Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Wer hat Angst vor einer Deflation?

Ökonomen der Bank für Internationalem Zahlungsausgleich zeigen in einer Studie, dass die Kosten einer Deflation häufig überschätzt werden. Das trifft ins Mark der neokeynesianischen Ökonomik und der aktuell dominierenden Lehre von der Geldpolitik. Die Neokeynesianer reagieren mit Schweigen.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich© Michael HauriDie Bank für Internationalen Zahlungsausgleich

Nun auch die Chinesen: Auf einer Konferenz im Süden des Landes hat der Gouverneur der chinesischen Zentralbank, Zhou Xiaochuan, eine weitere Lockerung der Geldpolitik in Aussicht gestellt. Die Inflationsrate falle zu schnell, sagte er. Man müsse darauf achten, dass daraus keine Deflation entstehe. Die People’s Bank of China gehört zu mehr als 20 Zentralbanken, die in den vergangenen Monaten ihre Geldpolitik gelockert haben. Viele, darunter auch die Europäische Zentralbank, haben diese Lockerungen mit drohenden Deflationsgefahren begründet. Viele neokeynesianische Ökonomen haben diese Lockerungen begrüßt und im Falle der EZB darauf verwiesen, dass sie früher hätte kommen müssen. Denn Deflation gilt spätestens seit der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Schreckgespenst. Damals tauchte sie im Verein mit einer schweren Depression auf. Sorgen vor Deflation gab es aber auch bei Anti-Keynesianern. So schrieb Otmar Issing noch im vergangenen Jahr in einem anlässlich der EZB-Konferenz in Sintra veröffentlichten Arbeitspapier: “The key challenge for the central bank in crisis management is to prevent the economy from falling into deflation.”

Die große Herausforderung für diese Auffassung kommt von einem von vier Ökonomen im jüngsten Quartalsbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) veröffentlichten Aufsatz. Die in Basel ansässige BIZ ist die Bank der Zentralbanken und eine Denkfabrik mit den Schwerpunkten Geldpolitik und internationale Finanzmärkte. Der Aufsatz untersucht für 38 Länder und 140 Jahre die wirtschaftlichen Folgen einer Vielzahl von Deflationen, wobei Deflation als Rückgang eines Preisindex verstanden wird. 1) Die wesentlichen Schlussfolgerungen der in ihrem Umfang bisher am weitesten ausgreifenden Untersuchung sind:

  • Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen einer Deflation der Verbraucherpreise und einer Schwäche der Wirtschaft. 2) Vielmehr ist auch das Gegenteil beobachtet worden: Eine Deflation der Verbraucherpreise kann auch mit einer wachsenden Wirtschaft einhergehen. Der im Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Fachwelt vorhandene Nexus zwischen Deflation und Wirtschaftskrise beruht sehr stark auf der Wahrnehmung der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, die aber eher untypisch ist. Zudem erklärt sich, wie weiter unten erläutert wird, die Weltwirtschaftskrise möglicherweise gar nicht mit der Verbraucherpreisdeflation.
  • Dagegen gibt es durchaus einen statistischen Zusammenhang zwischen einer Deflation von Vermögenspreisen – und hier besonders von Preisen für Immobilien und Aktien – und einer schwachen Wirtschaftsentwicklung. 3) Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Vermögenspreisdeflation auch einen wichtigen Beitrag zur Erklärung der Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahrhunderts leisten kann.
  • Schließlich untersuchen die vier Ökonomen auch die wirtschaftlichen Folgen einer sogenannten Schuldendeflation. Gemeint ist eine Situation, in der ein sinkendes Niveau der Verbraucherpreise den Realwert einer ohnehin schon hohen Verschuldung (privat und/oder staatlich) zusätzlich steigert. Interessanterweise gelangen sie zu dem Schluss, dass Schudendeflationen in der Vergangenheit weitaus weniger gefährlich waren als angenommen. 4)

 

Diese empirischen Ergebnisse stehen im Widerspruch zu zentralen Auffassungen der herrschenden neokeynesianischen makroökonomischen Theorie und der sich von ihr ableitenden herrschenden Lehre von der Geldpolitik. Daher hätte man vielleicht erwarten können, dass sich Ökonomen aus der englischsprachigen Bloggerszene mit der Studie der BIZ-Ökonomen befasst hätten. Wir haben in einigen einschlägigen Blogs nach Artikeln Ausschau gehalten – unter anderem bei Paul Krugman, Brad DeLong, Noah Smith, Tony Yates, Simon Wren-Lewis, Scott Sumner, Mark Thoma und Roger Farmer. Gefunden haben wir dort nichts, obgleich die Kollegen der Financial Times – Gillian Tett in der Zeitung und Matthew Klein im FT-Blog Alphaville – das Deflationsthema breit gespielt haben. Auch im Blog von John Cochrane findet sich ein Beitrag, aber Cochrane ist alles andere als ein Keynesianer. Es ist eine seit langem bekannte Übung gerade amerikanischer Ökonomen, die Arbeiten der BIZ zu ignorieren – als der damalige BIZ-Chefökonom William White sich im Jahre 2003 auf der Konferenz von Jackson Hole erdreistete, den von vielen amerikanischen Ökonomen hofierten Fed-Chef Alan Greenspan wegen dessen Geldpolitik zu kritisieren, galt dies als ein Affront.

Es gibt aber durchaus Anzeichen für einen Meinungswandel: Obgleich die aktuelle britische Inflationsrate mit null Prozent unter der Zielmarke von 2 Prozent liegt, sagte der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, dieser Tage, die nächste Leitzinsveränderung werde eine Erhöhung und nicht eine Senkung sein.

—————————————————————————————

1) In Deutschland gibt es eine Neigung, nicht jeden Rückgang eines Preisindex als Deflation zu vestehen, sondern nur einen nachhaltigen Rückgang eines Preisindex. Die BIZ hält diese Unterscheidung in ihrer Untersuchung für untauglich: “For current purposes, we define a deflation in the prices of goods and services – or “price deflation” for short – simply as a fall in the corresponding price index. This sidesteps a couple of issues. Analytically, economists make a distinction between one-off price changes, typically seen as reflecting relative adjustments (eg a fall in the price of oil), and self-sustaining rates of change. The term “deflation” is then restricted to the latter. Similarly, given its negative connotations, some would prefer to restrict the term to destabilising self-reinforcing downward wage-price spirals. Our choice reflects the practical difficulties in distinguishing one-off from self-sustaining changes and our wish to avoid prejudging the costs of deflation by incorporating them in the definition.”

2) “A preliminary assessment of the link between deflations and growth does not suggest a negative relationship. Price deflations have coincided with both positive and clear negative growth rates. And a comparison of all inflation and deflation years suggests that, on balance, inflation years have seen only somewhat higher growth.”

3) “A first look at persistent asset price deflations in isolation points to very similar conclusions to the previous analysis. Output growth is consistently lower during both property and equity price deflations, and the slowdown is statistically significant except in the classical gold standard period for house prices. The importance of property prices is again greater in the postwar period. And while, on average, output actually falls consistently after property prices peak, it does so after equity prices peak, with a lag, only in the interwar years.”

4) “Overall, these results suggest that high debt or a period of excessive debt growth has so far not increased in a visible way the costs of goods and services price deflations. Instead, it seems to have added to the strains that property price deflations in particular impose on balance sheets.”