, der sich aus seinem rechtlichen Status als gesetzliches Zahlungsmittel ableitet. Diese Ansicht geht auf einen deutschen Ökonomen namens Georg Friedrich Knapp zurück (in FAZIT hier behandelt). Sie war lange vergessen, versucht aber seit einiger Zeit, der wohl verdienten Vergessenheit zu entfliehen.

Calvo empfiehlt etwas ganz anderes, um den Wert einer Papierwährung herzuleiten: Er rät, John Maynard Keynes zu lesen. Und diese Empfehlung führt ihn in der Folge auf faszinierende Pfade.

 

Die Preistheorie des Geldes

Im Kapitel 17 der “Allgemeinen Theorie” des berühmten Briten findet sich die folgende Feststellung: “the  fact that contracts are fixed, and wages are usually somewhat stable in terms of money, unquestionably plays a large part in attracting to money so high a liquidity premium”. Viele Preise, darunter auch der Lohn als Preis der Arbeit, sind zumindest für eine gewisse Zeit durch Verträge festgelegt, also nicht vollständig flexibel. Diese Tatsache verleiht den Menschen die Gewissheit, dass sie zumindest innerhalb einer nahegelegenen Zukunft für einen kalkulierbaren Lohn eine in etwa konstante Menge als Güter und Dienstleistungen kaufen können. Das bedeutet zum einen, dass die Menschen Geld halten können, ohne sich große Sorgen um einen Wertverlust machen zu müssen. Und es bedeutet auch, dass der Wert des Papiergeldes eben nicht Null ist, sondern sich mit der Menge der Güter und Dienstleistungen und ihrer Preise erklärt. Calvo bezeichnet dies als die Preistheorie des Geldes.

Der nächste Schritt besteht darin, dass Calvo zwei Situationen unterscheidet, in denen diese reale Verankerung des Geldwertes wahlweise stark oder schwach ist.

 

Eine starke reale Verankerung des Geldes

Länder mit einer starken realen Verankerung des Geldes sind Länder mit einer niedrigen Inflationsrate. Man findet sie typischerweise unter den Industrienationen, seltener unter den Schwellen- und Entwicklungsländern. In Ländern mit einer starken realen Verankerung des Geldes konnte man lange Zeit die Bildung sogenannter “Safe Liquid Assets” beobachten: Gemeint sind Kapitalanlagen sehr guter Bonität, die anders als Geld einen Zins bringen, schnell handelbar (“liquide”) sind und geringe Verlustrisiken mit sich bringen: Denken ließe sich an verzinsliche Anlagen mit einem AAA-Rating. Solche Länder galten samt ihrer Finanzmärkte lange Zeit als sehr stabil. Ging etwas schief, konnte die Zentralbank als “Kreditgeber der letzten Instanz” die Lage wieder in Ordnung bringen. Vertreter mancher gesamtwirtschaftlicher Theorien, die nicht genau auf Finanzmärkte schauen, glauben, dass sich hieran bis heute nichts geändert hat.

 

Eine schwache reale Verankerung des Geldes

In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ist die reale Verankerung des Geldes eher schwach; Phasen hoher Inflation sorgten nicht selten für mangelndes Vertrauen der Menschen in ihre Landeswährung. Dies führte zum einen zur Anbindung vieler Währungen von Schwellenländern an Währungen aus Industrienationen, vor allem an den Dollar, mithilfe fester Wechselkurse. So wollte man die Glaubwürdigkeit des Dollar importieren. Die Erfahrung zeigt, dass eine solche Anbindung eine ganze Reihe von Problemen aufwerfen kann. Schwellenländer können zum Beispiel in Finanzkrisen hineingezogen werden, die in den Industrienationen entstanden sind. Eine feste Anbindung an die amerikanische Währung kann zu einer “Dollarisierung” von Teilen der Wirtschaft in den Schwellenländern führen, zum Beispiel wenn sich lokale Unternehmen in großem Stil im niedrig verzinsten Dollar verschulden und als Folge einer Krise der Dollarzustrom plötzlich verebbt. Die “Dollarisierung” verhindert auch, dass die Zentralbanken in Schwellenländern ihre Rolle als “Kreditgeber der letzten Instanz” uneingeschränkt wahrnehmen können.

 

Das moderne Dilemma in den Industrienationen: Starke reale Verankerung des Geldes – aber schwache Verankerung der “Safe Liquid Assets”

“Die wichtigste Lehre der Subprime-Krise ist, dass auch in Ländern mit einer starken realen Verankerung des Geldes ‘Safe Liquid Assets’ anfällig sind für Finanzkrisen”, sagt Calvo. Man kann das sehr gut sehen an den Hypothekenverbriefungen, von denen viele AAA-Ratings besaßen. Diese Papiere galten bis zum Jahre 2007 wegen ihrer exzellenten Ratings als absolut sicher; dementsprechend liquide war der Handel mit ihnen. Spätestens mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers galt diese Annahme nicht mehr: Diese Anlagen galten nicht länger als sicher und liquide waren sie auch nicht mehr. Vielmehr trockneten die Märkte für diese Papiere, deren Wertverluste viele Banken in Schwierigkeiten brachten, als Folge eines regelrechten Ansturms (“Run”) der Verkäufer aus. Ferner sorgte die Segmentierung dieser Märkte dafür, dass auch Eingriffe der Zentralbanken nicht alle Märkte stabilisieren konnten.

 

Calvos Schlussfolgerungen

1. In traditionellen makroökonomischen Modellen werden Probleme auf den Finanzmärkten sträflich unterschätzt. Tatsächlich können Finanzkrisen schlimme Folgen für die Realwirtschaft haben.

2. Schwere Liquiditätsprobleme an Finanzmärkten können nicht zuverlässig mit einer expansiven Geldpolitik beseitigt werden, wie populäre, aber letztlich simple makroökonomische Modelle nahelegen.

3. Traditionelle makroökonomische Modelle empfehlen oft eine höhere Inflation und eine Abwertung der Währung als Mittel zur Überwindung einer Krise. Allerdings kann unter einer solchen Politik der Wert von Kreditsicherheiten leiden, wonach die wachstumsförderne Vergabe von Krediten beschädigt wird. Das Ergebnis kann eine Stagflation sein.

4. Die Empfehlung, Inflation als Mittel zur Senkung der realen Last von Schulden einzusetzen, übersieht auch, dass damit die reale Verankerung des Geldwertes beschädigt wird: “Die Währung ist kein Spielzeug.” Eine Vertrauen schaffende Geldpolitik spielt nicht mit variierenden Inflationsraten.

5. Eine Vertrauen schaffende Geldpolitik spielt auch nicht über Gebühr mit der Veränderung von Leitzinsen.

6. Anleihenkaufprogramme von Zentralbanken leisten nichts gegen das Grundproblem einer hohen Verschuldung. Eine schmerzliche, aber konsequente Lösung ist die Streichung uneinbringlicher Schulden und eine damit verbundene rasche Entlastung der Bankbilanzen.

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1) Calvo und Kiyotaki waren in Frankfurt, weil die Jury des Deutsche Bank Prize in Financial Economics tagte. Daher befand sich auch der Nobelpreisträger Robert Merton im Publikum.